Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



haupt, und aus seinen Unternehmungen gegen
viele von demselben schließet; und seine natürliche
Grausamkeit, und die Neigung, mit seinen Erfin-
dungen sein Spiel zu treiben, nebst der hohen
Meynung, die er von sich selber hat, überleget:
so wird man nicht zweifeln, daß eine Frau bey
ihm unglücklich gewesen seyn möchte; und noch
unglücklicher, wenn sie ihn lieb gehabt, als wenn
sie gleichgültig gegen ihn hätte seyn können.

Eine Zeit von zwölf Monaten hätte, nach
der größten Wahrscheinlichkeit, meinem Leben ein
Ziel setzen mögen: da ich mit meinen Freunden
so übel daran; da ich von meinem Bruder und
meiner Schwester verfolget und geängstiget wor-
den, und mein Herz selbst durch die freywillige,
und, wie nun offenbar am Tage liegt, vorsetzliche
Unschlüßigkeit des Menschen zerrissen war; des
Menschen, von dem ich Dank zu verdienen suchte,
und von dem ich um so viel mehr berechtigt war,
Schutz zu erwarten, weil er mich alles andern
Schutzes beraubet, und, indem er meine eigne
Familie hassete, mich dahin gebracht hatte, daß
ich mich ihm gänzlich überlassen mußte. Dieß
war vormals, wie ich dachte, seine ganze Absicht:
und elend genug für mich, wenn sie es ganz ge-
wesen wäre.

Kann man wohl denken, liebste Freundinn,
daß, so glücklich als ich war, ehe ich Hrn. Lovela-
cen kennen lernete, mein Herz durch eine so un-
glückliche Veränderung in meinen Umständen
nicht angegriffen worden? - - Vielleicht brauch-

te



haupt, und aus ſeinen Unternehmungen gegen
viele von demſelben ſchließet; und ſeine natuͤrliche
Grauſamkeit, und die Neigung, mit ſeinen Erfin-
dungen ſein Spiel zu treiben, nebſt der hohen
Meynung, die er von ſich ſelber hat, uͤberleget:
ſo wird man nicht zweifeln, daß eine Frau bey
ihm ungluͤcklich geweſen ſeyn moͤchte; und noch
ungluͤcklicher, wenn ſie ihn lieb gehabt, als wenn
ſie gleichguͤltig gegen ihn haͤtte ſeyn koͤnnen.

Eine Zeit von zwoͤlf Monaten haͤtte, nach
der groͤßten Wahrſcheinlichkeit, meinem Leben ein
Ziel ſetzen moͤgen: da ich mit meinen Freunden
ſo uͤbel daran; da ich von meinem Bruder und
meiner Schweſter verfolget und geaͤngſtiget wor-
den, und mein Herz ſelbſt durch die freywillige,
und, wie nun offenbar am Tage liegt, vorſetzliche
Unſchluͤßigkeit des Menſchen zerriſſen war; des
Menſchen, von dem ich Dank zu verdienen ſuchte,
und von dem ich um ſo viel mehr berechtigt war,
Schutz zu erwarten, weil er mich alles andern
Schutzes beraubet, und, indem er meine eigne
Familie haſſete, mich dahin gebracht hatte, daß
ich mich ihm gaͤnzlich uͤberlaſſen mußte. Dieß
war vormals, wie ich dachte, ſeine ganze Abſicht:
und elend genug fuͤr mich, wenn ſie es ganz ge-
weſen waͤre.

Kann man wohl denken, liebſte Freundinn,
daß, ſo gluͤcklich als ich war, ehe ich Hrn. Lovela-
cen kennen lernete, mein Herz durch eine ſo un-
gluͤckliche Veraͤnderung in meinen Umſtaͤnden
nicht angegriffen worden? ‒ ‒ Vielleicht brauch-

te
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0642" n="636"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#fr">haupt,</hi> und aus &#x017F;einen Unternehmungen gegen<lb/>
viele von dem&#x017F;elben &#x017F;chließet; und &#x017F;eine natu&#x0364;rliche<lb/>
Grau&#x017F;amkeit, und die Neigung, mit &#x017F;einen Erfin-<lb/>
dungen &#x017F;ein Spiel zu treiben, neb&#x017F;t der hohen<lb/>
Meynung, die er von &#x017F;ich &#x017F;elber hat, u&#x0364;berleget:<lb/>
&#x017F;o wird man nicht zweifeln, daß eine Frau bey<lb/>
ihm unglu&#x0364;cklich gewe&#x017F;en &#x017F;eyn mo&#x0364;chte; und noch<lb/>
unglu&#x0364;cklicher, wenn &#x017F;ie ihn lieb gehabt, als wenn<lb/>
&#x017F;ie gleichgu&#x0364;ltig gegen ihn ha&#x0364;tte &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Eine <hi rendition="#fr">Zeit von zwo&#x0364;lf Monaten</hi> ha&#x0364;tte, nach<lb/>
der gro&#x0364;ßten Wahr&#x017F;cheinlichkeit, meinem Leben ein<lb/>
Ziel &#x017F;etzen mo&#x0364;gen: da ich mit meinen Freunden<lb/>
&#x017F;o u&#x0364;bel daran; da ich von meinem Bruder und<lb/>
meiner Schwe&#x017F;ter verfolget und gea&#x0364;ng&#x017F;tiget wor-<lb/>
den, und mein Herz &#x017F;elb&#x017F;t durch die <hi rendition="#fr">freywillige,</hi><lb/>
und, wie nun offenbar am Tage liegt, <hi rendition="#fr">vor&#x017F;etzliche</hi><lb/>
Un&#x017F;chlu&#x0364;ßigkeit des Men&#x017F;chen zerri&#x017F;&#x017F;en war; des<lb/>
Men&#x017F;chen, von dem ich Dank zu verdienen &#x017F;uchte,<lb/>
und von dem ich um &#x017F;o viel mehr berechtigt war,<lb/>
Schutz zu erwarten, weil er mich alles andern<lb/>
Schutzes beraubet, und, indem er meine eigne<lb/>
Familie ha&#x017F;&#x017F;ete, mich dahin gebracht hatte, daß<lb/>
ich mich ihm ga&#x0364;nzlich u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en mußte. Dieß<lb/>
war vormals, wie ich dachte, &#x017F;eine ganze Ab&#x017F;icht:<lb/>
und elend genug fu&#x0364;r mich, wenn &#x017F;ie es ganz ge-<lb/>
we&#x017F;en wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Kann man wohl denken, lieb&#x017F;te Freundinn,<lb/>
daß, &#x017F;o glu&#x0364;cklich als ich war, ehe ich Hrn. Lovela-<lb/>
cen kennen lernete, mein Herz durch eine &#x017F;o un-<lb/>
glu&#x0364;ckliche Vera&#x0364;nderung in meinen Um&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
nicht angegriffen worden? &#x2012; &#x2012; Vielleicht <hi rendition="#fr">brauch-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">te</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[636/0642] haupt, und aus ſeinen Unternehmungen gegen viele von demſelben ſchließet; und ſeine natuͤrliche Grauſamkeit, und die Neigung, mit ſeinen Erfin- dungen ſein Spiel zu treiben, nebſt der hohen Meynung, die er von ſich ſelber hat, uͤberleget: ſo wird man nicht zweifeln, daß eine Frau bey ihm ungluͤcklich geweſen ſeyn moͤchte; und noch ungluͤcklicher, wenn ſie ihn lieb gehabt, als wenn ſie gleichguͤltig gegen ihn haͤtte ſeyn koͤnnen. Eine Zeit von zwoͤlf Monaten haͤtte, nach der groͤßten Wahrſcheinlichkeit, meinem Leben ein Ziel ſetzen moͤgen: da ich mit meinen Freunden ſo uͤbel daran; da ich von meinem Bruder und meiner Schweſter verfolget und geaͤngſtiget wor- den, und mein Herz ſelbſt durch die freywillige, und, wie nun offenbar am Tage liegt, vorſetzliche Unſchluͤßigkeit des Menſchen zerriſſen war; des Menſchen, von dem ich Dank zu verdienen ſuchte, und von dem ich um ſo viel mehr berechtigt war, Schutz zu erwarten, weil er mich alles andern Schutzes beraubet, und, indem er meine eigne Familie haſſete, mich dahin gebracht hatte, daß ich mich ihm gaͤnzlich uͤberlaſſen mußte. Dieß war vormals, wie ich dachte, ſeine ganze Abſicht: und elend genug fuͤr mich, wenn ſie es ganz ge- weſen waͤre. Kann man wohl denken, liebſte Freundinn, daß, ſo gluͤcklich als ich war, ehe ich Hrn. Lovela- cen kennen lernete, mein Herz durch eine ſo un- gluͤckliche Veraͤnderung in meinen Umſtaͤnden nicht angegriffen worden? ‒ ‒ Vielleicht brauch- te

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/642
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/642>, abgerufen am 22.11.2024.