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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

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an beyden Setten wird vorüber seyn. - - Dieß
ist der natürliche Lauf der Dinge.

Jch kann dich nicht ertragen: wenn du alle
Hoffnung zur Genesung der Fräulein aufgie-
best (*); und das selbst wider des Arztes und
Apothekers Meynung.

Die Zeit, sagst du mit Congrevens Worten,
wird ihr Leiden größer und schwerer ma-
chen.
Aber warum das? Weißt du nicht, daß
diese Worte, die der allgemeinen Erfahrung so
sehr widersprechen, auf den Zustand einer Per-
son, da die Leidenschaft in ihrer völligen Stärke
war, gerichtet waren? - - - Zu solcher Zeit
denkt ein jeder in einer schwermüthigen Traurig-
keit eben das. Allein wie die Schwärmer es mit
der Schrift machen: so machst du es mit den
Dichtern, die du gelesen hast. Alles, was in
diesen oder in jener nur eine entfernte Aehnlich-
keit mit einem vorkommenden Fall hat, wird
von euch beyden, als ein Evangelium, angenom-
men: wenn es sich auch zu dem allgemeinen
Zweck der Dichter oder der Schrift, und dem
Falle,
noch so wenig schicket. So hörte ich ein-
mal, daß einer von den Schwärmern auf einer
Kanzel sich sehr eifrig für einen todten Hund
ausgab: da alle, Männer, Weiber und Kinder,
durch sein Geheul von dem Gegentheil überzeugt
waren.

Jch kann dir sagen, daß, wofern sonst nichts
helfen will, ich entschlossen bin, Trotz deinem

Sau-
(*) Siehe den LXXII. Brief.



an beyden Setten wird voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Dieß
iſt der natuͤrliche Lauf der Dinge.

Jch kann dich nicht ertragen: wenn du alle
Hoffnung zur Geneſung der Fraͤulein aufgie-
beſt (*); und das ſelbſt wider des Arztes und
Apothekers Meynung.

Die Zeit, ſagſt du mit Congrevens Worten,
wird ihr Leiden groͤßer und ſchwerer ma-
chen.
Aber warum das? Weißt du nicht, daß
dieſe Worte, die der allgemeinen Erfahrung ſo
ſehr widerſprechen, auf den Zuſtand einer Per-
ſon, da die Leidenſchaft in ihrer voͤlligen Staͤrke
war, gerichtet waren? ‒ ‒ ‒ Zu ſolcher Zeit
denkt ein jeder in einer ſchwermuͤthigen Traurig-
keit eben das. Allein wie die Schwaͤrmer es mit
der Schrift machen: ſo machſt du es mit den
Dichtern, die du geleſen haſt. Alles, was in
dieſen oder in jener nur eine entfernte Aehnlich-
keit mit einem vorkommenden Fall hat, wird
von euch beyden, als ein Evangelium, angenom-
men: wenn es ſich auch zu dem allgemeinen
Zweck der Dichter oder der Schrift, und dem
Falle,
noch ſo wenig ſchicket. So hoͤrte ich ein-
mal, daß einer von den Schwaͤrmern auf einer
Kanzel ſich ſehr eifrig fuͤr einen todten Hund
ausgab: da alle, Maͤnner, Weiber und Kinder,
durch ſein Geheul von dem Gegentheil uͤberzeugt
waren.

Jch kann dir ſagen, daß, wofern ſonſt nichts
helfen will, ich entſchloſſen bin, Trotz deinem

Sau-
(*) Siehe den LXXII. Brief.
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[578/0584] an beyden Setten wird voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Dieß iſt der natuͤrliche Lauf der Dinge. Jch kann dich nicht ertragen: wenn du alle Hoffnung zur Geneſung der Fraͤulein aufgie- beſt (*); und das ſelbſt wider des Arztes und Apothekers Meynung. Die Zeit, ſagſt du mit Congrevens Worten, wird ihr Leiden groͤßer und ſchwerer ma- chen. Aber warum das? Weißt du nicht, daß dieſe Worte, die der allgemeinen Erfahrung ſo ſehr widerſprechen, auf den Zuſtand einer Per- ſon, da die Leidenſchaft in ihrer voͤlligen Staͤrke war, gerichtet waren? ‒ ‒ ‒ Zu ſolcher Zeit denkt ein jeder in einer ſchwermuͤthigen Traurig- keit eben das. Allein wie die Schwaͤrmer es mit der Schrift machen: ſo machſt du es mit den Dichtern, die du geleſen haſt. Alles, was in dieſen oder in jener nur eine entfernte Aehnlich- keit mit einem vorkommenden Fall hat, wird von euch beyden, als ein Evangelium, angenom- men: wenn es ſich auch zu dem allgemeinen Zweck der Dichter oder der Schrift, und dem Falle, noch ſo wenig ſchicket. So hoͤrte ich ein- mal, daß einer von den Schwaͤrmern auf einer Kanzel ſich ſehr eifrig fuͤr einen todten Hund ausgab: da alle, Maͤnner, Weiber und Kinder, durch ſein Geheul von dem Gegentheil uͤberzeugt waren. Jch kann dir ſagen, daß, wofern ſonſt nichts helfen will, ich entſchloſſen bin, Trotz deinem Sau- (*) Siehe den LXXII. Brief.

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/584>, abgerufen am 22.11.2024.