[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.Ansehen, das vielmehr zur Verwerfung reizet, als Ueberredung mit sich führet; und bist ein sol- ches stotterndes Scheusal, daß ich, wo ich ver- liere, es vielmehr der Ungeschicklichkeit und dem übeln Ansehen meines Sachwalters, als meiner Sache selbst zuschreiben werde. Ferner bist du der Stärke beraubt, welche sonst Leute von un- serm Schlage ihren Gründen geben: denn sie will dich nicht schwören lassen - - Noch dazu bist du ein langsamer Kopf, ein Kerl der nicht denkt; bloß erträglich, wenn es nur etwas zu wiederholen giebt; ein scheuslicher Tölpel, wenn aus dem Stegereif zu reden ist. Alles dieß ist bey einer solchen Fräulein sehr nachtheilig - - Und noch weit nachtheiliger ist deine gegenwärti- ge Unschlüßigkeit, ob du der alte liederliche Bru- der bleiben, oder ein neuer Bekehrter werden willst. Denn dieß setzt dich mit ihr in eben die Umstände, in welchen Martin Luther, wie man mir erzählt hat, bey der ersten öffentlichen Un- terredung zum Schutz seiner vermeynten neuen Lehren, zu Leipzig mit Ecken gewesen ist. Luther war damals nur noch ein halber Verbesserer der Religion. Er hielte noch fest an einigen Lehrsä- tzen, die durch eine natürliche Folge machten, daß andere, die er vertheidigte, sich nicht behaupten ließen. Daher hatte Ecke in einigen Stücken die Oberhand über ihn. Aber von der Zeit an machte er sich eine freye Bahn: indem er alles fahren ließ, was ihm im Wege stand. Dadurch bekamen erst seine Lehren sichern Lauf. Nach- her
Anſehen, das vielmehr zur Verwerfung reizet, als Ueberredung mit ſich fuͤhret; und biſt ein ſol- ches ſtotterndes Scheuſal, daß ich, wo ich ver- liere, es vielmehr der Ungeſchicklichkeit und dem uͤbeln Anſehen meines Sachwalters, als meiner Sache ſelbſt zuſchreiben werde. Ferner biſt du der Staͤrke beraubt, welche ſonſt Leute von un- ſerm Schlage ihren Gruͤnden geben: denn ſie will dich nicht ſchwoͤren laſſen ‒ ‒ Noch dazu biſt du ein langſamer Kopf, ein Kerl der nicht denkt; bloß ertraͤglich, wenn es nur etwas zu wiederholen giebt; ein ſcheuslicher Toͤlpel, wenn aus dem Stegereif zu reden iſt. Alles dieß iſt bey einer ſolchen Fraͤulein ſehr nachtheilig ‒ ‒ Und noch weit nachtheiliger iſt deine gegenwaͤrti- ge Unſchluͤßigkeit, ob du der alte liederliche Bru- der bleiben, oder ein neuer Bekehrter werden willſt. Denn dieß ſetzt dich mit ihr in eben die Umſtaͤnde, in welchen Martin Luther, wie man mir erzaͤhlt hat, bey der erſten oͤffentlichen Un- terredung zum Schutz ſeiner vermeynten neuen Lehren, zu Leipzig mit Ecken geweſen iſt. Luther war damals nur noch ein halber Verbeſſerer der Religion. Er hielte noch feſt an einigen Lehrſaͤ- tzen, die durch eine natuͤrliche Folge machten, daß andere, die er vertheidigte, ſich nicht behaupten ließen. Daher hatte Ecke in einigen Stuͤcken die Oberhand uͤber ihn. Aber von der Zeit an machte er ſich eine freye Bahn: indem er alles fahren ließ, was ihm im Wege ſtand. Dadurch bekamen erſt ſeine Lehren ſichern Lauf. Nach- her
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Anſehen, das vielmehr zur Verwerfung reizet,
als Ueberredung mit ſich fuͤhret; und biſt ein ſol-
ches ſtotterndes Scheuſal, daß ich, wo ich ver-
liere, es vielmehr der Ungeſchicklichkeit und dem
uͤbeln Anſehen meines Sachwalters, als meiner
Sache ſelbſt zuſchreiben werde. Ferner biſt du
der Staͤrke beraubt, welche ſonſt Leute von un-
ſerm Schlage ihren Gruͤnden geben: denn ſie
will dich nicht ſchwoͤren laſſen ‒ ‒ Noch dazu
biſt du ein langſamer Kopf, ein Kerl der nicht
denkt; bloß ertraͤglich, wenn es nur etwas zu
wiederholen giebt; ein ſcheuslicher Toͤlpel, wenn
aus dem Stegereif zu reden iſt. Alles dieß
iſt bey einer ſolchen Fraͤulein ſehr nachtheilig ‒ ‒
Und noch weit nachtheiliger iſt deine gegenwaͤrti-
ge Unſchluͤßigkeit, ob du der alte liederliche Bru-
der bleiben, oder ein neuer Bekehrter werden
willſt. Denn dieß ſetzt dich mit ihr in eben die
Umſtaͤnde, in welchen Martin Luther, wie man
mir erzaͤhlt hat, bey der erſten oͤffentlichen Un-
terredung zum Schutz ſeiner vermeynten neuen
Lehren, zu Leipzig mit Ecken geweſen iſt. Luther
war damals nur noch ein halber Verbeſſerer der
Religion. Er hielte noch feſt an einigen Lehrſaͤ-
tzen, die durch eine natuͤrliche Folge machten, daß
andere, die er vertheidigte, ſich nicht behaupten
ließen. Daher hatte Ecke in einigen Stuͤcken
die Oberhand uͤber ihn. Aber von der Zeit an
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