thun; sonderlich da ich mich itzo zum ersten mal gerade an sie wende. Denn ich habe oft die Kühnheit derjenigen Leute getadelt, die eine Gunst- bezeigung suchen, welche jemand nach eignem Gutbefinden zugestehen, oder abschlagen kann, und sich doch die Freyheit nehmen beleidigt zu seyn, wenn ihnen nicht gewillfahret wird: als ob der, von dem etwas gebeten wird, nicht eben so gut ein Recht hätte, es zu versagen, als der, welcher bittet, es zu fordern.
Wofern hingegen mein Brief beantwortet werden sollte; und zwar in solchen Ausdrücken, daß ich ihn einer so feurigen Freundinn nicht gern zeigen möchte: - - so müssen Sie, meine wer- the Freundinn, nicht unternehmen, meine Ver- wandten ungütig zu beurtheilen, sondern ihnen etwas zu gute halten; weil sie nicht wissen, was ich gelitten habe; weil sie mit gerechtem Un- willen gerecht für sie, wenn sie ihn für gerecht ansehen, wider mich eingenommen sind; und weil sie nicht im Stande sind, von der Wahrheit meiner Reue zu urtheilen.
Was können sie auch für mich thun: wenn man alles erwäget? - - Sie können bloß Mit- leiden mit mir haben. Und was wird das wei- ter thun, als ihren eignen Kummer nur ver- mehren, dem itzo ihr Unwillen noch eine Er- leichterung ist? Denn können sie, durch ihr Mit- leiden, meine verlorne Ehre bey der Welt wieder herstellen? Können sie dadurch einen Schwamm kaufen, der die vergangenen unglücklichen fünf
Monate
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thun; ſonderlich da ich mich itzo zum erſten mal gerade an ſie wende. Denn ich habe oft die Kuͤhnheit derjenigen Leute getadelt, die eine Gunſt- bezeigung ſuchen, welche jemand nach eignem Gutbefinden zugeſtehen, oder abſchlagen kann, und ſich doch die Freyheit nehmen beleidigt zu ſeyn, wenn ihnen nicht gewillfahret wird: als ob der, von dem etwas gebeten wird, nicht eben ſo gut ein Recht haͤtte, es zu verſagen, als der, welcher bittet, es zu fordern.
Wofern hingegen mein Brief beantwortet werden ſollte; und zwar in ſolchen Ausdruͤcken, daß ich ihn einer ſo feurigen Freundinn nicht gern zeigen moͤchte: ‒ ‒ ſo muͤſſen Sie, meine wer- the Freundinn, nicht unternehmen, meine Ver- wandten unguͤtig zu beurtheilen, ſondern ihnen etwas zu gute halten; weil ſie nicht wiſſen, was ich gelitten habe; weil ſie mit gerechtem Un- willen gerecht fuͤr ſie, wenn ſie ihn fuͤr gerecht anſehen, wider mich eingenommen ſind; und weil ſie nicht im Stande ſind, von der Wahrheit meiner Reue zu urtheilen.
Was koͤnnen ſie auch fuͤr mich thun: wenn man alles erwaͤget? ‒ ‒ Sie koͤnnen bloß Mit- leiden mit mir haben. Und was wird das wei- ter thun, als ihren eignen Kummer nur ver- mehren, dem itzo ihr Unwillen noch eine Er- leichterung iſt? Denn koͤnnen ſie, durch ihr Mit- leiden, meine verlorne Ehre bey der Welt wieder herſtellen? Koͤnnen ſie dadurch einen Schwamm kaufen, der die vergangenen ungluͤcklichen fuͤnf
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thun; ſonderlich da ich mich itzo zum erſten mal
gerade an ſie wende. Denn ich habe oft die
Kuͤhnheit derjenigen Leute getadelt, die eine Gunſt-
bezeigung ſuchen, welche jemand nach eignem
Gutbefinden zugeſtehen, oder abſchlagen kann,
und ſich doch die Freyheit nehmen beleidigt zu
ſeyn, wenn ihnen nicht gewillfahret wird: als ob
der, von dem etwas gebeten wird, nicht eben
ſo gut ein Recht haͤtte, es zu verſagen, als der,
welcher bittet, es zu fordern.
Wofern hingegen mein Brief beantwortet
werden ſollte; und zwar in ſolchen Ausdruͤcken,
daß ich ihn einer ſo feurigen Freundinn nicht gern
zeigen moͤchte: ‒ ‒ ſo muͤſſen Sie, meine wer-
the Freundinn, nicht unternehmen, meine Ver-
wandten unguͤtig zu beurtheilen, ſondern ihnen
etwas zu gute halten; weil ſie nicht wiſſen, was
ich gelitten habe; weil ſie mit gerechtem Un-
willen gerecht fuͤr ſie, wenn ſie ihn fuͤr gerecht
anſehen, wider mich eingenommen ſind; und
weil ſie nicht im Stande ſind, von der Wahrheit
meiner Reue zu urtheilen.
Was koͤnnen ſie auch fuͤr mich thun: wenn
man alles erwaͤget? ‒ ‒ Sie koͤnnen bloß Mit-
leiden mit mir haben. Und was wird das wei-
ter thun, als ihren eignen Kummer nur ver-
mehren, dem itzo ihr Unwillen noch eine Er-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/573>, abgerufen am 21.11.2024.
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