und das andere von der Geschichte des alten Te- staments, wie man es nennet, im Kopfe habe: allein ich habe es, vielleicht, mehr dem jüdischen Geschichtschreiber Josephus, als der Bibel selbst, zu danken.
Wunderlich genug, bey allem unsern Stolz auf Gelehrsamkeit, daß wir es für das beste hal- ten, das wenige, das wir wissen, aus abgeleiteten und vielleicht faulen Bächen zu schöpfen: da die reine, die helle und erste Quelle uns viel näher zur Hand, und leichter dazu zu kommen ist; - - vielleicht aber eben aus der Ursache geringer ge- schätzet wird!
Allein der Mensch ist ein thörichtes Geschöpf, das sich beständig in fremde Dinge mischet. Je mehr wir in sein Jnnerstes hineinschauen: desto mehr müssen wir ihn verachten. - - Er will den Vorzug unter den Werken der Schöpfung be- haupten! - - Wer kann sich enthalten höhnisch zu lachen! da wir kein einziges unter den beson- dern Werken dieser Schöpfung sehen, das nicht so wirken oder handeln sollte, als es, seiner Natur, und seinem Ursprunge nach, zu wirken oder zu handeln bestimmt ist; ihn selbst allein ausgenom- men, der beständig aus seinem Kreise schweifet. Ja so stolz und eitel der eingebildete Wurm über seine vermeynte und selbsteigne Vorzüge ist: so hat er doch nicht allein seinen Schmuck, sondern auch die Bedürfnisse des Lebens, Nahrung so wohl als Kleider, allen übrigen Geschöpfen zu danken; indem er mit ihrem Blut und ihren
Säften
und das andere von der Geſchichte des alten Te- ſtaments, wie man es nennet, im Kopfe habe: allein ich habe es, vielleicht, mehr dem juͤdiſchen Geſchichtſchreiber Joſephus, als der Bibel ſelbſt, zu danken.
Wunderlich genug, bey allem unſern Stolz auf Gelehrſamkeit, daß wir es fuͤr das beſte hal- ten, das wenige, das wir wiſſen, aus abgeleiteten und vielleicht faulen Baͤchen zu ſchoͤpfen: da die reine, die helle und erſte Quelle uns viel naͤher zur Hand, und leichter dazu zu kommen iſt; ‒ ‒ vielleicht aber eben aus der Urſache geringer ge- ſchaͤtzet wird!
Allein der Menſch iſt ein thoͤrichtes Geſchoͤpf, das ſich beſtaͤndig in fremde Dinge miſchet. Je mehr wir in ſein Jnnerſtes hineinſchauen: deſto mehr muͤſſen wir ihn verachten. ‒ ‒ Er will den Vorzug unter den Werken der Schoͤpfung be- haupten! ‒ ‒ Wer kann ſich enthalten hoͤhniſch zu lachen! da wir kein einziges unter den beſon- dern Werken dieſer Schoͤpfung ſehen, das nicht ſo wirken oder handeln ſollte, als es, ſeiner Natur, und ſeinem Urſprunge nach, zu wirken oder zu handeln beſtimmt iſt; ihn ſelbſt allein ausgenom- men, der beſtaͤndig aus ſeinem Kreiſe ſchweifet. Ja ſo ſtolz und eitel der eingebildete Wurm uͤber ſeine vermeynte und ſelbſteigne Vorzuͤge iſt: ſo hat er doch nicht allein ſeinen Schmuck, ſondern auch die Beduͤrfniſſe des Lebens, Nahrung ſo wohl als Kleider, allen uͤbrigen Geſchoͤpfen zu danken; indem er mit ihrem Blut und ihren
Saͤften
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0524"n="518"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
und das andere von der Geſchichte des alten Te-<lb/>ſtaments, wie man es nennet, im Kopfe habe:<lb/>
allein ich habe es, vielleicht, mehr dem juͤdiſchen<lb/>
Geſchichtſchreiber Joſephus, als der Bibel ſelbſt,<lb/>
zu danken.</p><lb/><p>Wunderlich genug, bey allem unſern Stolz<lb/>
auf Gelehrſamkeit, daß wir es fuͤr das beſte hal-<lb/>
ten, das wenige, das wir wiſſen, aus abgeleiteten<lb/>
und vielleicht faulen Baͤchen zu ſchoͤpfen: da die<lb/>
reine, die helle und erſte Quelle uns viel naͤher<lb/>
zur Hand, und leichter dazu zu kommen iſt; ‒‒<lb/>
vielleicht aber eben aus der Urſache geringer ge-<lb/>ſchaͤtzet wird!</p><lb/><p>Allein der Menſch iſt ein thoͤrichtes Geſchoͤpf,<lb/>
das ſich beſtaͤndig in fremde Dinge miſchet. Je<lb/>
mehr wir in ſein Jnnerſtes hineinſchauen: deſto<lb/>
mehr muͤſſen wir ihn verachten. ‒‒ Er will den<lb/>
Vorzug unter den Werken der Schoͤpfung be-<lb/>
haupten! ‒‒ Wer kann ſich enthalten hoͤhniſch<lb/>
zu lachen! da wir kein einziges unter den beſon-<lb/>
dern Werken dieſer Schoͤpfung ſehen, das nicht ſo<lb/>
wirken oder handeln ſollte, als es, ſeiner Natur,<lb/>
und ſeinem Urſprunge nach, zu wirken oder zu<lb/>
handeln beſtimmt iſt; ihn ſelbſt allein ausgenom-<lb/>
men, der beſtaͤndig aus ſeinem Kreiſe ſchweifet.<lb/>
Ja ſo ſtolz und eitel der eingebildete Wurm uͤber<lb/>ſeine vermeynte und ſelbſteigne Vorzuͤge iſt: ſo<lb/>
hat er doch nicht allein ſeinen Schmuck, ſondern<lb/>
auch die Beduͤrfniſſe des Lebens, Nahrung ſo<lb/>
wohl als Kleider, allen uͤbrigen Geſchoͤpfen zu<lb/>
danken; indem er mit ihrem Blut und ihren<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Saͤften</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[518/0524]
und das andere von der Geſchichte des alten Te-
ſtaments, wie man es nennet, im Kopfe habe:
allein ich habe es, vielleicht, mehr dem juͤdiſchen
Geſchichtſchreiber Joſephus, als der Bibel ſelbſt,
zu danken.
Wunderlich genug, bey allem unſern Stolz
auf Gelehrſamkeit, daß wir es fuͤr das beſte hal-
ten, das wenige, das wir wiſſen, aus abgeleiteten
und vielleicht faulen Baͤchen zu ſchoͤpfen: da die
reine, die helle und erſte Quelle uns viel naͤher
zur Hand, und leichter dazu zu kommen iſt; ‒ ‒
vielleicht aber eben aus der Urſache geringer ge-
ſchaͤtzet wird!
Allein der Menſch iſt ein thoͤrichtes Geſchoͤpf,
das ſich beſtaͤndig in fremde Dinge miſchet. Je
mehr wir in ſein Jnnerſtes hineinſchauen: deſto
mehr muͤſſen wir ihn verachten. ‒ ‒ Er will den
Vorzug unter den Werken der Schoͤpfung be-
haupten! ‒ ‒ Wer kann ſich enthalten hoͤhniſch
zu lachen! da wir kein einziges unter den beſon-
dern Werken dieſer Schoͤpfung ſehen, das nicht ſo
wirken oder handeln ſollte, als es, ſeiner Natur,
und ſeinem Urſprunge nach, zu wirken oder zu
handeln beſtimmt iſt; ihn ſelbſt allein ausgenom-
men, der beſtaͤndig aus ſeinem Kreiſe ſchweifet.
Ja ſo ſtolz und eitel der eingebildete Wurm uͤber
ſeine vermeynte und ſelbſteigne Vorzuͤge iſt: ſo
hat er doch nicht allein ſeinen Schmuck, ſondern
auch die Beduͤrfniſſe des Lebens, Nahrung ſo
wohl als Kleider, allen uͤbrigen Geſchoͤpfen zu
danken; indem er mit ihrem Blut und ihren
Saͤften
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/524>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.