thum in der Erkenntniß nach denen Büchern, zu welchen wir fortgeschritten sind, nicht nach unse- rer Einsicht in dem, was wir durchgegangen, gar weislich schätzen. Aber bey meines Onkels Krankheit trieb mich die Neubegierde in einer von meinen schwermüthigen Stunden, da mir eine Bibel in seinem Closet in die Augen fiel, hinein- zukucken: und darauf fand ich allenthalben, wo ich nur aufschlug, daß vortreffliche Dinge da- rinn stünden. Jch habe mir eine geborgt, als ich die obigen Betrachtungen von Fr. Lovick be- kam: denn ich war begierig, dieselben mit dem Buche zu vergleichen; weil ich schwerlich glaub- te, daß sie darinn so ausnehmend bequem zur Sache eingerichtet seyn könnten, als ich wirklich befinde. Zu einer oder der andern Zeit kann es gar leicht geschehen, daß ich mich entschließe, sie ganz mit flüchtigen Augen durchzulaufen.
Dieß ist inzwischen gewiß, ich unterstehe mich es zu wiederholen, daß die Schreibart eben die- jenige ungekünstelte, einfältige und natürliche ist, welche wir an andern Schriftstellern über alle Maaßen bewundern würden. Hiernächst ist sich alle Welt über ihr Alterthum und ihre Glaub- würdigkeit einig: und die Gelehrten suchen mit größtem Fleiße, ihre verschiedne Beweisgründe hievon durch die Aussprüche und Verordnungen derselben zu bestärken. Jch ward, in der That, bey meinem Onkel, so von ihr eingenommen, daß ich mich halb schämete, daß sie mir so neu vor- kam. Dennoch kann ich wohl sagen, daß ich eines
und
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thum in der Erkenntniß nach denen Buͤchern, zu welchen wir fortgeſchritten ſind, nicht nach unſe- rer Einſicht in dem, was wir durchgegangen, gar weislich ſchaͤtzen. Aber bey meines Onkels Krankheit trieb mich die Neubegierde in einer von meinen ſchwermuͤthigen Stunden, da mir eine Bibel in ſeinem Cloſet in die Augen fiel, hinein- zukucken: und darauf fand ich allenthalben, wo ich nur aufſchlug, daß vortreffliche Dinge da- rinn ſtuͤnden. Jch habe mir eine geborgt, als ich die obigen Betrachtungen von Fr. Lovick be- kam: denn ich war begierig, dieſelben mit dem Buche zu vergleichen; weil ich ſchwerlich glaub- te, daß ſie darinn ſo ausnehmend bequem zur Sache eingerichtet ſeyn koͤnnten, als ich wirklich befinde. Zu einer oder der andern Zeit kann es gar leicht geſchehen, daß ich mich entſchließe, ſie ganz mit fluͤchtigen Augen durchzulaufen.
Dieß iſt inzwiſchen gewiß, ich unterſtehe mich es zu wiederholen, daß die Schreibart eben die- jenige ungekuͤnſtelte, einfaͤltige und natuͤrliche iſt, welche wir an andern Schriftſtellern uͤber alle Maaßen bewundern wuͤrden. Hiernaͤchſt iſt ſich alle Welt uͤber ihr Alterthum und ihre Glaub- wuͤrdigkeit einig: und die Gelehrten ſuchen mit groͤßtem Fleiße, ihre verſchiedne Beweisgruͤnde hievon durch die Ausſpruͤche und Verordnungen derſelben zu beſtaͤrken. Jch ward, in der That, bey meinem Onkel, ſo von ihr eingenommen, daß ich mich halb ſchaͤmete, daß ſie mir ſo neu vor- kam. Dennoch kann ich wohl ſagen, daß ich eines
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thum in der Erkenntniß nach denen Buͤchern, zu
welchen wir fortgeſchritten ſind, nicht nach unſe-
rer Einſicht in dem, was wir durchgegangen,
gar weislich ſchaͤtzen. Aber bey meines Onkels
Krankheit trieb mich die Neubegierde in einer von
meinen ſchwermuͤthigen Stunden, da mir eine
Bibel in ſeinem Cloſet in die Augen fiel, hinein-
zukucken: und darauf fand ich allenthalben, wo
ich nur aufſchlug, daß vortreffliche Dinge da-
rinn ſtuͤnden. Jch habe mir eine geborgt, als
ich die obigen Betrachtungen von Fr. Lovick be-
kam: denn ich war begierig, dieſelben mit dem
Buche zu vergleichen; weil ich ſchwerlich glaub-
te, daß ſie darinn ſo ausnehmend bequem zur
Sache eingerichtet ſeyn koͤnnten, als ich wirklich
befinde. Zu einer oder der andern Zeit kann es
gar leicht geſchehen, daß ich mich entſchließe, ſie
ganz mit fluͤchtigen Augen durchzulaufen.
Dieß iſt inzwiſchen gewiß, ich unterſtehe mich
es zu wiederholen, daß die Schreibart eben die-
jenige ungekuͤnſtelte, einfaͤltige und natuͤrliche iſt,
welche wir an andern Schriftſtellern uͤber alle
Maaßen bewundern wuͤrden. Hiernaͤchſt iſt ſich
alle Welt uͤber ihr Alterthum und ihre Glaub-
wuͤrdigkeit einig: und die Gelehrten ſuchen mit
groͤßtem Fleiße, ihre verſchiedne Beweisgruͤnde
hievon durch die Ausſpruͤche und Verordnungen
derſelben zu beſtaͤrken. Jch ward, in der That,
bey meinem Onkel, ſo von ihr eingenommen, daß
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/523>, abgerufen am 22.11.2024.
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