Säften in seinen Adern, und mit ihren Federn und Decken an seinem Leibe strotzig einhergehet. Denn was hat er eigenes, außer einer boshaften, meerkatzenmäßigen, argen Natur. Dennoch denkt er, daß er völlige Freyheit habe, ein jedes würdigers Geschöpfe zu stoßen, zu schlagen, zu treiben: und wenn er keine von den Thieren nie- derzujagen und zu mishandeln hat; so wird er seine Macht, seine Stärke, seinen Reichthum an- wenden, ohnmächtigere und schwächere von seiner eignen Art zu unterdrücken.
Wenn ihr und ich das erste mal zusammen kommen: so wollen wir weitläuftiger von dieser Sache reden. Jch darf wohl sagen, wir werden wechselsweise den beyden Weisen des Alterthums nachzuahmen, bald zu weinen und bald zu lachen haben: wenn wir bedenken, was für elende und doch eingebildete Wesen die Menschen überhaupt, aber wir liederlichen Brüder insonderheit, sind.
Jch traf bey Dorrell eben diesen Abend ei- nen Aussatz, unter dem Titel, die Hauptsprü- che der heiligen Schrift, von ungefähr an, welchen ein gewisser Blackwall verfertiget hat.
Jch nahm ihn mit mir zu Hause; und hatte kaum zwölf Seiten gelesen: als ich überzeuget wurde, daß ich mich vor mir selber schämen müßte; wenn ich bedenke, wie sehr ich lange nicht so edle, und lange nicht so natürliche Schönheiten in heidnischen Schriftstellern bewundert habe, da ich unterdessen von dieser vortrefflichsten Sammlung von Schönheiten, von der Bibel,
nichts
K k 4
Saͤften in ſeinen Adern, und mit ihren Federn und Decken an ſeinem Leibe ſtrotzig einhergehet. Denn was hat er eigenes, außer einer boshaften, meerkatzenmaͤßigen, argen Natur. Dennoch denkt er, daß er voͤllige Freyheit habe, ein jedes wuͤrdigers Geſchoͤpfe zu ſtoßen, zu ſchlagen, zu treiben: und wenn er keine von den Thieren nie- derzujagen und zu mishandeln hat; ſo wird er ſeine Macht, ſeine Staͤrke, ſeinen Reichthum an- wenden, ohnmaͤchtigere und ſchwaͤchere von ſeiner eignen Art zu unterdruͤcken.
Wenn ihr und ich das erſte mal zuſammen kommen: ſo wollen wir weitlaͤuftiger von dieſer Sache reden. Jch darf wohl ſagen, wir werden wechſelsweiſe den beyden Weiſen des Alterthums nachzuahmen, bald zu weinen und bald zu lachen haben: wenn wir bedenken, was fuͤr elende und doch eingebildete Weſen die Menſchen uͤberhaupt, aber wir liederlichen Bruͤder inſonderheit, ſind.
Jch traf bey Dorrell eben dieſen Abend ei- nen Auſſatz, unter dem Titel, die Hauptſpruͤ- che der heiligen Schrift, von ungefaͤhr an, welchen ein gewiſſer Blackwall verfertiget hat.
Jch nahm ihn mit mir zu Hauſe; und hatte kaum zwoͤlf Seiten geleſen: als ich uͤberzeuget wurde, daß ich mich vor mir ſelber ſchaͤmen muͤßte; wenn ich bedenke, wie ſehr ich lange nicht ſo edle, und lange nicht ſo natuͤrliche Schoͤnheiten in heidniſchen Schriftſtellern bewundert habe, da ich unterdeſſen von dieſer vortrefflichſten Sammlung von Schoͤnheiten, von der Bibel,
nichts
K k 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0525"n="519"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Saͤften in ſeinen Adern, und mit ihren Federn<lb/>
und Decken an ſeinem Leibe ſtrotzig einhergehet.<lb/>
Denn was hat er eigenes, außer einer boshaften,<lb/>
meerkatzenmaͤßigen, argen Natur. Dennoch<lb/>
denkt er, daß er voͤllige Freyheit habe, ein jedes<lb/>
wuͤrdigers Geſchoͤpfe zu ſtoßen, zu ſchlagen, zu<lb/>
treiben: und wenn er keine von den Thieren nie-<lb/>
derzujagen und zu mishandeln hat; ſo wird er<lb/>ſeine Macht, ſeine Staͤrke, ſeinen Reichthum an-<lb/>
wenden, ohnmaͤchtigere und ſchwaͤchere von ſeiner<lb/>
eignen Art zu unterdruͤcken.</p><lb/><p>Wenn ihr und ich das erſte mal zuſammen<lb/>
kommen: ſo wollen wir weitlaͤuftiger von dieſer<lb/>
Sache reden. Jch darf wohl ſagen, wir werden<lb/>
wechſelsweiſe den beyden Weiſen des Alterthums<lb/>
nachzuahmen, bald zu weinen und bald zu lachen<lb/>
haben: wenn wir bedenken, was fuͤr elende und<lb/>
doch eingebildete Weſen die Menſchen uͤberhaupt,<lb/>
aber wir liederlichen Bruͤder inſonderheit, ſind.</p><lb/><p>Jch traf bey Dorrell eben dieſen Abend ei-<lb/>
nen Auſſatz, unter dem Titel, <hirendition="#fr">die Hauptſpruͤ-<lb/>
che der heiligen Schrift,</hi> von ungefaͤhr an,<lb/>
welchen ein gewiſſer Blackwall verfertiget hat.</p><lb/><p>Jch nahm ihn mit mir zu Hauſe; und hatte<lb/>
kaum zwoͤlf Seiten geleſen: als ich uͤberzeuget<lb/>
wurde, daß ich mich vor mir ſelber ſchaͤmen<lb/>
muͤßte; wenn ich bedenke, wie ſehr ich lange nicht<lb/>ſo edle, und lange nicht ſo natuͤrliche Schoͤnheiten<lb/>
in heidniſchen Schriftſtellern bewundert habe,<lb/>
da ich unterdeſſen von dieſer vortrefflichſten<lb/>
Sammlung von Schoͤnheiten, von der Bibel,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K k 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">nichts</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[519/0525]
Saͤften in ſeinen Adern, und mit ihren Federn
und Decken an ſeinem Leibe ſtrotzig einhergehet.
Denn was hat er eigenes, außer einer boshaften,
meerkatzenmaͤßigen, argen Natur. Dennoch
denkt er, daß er voͤllige Freyheit habe, ein jedes
wuͤrdigers Geſchoͤpfe zu ſtoßen, zu ſchlagen, zu
treiben: und wenn er keine von den Thieren nie-
derzujagen und zu mishandeln hat; ſo wird er
ſeine Macht, ſeine Staͤrke, ſeinen Reichthum an-
wenden, ohnmaͤchtigere und ſchwaͤchere von ſeiner
eignen Art zu unterdruͤcken.
Wenn ihr und ich das erſte mal zuſammen
kommen: ſo wollen wir weitlaͤuftiger von dieſer
Sache reden. Jch darf wohl ſagen, wir werden
wechſelsweiſe den beyden Weiſen des Alterthums
nachzuahmen, bald zu weinen und bald zu lachen
haben: wenn wir bedenken, was fuͤr elende und
doch eingebildete Weſen die Menſchen uͤberhaupt,
aber wir liederlichen Bruͤder inſonderheit, ſind.
Jch traf bey Dorrell eben dieſen Abend ei-
nen Auſſatz, unter dem Titel, die Hauptſpruͤ-
che der heiligen Schrift, von ungefaͤhr an,
welchen ein gewiſſer Blackwall verfertiget hat.
Jch nahm ihn mit mir zu Hauſe; und hatte
kaum zwoͤlf Seiten geleſen: als ich uͤberzeuget
wurde, daß ich mich vor mir ſelber ſchaͤmen
muͤßte; wenn ich bedenke, wie ſehr ich lange nicht
ſo edle, und lange nicht ſo natuͤrliche Schoͤnheiten
in heidniſchen Schriftſtellern bewundert habe,
da ich unterdeſſen von dieſer vortrefflichſten
Sammlung von Schoͤnheiten, von der Bibel,
nichts
K k 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/525>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.