Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


"Es ist nicht nöthig, daß ich wiederhole, was
"hierauf erfolgte. So unerhörte schändliche
"Ränke! - - denn ich gab ihm keine Gelegen-
"heit, sich eines meiner Ehre nachtheiligen Vor-
"theils über mich bedienen zu können.

Hier hielte sie inne, und bedeckte ihr ange-
nehmes Gesicht halb mit ihrem Schnupstuche,
das sie an ihren thränenden Augen hielte.

Jn Geschwindigkeit, als wenn sie dem ver-
haßten Andenken entgehen wollte, nahm sie das
Wort wieder. - - "Jch entflohe hernach aus
"diesem abscheulichen Hause in seiner Abwesen-
"heit, und kam zu ihnen. Dieser Cavallier hat
"mich beynahe überredet, daß der undankbare
"Mensch an dem schändlichen Verhaft durch sei-
"ne Nachsicht nicht Theil gehabt habe. Man
"hat mich sonder Zweifel eingezogen, damit man
"mich noch einmal zu dem gottlosen Hause zu-
"rückbringen möchte: denn ich bin ihnen nichts
"schuldig, es wäre denn, daß ich sie dafür bezah-
"len sollte" - - Sie seufzete und trocknete ihre
schönen Augen wieder ab - - und setzte mit ei-
ner sanftmüthigern und schwächern Stimme
hinzu - - "daß ich unglücklich und zu schan-
"den gemachet bin!
"

Jn Wahrheit, gnädige Fräulein, sagte ich,
so strafwürdig, so abscheulich strafwürdig er auch
in allen übrigen Stücken ist, so ist er doch an die-
ser letzten gottlosen Gewaltthätigkeit unschul-
dig.

"Es
Sechster Theil. F f


„Es iſt nicht noͤthig, daß ich wiederhole, was
„hierauf erfolgte. So unerhoͤrte ſchaͤndliche
„Raͤnke! ‒ ‒ denn ich gab ihm keine Gelegen-
„heit, ſich eines meiner Ehre nachtheiligen Vor-
„theils uͤber mich bedienen zu koͤnnen.

Hier hielte ſie inne, und bedeckte ihr ange-
nehmes Geſicht halb mit ihrem Schnupſtuche,
das ſie an ihren thraͤnenden Augen hielte.

Jn Geſchwindigkeit, als wenn ſie dem ver-
haßten Andenken entgehen wollte, nahm ſie das
Wort wieder. ‒ ‒ „Jch entflohe hernach aus
„dieſem abſcheulichen Hauſe in ſeiner Abweſen-
„heit, und kam zu ihnen. Dieſer Cavallier hat
„mich beynahe uͤberredet, daß der undankbare
„Menſch an dem ſchaͤndlichen Verhaft durch ſei-
„ne Nachſicht nicht Theil gehabt habe. Man
„hat mich ſonder Zweifel eingezogen, damit man
„mich noch einmal zu dem gottloſen Hauſe zu-
„ruͤckbringen moͤchte: denn ich bin ihnen nichts
„ſchuldig, es waͤre denn, daß ich ſie dafuͤr bezah-
„len ſollte“ ‒ ‒ Sie ſeufzete und trocknete ihre
ſchoͤnen Augen wieder ab ‒ ‒ und ſetzte mit ei-
ner ſanftmuͤthigern und ſchwaͤchern Stimme
hinzu ‒ ‒ „daß ich ungluͤcklich und zu ſchan-
„den gemachet bin!

Jn Wahrheit, gnaͤdige Fraͤulein, ſagte ich,
ſo ſtrafwuͤrdig, ſo abſcheulich ſtrafwuͤrdig er auch
in allen uͤbrigen Stuͤcken iſt, ſo iſt er doch an die-
ſer letzten gottloſen Gewaltthaͤtigkeit unſchul-
dig.

„Es
Sechſter Theil. F f
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0455" n="449"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>&#x201E;Es i&#x017F;t nicht no&#x0364;thig, daß ich wiederhole, was<lb/>
&#x201E;hierauf erfolgte. So unerho&#x0364;rte &#x017F;cha&#x0364;ndliche<lb/>
&#x201E;Ra&#x0364;nke! &#x2012; &#x2012; denn ich gab ihm keine Gelegen-<lb/>
&#x201E;heit, &#x017F;ich eines meiner Ehre nachtheiligen Vor-<lb/>
&#x201E;theils u&#x0364;ber mich bedienen zu ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Hier hielte &#x017F;ie inne, und bedeckte ihr ange-<lb/>
nehmes Ge&#x017F;icht halb mit ihrem Schnup&#x017F;tuche,<lb/>
das &#x017F;ie an ihren thra&#x0364;nenden Augen hielte.</p><lb/>
          <p>Jn Ge&#x017F;chwindigkeit, als wenn &#x017F;ie dem ver-<lb/>
haßten Andenken entgehen wollte, nahm &#x017F;ie das<lb/>
Wort wieder. &#x2012; &#x2012; &#x201E;Jch entflohe hernach aus<lb/>
&#x201E;die&#x017F;em ab&#x017F;cheulichen Hau&#x017F;e in &#x017F;einer Abwe&#x017F;en-<lb/>
&#x201E;heit, und kam zu ihnen. Die&#x017F;er Cavallier hat<lb/>
&#x201E;mich beynahe u&#x0364;berredet, daß der undankbare<lb/>
&#x201E;Men&#x017F;ch an dem &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Verhaft durch &#x017F;ei-<lb/>
&#x201E;ne Nach&#x017F;icht nicht Theil gehabt habe. Man<lb/>
&#x201E;hat mich &#x017F;onder Zweifel eingezogen, damit man<lb/>
&#x201E;mich noch einmal zu dem gottlo&#x017F;en Hau&#x017F;e zu-<lb/>
&#x201E;ru&#x0364;ckbringen mo&#x0364;chte: denn ich bin ihnen nichts<lb/>
&#x201E;&#x017F;chuldig, es wa&#x0364;re denn, daß ich &#x017F;ie dafu&#x0364;r bezah-<lb/>
&#x201E;len &#x017F;ollte&#x201C; &#x2012; &#x2012; Sie &#x017F;eufzete und trocknete ihre<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Augen wieder ab &#x2012; &#x2012; und &#x017F;etzte mit ei-<lb/>
ner &#x017F;anftmu&#x0364;thigern und &#x017F;chwa&#x0364;chern Stimme<lb/>
hinzu &#x2012; &#x2012; &#x201E;<hi rendition="#fr">daß ich unglu&#x0364;cklich und zu &#x017F;chan-<lb/>
&#x201E;den gemachet bin!</hi>&#x201C;</p><lb/>
          <p>Jn Wahrheit, gna&#x0364;dige Fra&#x0364;ulein, &#x017F;agte ich,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;trafwu&#x0364;rdig, &#x017F;o ab&#x017F;cheulich &#x017F;trafwu&#x0364;rdig er auch<lb/>
in allen u&#x0364;brigen Stu&#x0364;cken i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t er doch an die-<lb/>
&#x017F;er letzten gottlo&#x017F;en Gewalttha&#x0364;tigkeit un&#x017F;chul-<lb/>
dig.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Sech&#x017F;ter Theil.</hi> F f</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Es</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449/0455] „Es iſt nicht noͤthig, daß ich wiederhole, was „hierauf erfolgte. So unerhoͤrte ſchaͤndliche „Raͤnke! ‒ ‒ denn ich gab ihm keine Gelegen- „heit, ſich eines meiner Ehre nachtheiligen Vor- „theils uͤber mich bedienen zu koͤnnen. Hier hielte ſie inne, und bedeckte ihr ange- nehmes Geſicht halb mit ihrem Schnupſtuche, das ſie an ihren thraͤnenden Augen hielte. Jn Geſchwindigkeit, als wenn ſie dem ver- haßten Andenken entgehen wollte, nahm ſie das Wort wieder. ‒ ‒ „Jch entflohe hernach aus „dieſem abſcheulichen Hauſe in ſeiner Abweſen- „heit, und kam zu ihnen. Dieſer Cavallier hat „mich beynahe uͤberredet, daß der undankbare „Menſch an dem ſchaͤndlichen Verhaft durch ſei- „ne Nachſicht nicht Theil gehabt habe. Man „hat mich ſonder Zweifel eingezogen, damit man „mich noch einmal zu dem gottloſen Hauſe zu- „ruͤckbringen moͤchte: denn ich bin ihnen nichts „ſchuldig, es waͤre denn, daß ich ſie dafuͤr bezah- „len ſollte“ ‒ ‒ Sie ſeufzete und trocknete ihre ſchoͤnen Augen wieder ab ‒ ‒ und ſetzte mit ei- ner ſanftmuͤthigern und ſchwaͤchern Stimme hinzu ‒ ‒ „daß ich ungluͤcklich und zu ſchan- „den gemachet bin!“ Jn Wahrheit, gnaͤdige Fraͤulein, ſagte ich, ſo ſtrafwuͤrdig, ſo abſcheulich ſtrafwuͤrdig er auch in allen uͤbrigen Stuͤcken iſt, ſo iſt er doch an die- ſer letzten gottloſen Gewaltthaͤtigkeit unſchul- dig. „Es Sechſter Theil. F f

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/455
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/455>, abgerufen am 27.07.2024.