Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



erzittern: denn meine Schwester hat ein hartes
Herze.

Jch sagte etwas wider ihre Freunde: in so
fern als ich zu erkennen gab, was man nach
Verdienst von ihnen denken würde, wenn der
unverdiente Fluch nicht von ihr genommen wer-
den sollte. - - Dabey faßte sie mich, und redete
auf eine so kindliche Art von ihren Eltern, daß
eben dieß ihnen, wo sie unversöhnlich bleiben,
für ihr unmenschliches Verfahren mit einer sol-
chen Tochter, eine gedoppelte Verdammniß zu-
wege bringen muß.

Jch müßte ihre Eltern nicht tadeln, waren
ihre Worte: das wäre der Fehler an ihrer lieb-
sten Fräulein Howe. Wie ungeheuer wäre ihr
Verbrechen, daß es den besten Eltern, wie sie sich
ihr bewiesen hätten, bis sie ihnen misfällig ge-
worden wäre, einen bösen Schein gäbe, weil sie
die Unbesonnenheit eines Kindes, von dessen Er-
ziehung sie mit Recht bessere Früchte erwarten
können, mit Unwillen ahndeten! Es wären al-
lerdings einige harte Umstände in ihrem Schick-
sal: aber mein Freund könnte mir sagen, daß
bey dem ganzen unglücklichen Verlauf der Sa-
che, niemand, als sie selbst, wider seinen Cha-
racter gehandelt hätte. Sie unterwürfe sich da-
her der Strafe, die sie sich zugezogen. Hätten
jene etwas versehen: so wäre es dieß einzige, daß
sie sich nicht nach einigen Umständen, welche ihre
Missethat ein wenig verringern würden, erkundi-

gen
E e 2



erzittern: denn meine Schweſter hat ein hartes
Herze.

Jch ſagte etwas wider ihre Freunde: in ſo
fern als ich zu erkennen gab, was man nach
Verdienſt von ihnen denken wuͤrde, wenn der
unverdiente Fluch nicht von ihr genommen wer-
den ſollte. ‒ ‒ Dabey faßte ſie mich, und redete
auf eine ſo kindliche Art von ihren Eltern, daß
eben dieß ihnen, wo ſie unverſoͤhnlich bleiben,
fuͤr ihr unmenſchliches Verfahren mit einer ſol-
chen Tochter, eine gedoppelte Verdammniß zu-
wege bringen muß.

Jch muͤßte ihre Eltern nicht tadeln, waren
ihre Worte: das waͤre der Fehler an ihrer lieb-
ſten Fraͤulein Howe. Wie ungeheuer waͤre ihr
Verbrechen, daß es den beſten Eltern, wie ſie ſich
ihr bewieſen haͤtten, bis ſie ihnen misfaͤllig ge-
worden waͤre, einen boͤſen Schein gaͤbe, weil ſie
die Unbeſonnenheit eines Kindes, von deſſen Er-
ziehung ſie mit Recht beſſere Fruͤchte erwarten
koͤnnen, mit Unwillen ahndeten! Es waͤren al-
lerdings einige harte Umſtaͤnde in ihrem Schick-
ſal: aber mein Freund koͤnnte mir ſagen, daß
bey dem ganzen ungluͤcklichen Verlauf der Sa-
che, niemand, als ſie ſelbſt, wider ſeinen Cha-
racter gehandelt haͤtte. Sie unterwuͤrfe ſich da-
her der Strafe, die ſie ſich zugezogen. Haͤtten
jene etwas verſehen: ſo waͤre es dieß einzige, daß
ſie ſich nicht nach einigen Umſtaͤnden, welche ihre
Miſſethat ein wenig verringern wuͤrden, erkundi-

gen
E e 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0441" n="435"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
erzittern: denn meine Schwe&#x017F;ter hat ein hartes<lb/>
Herze.</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;agte etwas wider ihre Freunde: in &#x017F;o<lb/>
fern als ich zu erkennen gab, was man nach<lb/>
Verdien&#x017F;t von ihnen denken wu&#x0364;rde, wenn der<lb/>
unverdiente Fluch nicht von ihr genommen wer-<lb/>
den &#x017F;ollte. &#x2012; &#x2012; Dabey faßte &#x017F;ie mich, und redete<lb/>
auf eine &#x017F;o kindliche Art von ihren Eltern, daß<lb/>
eben dieß ihnen, wo &#x017F;ie unver&#x017F;o&#x0364;hnlich bleiben,<lb/>
fu&#x0364;r ihr unmen&#x017F;chliches Verfahren mit einer &#x017F;ol-<lb/>
chen Tochter, eine gedoppelte Verdammniß zu-<lb/>
wege bringen muß.</p><lb/>
          <p>Jch mu&#x0364;ßte ihre Eltern nicht tadeln, waren<lb/>
ihre Worte: das wa&#x0364;re der Fehler an ihrer lieb-<lb/>
&#x017F;ten Fra&#x0364;ulein Howe. Wie ungeheuer wa&#x0364;re ihr<lb/>
Verbrechen, daß es den be&#x017F;ten Eltern, wie &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
ihr bewie&#x017F;en ha&#x0364;tten, bis &#x017F;ie ihnen misfa&#x0364;llig ge-<lb/>
worden wa&#x0364;re, einen bo&#x0364;&#x017F;en Schein ga&#x0364;be, weil &#x017F;ie<lb/>
die Unbe&#x017F;onnenheit eines Kindes, von de&#x017F;&#x017F;en Er-<lb/>
ziehung &#x017F;ie mit Recht be&#x017F;&#x017F;ere Fru&#x0364;chte erwarten<lb/>
ko&#x0364;nnen, mit Unwillen ahndeten! Es wa&#x0364;ren al-<lb/>
lerdings einige harte Um&#x017F;ta&#x0364;nde in ihrem Schick-<lb/>
&#x017F;al: aber mein <hi rendition="#fr">Freund</hi> ko&#x0364;nnte mir &#x017F;agen, daß<lb/>
bey dem ganzen unglu&#x0364;cklichen Verlauf der Sa-<lb/>
che, <hi rendition="#fr">niemand,</hi> als <hi rendition="#fr">&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t,</hi> wider &#x017F;einen Cha-<lb/>
racter gehandelt ha&#x0364;tte. Sie unterwu&#x0364;rfe &#x017F;ich da-<lb/>
her der Strafe, die &#x017F;ie &#x017F;ich zugezogen. Ha&#x0364;tten<lb/>
jene etwas ver&#x017F;ehen: &#x017F;o wa&#x0364;re es dieß einzige, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich nicht nach einigen Um&#x017F;ta&#x0364;nden, welche ihre<lb/>
Mi&#x017F;&#x017F;ethat ein wenig verringern wu&#x0364;rden, erkundi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e 2</fw><fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0441] erzittern: denn meine Schweſter hat ein hartes Herze. Jch ſagte etwas wider ihre Freunde: in ſo fern als ich zu erkennen gab, was man nach Verdienſt von ihnen denken wuͤrde, wenn der unverdiente Fluch nicht von ihr genommen wer- den ſollte. ‒ ‒ Dabey faßte ſie mich, und redete auf eine ſo kindliche Art von ihren Eltern, daß eben dieß ihnen, wo ſie unverſoͤhnlich bleiben, fuͤr ihr unmenſchliches Verfahren mit einer ſol- chen Tochter, eine gedoppelte Verdammniß zu- wege bringen muß. Jch muͤßte ihre Eltern nicht tadeln, waren ihre Worte: das waͤre der Fehler an ihrer lieb- ſten Fraͤulein Howe. Wie ungeheuer waͤre ihr Verbrechen, daß es den beſten Eltern, wie ſie ſich ihr bewieſen haͤtten, bis ſie ihnen misfaͤllig ge- worden waͤre, einen boͤſen Schein gaͤbe, weil ſie die Unbeſonnenheit eines Kindes, von deſſen Er- ziehung ſie mit Recht beſſere Fruͤchte erwarten koͤnnen, mit Unwillen ahndeten! Es waͤren al- lerdings einige harte Umſtaͤnde in ihrem Schick- ſal: aber mein Freund koͤnnte mir ſagen, daß bey dem ganzen ungluͤcklichen Verlauf der Sa- che, niemand, als ſie ſelbſt, wider ſeinen Cha- racter gehandelt haͤtte. Sie unterwuͤrfe ſich da- her der Strafe, die ſie ſich zugezogen. Haͤtten jene etwas verſehen: ſo waͤre es dieß einzige, daß ſie ſich nicht nach einigen Umſtaͤnden, welche ihre Miſſethat ein wenig verringern wuͤrden, erkundi- gen E e 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/441
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/441>, abgerufen am 23.11.2024.