Jch bat sie, darauf bedacht zu seyn, daß sie das jämmerliche Loch verlassen möchte.
Wohin könnte sie gehen, war ihre Frage, für den kurzen Ueberrest ihres Lebens sicher und ungestört zu seyn, und neuen Besuchen von de- nen Weibsleuten, die ihren Spott vorher mit ihr getrieben hätten, zu entgehen?
Jch gab ihr die feyerlichsten Versicherungen, daß sie in ihrer neuen Wohnung von keiner See- le sollte beunruhigt werden, und ich meine Ehre insbesondere dafür zum Pfande setzen wollte, daß diejenige Person, von der sie am meisten be- leidigt wäre, nicht, ohne ihre eigne Ein- willigung, zu ihr kommen sollte.
Jhre Ehre, mein Herr! Sind sie nicht des Menschen Freund?
Jch bin kein Freund, gnädige Fräulein, von seinen schändlichen Handlungen gegen das vor- trefflichste Frauenzimmer auf der Welt.
Schmeicheln sie mir, mein Herr? Hiernächst sind sie ja eine Mannsperson - - Aber o! mein Herr, was hat ihr Freund, ihr unmenschlicher Freund, nicht zu verantworten! - - Jndem sie dieß sagte: reckte sie ihren Kopf mit großem Ernst hervor.
Sie brach aber damit ab. Das Herz ward ihr schwer und war zu voll. Sie hielte ihre Hand über die Augen und über die Stirn: und die Thränen fielen tropfenweise durch ihre Fin- ger. Es schien, als wenn ihr deine unmensch-
liche
Jch bat ſie, darauf bedacht zu ſeyn, daß ſie das jaͤmmerliche Loch verlaſſen moͤchte.
Wohin koͤnnte ſie gehen, war ihre Frage, fuͤr den kurzen Ueberreſt ihres Lebens ſicher und ungeſtoͤrt zu ſeyn, und neuen Beſuchen von de- nen Weibsleuten, die ihren Spott vorher mit ihr getrieben haͤtten, zu entgehen?
Jch gab ihr die feyerlichſten Verſicherungen, daß ſie in ihrer neuen Wohnung von keiner See- le ſollte beunruhigt werden, und ich meine Ehre insbeſondere dafuͤr zum Pfande ſetzen wollte, daß diejenige Perſon, von der ſie am meiſten be- leidigt waͤre, nicht, ohne ihre eigne Ein- willigung, zu ihr kommen ſollte.
Jhre Ehre, mein Herr! Sind ſie nicht des Menſchen Freund?
Jch bin kein Freund, gnaͤdige Fraͤulein, von ſeinen ſchaͤndlichen Handlungen gegen das vor- trefflichſte Frauenzimmer auf der Welt.
Schmeicheln ſie mir, mein Herr? Hiernaͤchſt ſind ſie ja eine Mannsperſon ‒ ‒ Aber o! mein Herr, was hat ihr Freund, ihr unmenſchlicher Freund, nicht zu verantworten! ‒ ‒ Jndem ſie dieß ſagte: reckte ſie ihren Kopf mit großem Ernſt hervor.
Sie brach aber damit ab. Das Herz ward ihr ſchwer und war zu voll. Sie hielte ihre Hand uͤber die Augen und uͤber die Stirn: und die Thraͤnen fielen tropfenweiſe durch ihre Fin- ger. Es ſchien, als wenn ihr deine unmenſch-
liche
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Jch bat ſie, darauf bedacht zu ſeyn, daß ſie
das jaͤmmerliche Loch verlaſſen moͤchte.
Wohin koͤnnte ſie gehen, war ihre Frage,
fuͤr den kurzen Ueberreſt ihres Lebens ſicher und
ungeſtoͤrt zu ſeyn, und neuen Beſuchen von de-
nen Weibsleuten, die ihren Spott vorher mit
ihr getrieben haͤtten, zu entgehen?
Jch gab ihr die feyerlichſten Verſicherungen,
daß ſie in ihrer neuen Wohnung von keiner See-
le ſollte beunruhigt werden, und ich meine Ehre
insbeſondere dafuͤr zum Pfande ſetzen wollte, daß
diejenige Perſon, von der ſie am meiſten be-
leidigt waͤre, nicht, ohne ihre eigne Ein-
willigung, zu ihr kommen ſollte.
Jhre Ehre, mein Herr! Sind ſie nicht des
Menſchen Freund?
Jch bin kein Freund, gnaͤdige Fraͤulein, von
ſeinen ſchaͤndlichen Handlungen gegen das vor-
trefflichſte Frauenzimmer auf der Welt.
Schmeicheln ſie mir, mein Herr? Hiernaͤchſt
ſind ſie ja eine Mannsperſon ‒ ‒ Aber o! mein
Herr, was hat ihr Freund, ihr unmenſchlicher
Freund, nicht zu verantworten! ‒ ‒ Jndem ſie
dieß ſagte: reckte ſie ihren Kopf mit großem
Ernſt hervor.
Sie brach aber damit ab. Das Herz ward
ihr ſchwer und war zu voll. Sie hielte ihre
Hand uͤber die Augen und uͤber die Stirn: und
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/338>, abgerufen am 22.11.2024.
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