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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

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liche Grausamkeit so empfindlich war, als Cä-
sarn der Stich von seinem Liebling, Brutus!

Ob sie gleich so sehr in Unordnung war: so
dachte ich doch, daß ich diese Gewogenheit nicht vor-
beylassen wollte, eure Unschuld an diesem schänd-
lichen Verhaft zu betheuren.

Man kann den unglücklichen Menschen un-
möglich in irgend einer von den ehrlosen Hand-
lungen gegen sie vertheidigen, gnädige Fräulein:
aber an dieser letzten Gewaltthätigkeit ist er, bey
allem, was gut und heilig heißt, unschuldig!

O elende Leute! Wie seltsam ist das männ-
liche Geschlecht! - - Führen sie denn alle eine
Sprache? Was gut und heilig heißt! - - Wo
sie einen Eid, oder ein Gelübde, oder eine Be-
schwörung finden können, mein Herr, wodurch
meine Ohren nicht zwanzig mal an einem Tage
beleidigt sind: so mögen sie dieselbe aussprechen;
und dann mag ich wieder einer Mannsperson
glauben.

Diese Worte rührten mich über alle Maaße:
weil ich wußte, wie niederträchtig du gewesen
warest, und was sie deswegen für Ursache hatte,
so zu reden.

Aber sagen sie, mein Herr; denn mich deucht,
ich wollte gern, daß der elende Mensch nicht ei-
ner so pöbelhaften Niederträchtigkeit fähig seyn
möchte! - - Sagen sie, daß er an dieser letzten
Schandthat unschuldig sey? Können sie das mit
Wahrheit sagen?

So wahr Gott im Himmel lebt! - -

Ey,



liche Grauſamkeit ſo empfindlich war, als Caͤ-
ſarn der Stich von ſeinem Liebling, Brutus!

Ob ſie gleich ſo ſehr in Unordnung war: ſo
dachte ich doch, daß ich dieſe Gewogenheit nicht vor-
beylaſſen wollte, eure Unſchuld an dieſem ſchaͤnd-
lichen Verhaft zu betheuren.

Man kann den ungluͤcklichen Menſchen un-
moͤglich in irgend einer von den ehrloſen Hand-
lungen gegen ſie vertheidigen, gnaͤdige Fraͤulein:
aber an dieſer letzten Gewaltthaͤtigkeit iſt er, bey
allem, was gut und heilig heißt, unſchuldig!

O elende Leute! Wie ſeltſam iſt das maͤnn-
liche Geſchlecht! ‒ ‒ Fuͤhren ſie denn alle eine
Sprache? Was gut und heilig heißt! ‒ ‒ Wo
ſie einen Eid, oder ein Geluͤbde, oder eine Be-
ſchwoͤrung finden koͤnnen, mein Herr, wodurch
meine Ohren nicht zwanzig mal an einem Tage
beleidigt ſind: ſo moͤgen ſie dieſelbe ausſprechen;
und dann mag ich wieder einer Mannsperſon
glauben.

Dieſe Worte ruͤhrten mich uͤber alle Maaße:
weil ich wußte, wie niedertraͤchtig du geweſen
wareſt, und was ſie deswegen fuͤr Urſache hatte,
ſo zu reden.

Aber ſagen ſie, mein Herr; denn mich deucht,
ich wollte gern, daß der elende Menſch nicht ei-
ner ſo poͤbelhaften Niedertraͤchtigkeit faͤhig ſeyn
moͤchte! ‒ ‒ Sagen ſie, daß er an dieſer letzten
Schandthat unſchuldig ſey? Koͤnnen ſie das mit
Wahrheit ſagen?

So wahr Gott im Himmel lebt! ‒ ‒

Ey,
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[333/0339] liche Grauſamkeit ſo empfindlich war, als Caͤ- ſarn der Stich von ſeinem Liebling, Brutus! Ob ſie gleich ſo ſehr in Unordnung war: ſo dachte ich doch, daß ich dieſe Gewogenheit nicht vor- beylaſſen wollte, eure Unſchuld an dieſem ſchaͤnd- lichen Verhaft zu betheuren. Man kann den ungluͤcklichen Menſchen un- moͤglich in irgend einer von den ehrloſen Hand- lungen gegen ſie vertheidigen, gnaͤdige Fraͤulein: aber an dieſer letzten Gewaltthaͤtigkeit iſt er, bey allem, was gut und heilig heißt, unſchuldig! O elende Leute! Wie ſeltſam iſt das maͤnn- liche Geſchlecht! ‒ ‒ Fuͤhren ſie denn alle eine Sprache? Was gut und heilig heißt! ‒ ‒ Wo ſie einen Eid, oder ein Geluͤbde, oder eine Be- ſchwoͤrung finden koͤnnen, mein Herr, wodurch meine Ohren nicht zwanzig mal an einem Tage beleidigt ſind: ſo moͤgen ſie dieſelbe ausſprechen; und dann mag ich wieder einer Mannsperſon glauben. Dieſe Worte ruͤhrten mich uͤber alle Maaße: weil ich wußte, wie niedertraͤchtig du geweſen wareſt, und was ſie deswegen fuͤr Urſache hatte, ſo zu reden. Aber ſagen ſie, mein Herr; denn mich deucht, ich wollte gern, daß der elende Menſch nicht ei- ner ſo poͤbelhaften Niedertraͤchtigkeit faͤhig ſeyn moͤchte! ‒ ‒ Sagen ſie, daß er an dieſer letzten Schandthat unſchuldig ſey? Koͤnnen ſie das mit Wahrheit ſagen? So wahr Gott im Himmel lebt! ‒ ‒ Ey,

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/339>, abgerufen am 22.11.2024.