und auf den Apotheker. Es wäre nicht das ge- ringste unter ihrem gegenwärtigen Unglück, sprach sie, daß sie nicht Personen von ihrem eignen Ge- schlechte überlassen seyn, und die freye Wahl ha- ben könnte, zu sehen, wen es ihr zu sehen be- liebte.
Jch bat sie um Entschuldigung, und winkte dem Apotheker, wegzugehen, welches er that. Jch vermeldete ihr hierauf, daß ich in ihrer neu- en Wohnung gewesen wäre, damit man alles be- reit halten sollte, sie zu empfangen: weil ich ver- muthete, sie würde es für das beste halten, dahin zu gehen. Zu dem Ende hätte ich eine Sänfte vor der Thüre. Herr Smith und seine Frau; ich nannte mit Fleiß ihre Namen, damit sie nicht Ursache haben sollte, sich im geringsten vor Sin- clairs Hause zu fürchten; wäre ihrer Sicherheit wegen voller Sorge gewesen. Jch hätte zween Briefe bey mir, welche dort für sie abgegeben wären: der eine von der Post, der andere erst heute frühe.
Dieß machte sie aufmerksam. Sie reckte ihre schöne Hand aus, nahm die Briefe, und drück- te sie an ihre Lippen - - Von der einzigen Freundinn, die ich auf der Welt habe! sagte sie dabey, küßte sie noch einmal, und sahe die Sie- gel an, als wenn sie zusehen wollte, ob sie auch offen gewesen wären. Jch kann sie nicht lesen, setzte sie hinzu: meine Augen sind zu dunkel; und steckte sie in ihren Busem.
Jch
und auf den Apotheker. Es waͤre nicht das ge- ringſte unter ihrem gegenwaͤrtigen Ungluͤck, ſprach ſie, daß ſie nicht Perſonen von ihrem eignen Ge- ſchlechte uͤberlaſſen ſeyn, und die freye Wahl ha- ben koͤnnte, zu ſehen, wen es ihr zu ſehen be- liebte.
Jch bat ſie um Entſchuldigung, und winkte dem Apotheker, wegzugehen, welches er that. Jch vermeldete ihr hierauf, daß ich in ihrer neu- en Wohnung geweſen waͤre, damit man alles be- reit halten ſollte, ſie zu empfangen: weil ich ver- muthete, ſie wuͤrde es fuͤr das beſte halten, dahin zu gehen. Zu dem Ende haͤtte ich eine Saͤnfte vor der Thuͤre. Herr Smith und ſeine Frau; ich nannte mit Fleiß ihre Namen, damit ſie nicht Urſache haben ſollte, ſich im geringſten vor Sin- clairs Hauſe zu fuͤrchten; waͤre ihrer Sicherheit wegen voller Sorge geweſen. Jch haͤtte zween Briefe bey mir, welche dort fuͤr ſie abgegeben waͤren: der eine von der Poſt, der andere erſt heute fruͤhe.
Dieß machte ſie aufmerkſam. Sie reckte ihre ſchoͤne Hand aus, nahm die Briefe, und druͤck- te ſie an ihre Lippen ‒ ‒ Von der einzigen Freundinn, die ich auf der Welt habe! ſagte ſie dabey, kuͤßte ſie noch einmal, und ſahe die Sie- gel an, als wenn ſie zuſehen wollte, ob ſie auch offen geweſen waͤren. Jch kann ſie nicht leſen, ſetzte ſie hinzu: meine Augen ſind zu dunkel; und ſteckte ſie in ihren Buſem.
Jch
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und auf den Apotheker. Es waͤre nicht das ge-
ringſte unter ihrem gegenwaͤrtigen Ungluͤck, ſprach
ſie, daß ſie nicht Perſonen von ihrem eignen Ge-
ſchlechte uͤberlaſſen ſeyn, und die freye Wahl ha-
ben koͤnnte, zu ſehen, wen es ihr zu ſehen be-
liebte.
Jch bat ſie um Entſchuldigung, und winkte
dem Apotheker, wegzugehen, welches er that.
Jch vermeldete ihr hierauf, daß ich in ihrer neu-
en Wohnung geweſen waͤre, damit man alles be-
reit halten ſollte, ſie zu empfangen: weil ich ver-
muthete, ſie wuͤrde es fuͤr das beſte halten, dahin
zu gehen. Zu dem Ende haͤtte ich eine Saͤnfte
vor der Thuͤre. Herr Smith und ſeine Frau;
ich nannte mit Fleiß ihre Namen, damit ſie nicht
Urſache haben ſollte, ſich im geringſten vor Sin-
clairs Hauſe zu fuͤrchten; waͤre ihrer Sicherheit
wegen voller Sorge geweſen. Jch haͤtte zween
Briefe bey mir, welche dort fuͤr ſie abgegeben
waͤren: der eine von der Poſt, der andere erſt
heute fruͤhe.
Dieß machte ſie aufmerkſam. Sie reckte
ihre ſchoͤne Hand aus, nahm die Briefe, und druͤck-
te ſie an ihre Lippen ‒ ‒ Von der einzigen
Freundinn, die ich auf der Welt habe! ſagte ſie
dabey, kuͤßte ſie noch einmal, und ſahe die Sie-
gel an, als wenn ſie zuſehen wollte, ob ſie auch
offen geweſen waͤren. Jch kann ſie nicht leſen,
ſetzte ſie hinzu: meine Augen ſind zu dunkel; und
ſteckte ſie in ihren Buſem.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/337>, abgerufen am 22.11.2024.
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