Sie bewegte ihre Hand zwey oder dreymal auf und nieder gegen die Thüre, als wenn sie mir befehlen wollte, wegzugehen, und über mein Zu- dringen misvergnügt wäre: sprach aber nicht.
Gönnen sie mir, gnädige Fräulein - - Jch will ohne ihre Erlaubniß nicht einen Schritt nä- her kommen - - Gönnen sie mir auf einen Au- genblick ein geneigtes Ohr.
Nein - - Nein - Weg, weg, Mannsper- son - - das Wort sprach sie mit besonderm Nachdruck aus; und würde mehr gesagt haben: allein sie schien die Sprache als verlohren aufzu- geben, nicht anders, als wenn sie sich vergebens bestrebte, Worte herauszubringen; und ließ noch einmal ihren Kopf, mit einem tiefen Seufzer, auf ihren linken Arm niedersinken, indem der rechte von selbst, als wenn sie ihn nicht in ihrer Gewalt hätte, an ihrer Seite, betäubt, wie ich vermuthe, herunter fiel.
O daß du da gewesen wärest! und an mei- ner Stelle! - - Jedoch bin ich durch dasjenige, was ich damals in mir selbst fühlte, überzeuget worden, daß eine Fähigkeit, sich durch das Un- glück unserer Mitgeschöpfe rühren zu lassen, kei- nesweges einem männlichen Herzen schändlich sey. Mit was für einem Vergnügen hätte ich, in dem Augenblick, mein eignes Leben aufgeben können: wenn ich nur vorher dieß reizende Frau- enzimmer zu rächen, und ihrem Verderber, wie sie dich auf eine nachdrückliche Art nennet, ob es gleich der Freund ist, den ich am meisten liebe,
die
Sie bewegte ihre Hand zwey oder dreymal auf und nieder gegen die Thuͤre, als wenn ſie mir befehlen wollte, wegzugehen, und uͤber mein Zu- dringen misvergnuͤgt waͤre: ſprach aber nicht.
Goͤnnen ſie mir, gnaͤdige Fraͤulein ‒ ‒ Jch will ohne ihre Erlaubniß nicht einen Schritt naͤ- her kommen ‒ ‒ Goͤnnen ſie mir auf einen Au- genblick ein geneigtes Ohr.
Nein ‒ ‒ Nein ‒ Weg, weg, Mannsper- ſon ‒ ‒ das Wort ſprach ſie mit beſonderm Nachdruck aus; und wuͤrde mehr geſagt haben: allein ſie ſchien die Sprache als verlohren aufzu- geben, nicht anders, als wenn ſie ſich vergebens beſtrebte, Worte herauszubringen; und ließ noch einmal ihren Kopf, mit einem tiefen Seufzer, auf ihren linken Arm niederſinken, indem der rechte von ſelbſt, als wenn ſie ihn nicht in ihrer Gewalt haͤtte, an ihrer Seite, betaͤubt, wie ich vermuthe, herunter fiel.
O daß du da geweſen waͤreſt! und an mei- ner Stelle! ‒ ‒ Jedoch bin ich durch dasjenige, was ich damals in mir ſelbſt fuͤhlte, uͤberzeuget worden, daß eine Faͤhigkeit, ſich durch das Un- gluͤck unſerer Mitgeſchoͤpfe ruͤhren zu laſſen, kei- nesweges einem maͤnnlichen Herzen ſchaͤndlich ſey. Mit was fuͤr einem Vergnuͤgen haͤtte ich, in dem Augenblick, mein eignes Leben aufgeben koͤnnen: wenn ich nur vorher dieß reizende Frau- enzimmer zu raͤchen, und ihrem Verderber, wie ſie dich auf eine nachdruͤckliche Art nennet, ob es gleich der Freund iſt, den ich am meiſten liebe,
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Sie bewegte ihre Hand zwey oder dreymal
auf und nieder gegen die Thuͤre, als wenn ſie mir
befehlen wollte, wegzugehen, und uͤber mein Zu-
dringen misvergnuͤgt waͤre: ſprach aber nicht.
Goͤnnen ſie mir, gnaͤdige Fraͤulein ‒ ‒ Jch
will ohne ihre Erlaubniß nicht einen Schritt naͤ-
her kommen ‒ ‒ Goͤnnen ſie mir auf einen Au-
genblick ein geneigtes Ohr.
Nein ‒ ‒ Nein ‒ Weg, weg, Mannsper-
ſon ‒ ‒ das Wort ſprach ſie mit beſonderm
Nachdruck aus; und wuͤrde mehr geſagt haben:
allein ſie ſchien die Sprache als verlohren aufzu-
geben, nicht anders, als wenn ſie ſich vergebens
beſtrebte, Worte herauszubringen; und ließ noch
einmal ihren Kopf, mit einem tiefen Seufzer,
auf ihren linken Arm niederſinken, indem der
rechte von ſelbſt, als wenn ſie ihn nicht in ihrer
Gewalt haͤtte, an ihrer Seite, betaͤubt, wie ich
vermuthe, herunter fiel.
O daß du da geweſen waͤreſt! und an mei-
ner Stelle! ‒ ‒ Jedoch bin ich durch dasjenige,
was ich damals in mir ſelbſt fuͤhlte, uͤberzeuget
worden, daß eine Faͤhigkeit, ſich durch das Un-
gluͤck unſerer Mitgeſchoͤpfe ruͤhren zu laſſen, kei-
nesweges einem maͤnnlichen Herzen ſchaͤndlich
ſey. Mit was fuͤr einem Vergnuͤgen haͤtte ich,
in dem Augenblick, mein eignes Leben aufgeben
koͤnnen: wenn ich nur vorher dieß reizende Frau-
enzimmer zu raͤchen, und ihrem Verderber, wie
ſie dich auf eine nachdruͤckliche Art nennet, ob es
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/324>, abgerufen am 22.11.2024.
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