sie sehen, mein Lord, wie leicht sich Ohren, welche an angenehmen Tönen Lust zu haben geneigt sind, durch wohlklingende Worte überraschen lassen! -
Alle waren im Begriff wieder auszurufen: allein ich kam ihnen zuvor, und fuhr fort, ehe sie ihre Stimme erheben und reden konnten.
Meine schöne Anklägerinn bringet vor, "Jch "hätte zu der Liste derer, die ich unglücklich ge- "macht, einen Namen hinzugefüget, der meinem "eignen Namen nicht zur Verkleinerung gereicht "haben würde." Es ist wahr, ich bin lustig, und zu Unternehmungen aufgelegt gewesen. Es liegt in meiner Natur, daß ich so bin. Jch weiß nicht, wie ich zu einer solchen Natur gekom- men bin: aber ich bin hingegen niemals gewohnt gewesen, zu schelten oder zu tadeln; das wissen sie alle. Wenn ein Mensch durch eine hestige Leidenschaft zu einer geringen Beleidigung hinge- rissen ist, die man ihm, so geringe sie auch ist, nicht vergeben will; so kann er leicht zur Ver- zweifelung gebracht werden: wie ein Dieb, der nur einen Raub im Sinne hat, oft, durch Wi- derstand, und zu seiner eignen Erhaltung, verlei- tet wird, einen Mord zu begehen.
Jch mußte hier ein wund rlicher, ein scheus- licher Bösewicht heißen. Allein das muß ein einfältiger Tropf seyn, der nichts für sich selbst zu sagen weiß, da doch eine jede Sache ihre schwar- ze und ihre weiße Seite hat. - - Jn Westmin-
ster-
ſie ſehen, mein Lord, wie leicht ſich Ohren, welche an angenehmen Toͤnen Luſt zu haben geneigt ſind, durch wohlklingende Worte uͤberraſchen laſſen! ‒
Alle waren im Begriff wieder auszurufen: allein ich kam ihnen zuvor, und fuhr fort, ehe ſie ihre Stimme erheben und reden konnten.
Meine ſchoͤne Anklaͤgerinn bringet vor, „Jch „haͤtte zu der Liſte derer, die ich ungluͤcklich ge- „macht, einen Namen hinzugefuͤget, der meinem „eignen Namen nicht zur Verkleinerung gereicht „haben wuͤrde.“ Es iſt wahr, ich bin luſtig, und zu Unternehmungen aufgelegt geweſen. Es liegt in meiner Natur, daß ich ſo bin. Jch weiß nicht, wie ich zu einer ſolchen Natur gekom- men bin: aber ich bin hingegen niemals gewohnt geweſen, zu ſchelten oder zu tadeln; das wiſſen ſie alle. Wenn ein Menſch durch eine heſtige Leidenſchaft zu einer geringen Beleidigung hinge- riſſen iſt, die man ihm, ſo geringe ſie auch iſt, nicht vergeben will; ſo kann er leicht zur Ver- zweifelung gebracht werden: wie ein Dieb, der nur einen Raub im Sinne hat, oft, durch Wi- derſtand, und zu ſeiner eignen Erhaltung, verlei- tet wird, einen Mord zu begehen.
Jch mußte hier ein wund rlicher, ein ſcheus- licher Boͤſewicht heißen. Allein das muß ein einfaͤltiger Tropf ſeyn, der nichts fuͤr ſich ſelbſt zu ſagen weiß, da doch eine jede Sache ihre ſchwar- ze und ihre weiße Seite hat. ‒ ‒ Jn Weſtmin-
ſter-
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[206/0212]
ſie ſehen, mein Lord, wie leicht ſich Ohren, welche
an angenehmen Toͤnen Luſt zu haben geneigt
ſind, durch wohlklingende Worte uͤberraſchen
laſſen! ‒
Alle waren im Begriff wieder auszurufen:
allein ich kam ihnen zuvor, und fuhr fort, ehe ſie
ihre Stimme erheben und reden konnten.
Meine ſchoͤne Anklaͤgerinn bringet vor, „Jch
„haͤtte zu der Liſte derer, die ich ungluͤcklich ge-
„macht, einen Namen hinzugefuͤget, der meinem
„eignen Namen nicht zur Verkleinerung gereicht
„haben wuͤrde.“ Es iſt wahr, ich bin luſtig,
und zu Unternehmungen aufgelegt geweſen. Es
liegt in meiner Natur, daß ich ſo bin. Jch
weiß nicht, wie ich zu einer ſolchen Natur gekom-
men bin: aber ich bin hingegen niemals gewohnt
geweſen, zu ſchelten oder zu tadeln; das wiſſen
ſie alle. Wenn ein Menſch durch eine heſtige
Leidenſchaft zu einer geringen Beleidigung hinge-
riſſen iſt, die man ihm, ſo geringe ſie auch iſt,
nicht vergeben will; ſo kann er leicht zur Ver-
zweifelung gebracht werden: wie ein Dieb, der
nur einen Raub im Sinne hat, oft, durch Wi-
derſtand, und zu ſeiner eignen Erhaltung, verlei-
tet wird, einen Mord zu begehen.
Jch mußte hier ein wund rlicher, ein ſcheus-
licher Boͤſewicht heißen. Allein das muß ein
einfaͤltiger Tropf ſeyn, der nichts fuͤr ſich ſelbſt zu
ſagen weiß, da doch eine jede Sache ihre ſchwar-
ze und ihre weiße Seite hat. ‒ ‒ Jn Weſtmin-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/212>, abgerufen am 23.11.2024.
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