Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Betrachtung, daß er keine Erzählung oder kein
Verzeichniß von Unternehmungen, wie einige
meiner vorigen, in sich enthält: denn Briefe von
der Art werden sich unvermeidlich, und natürli-
cherweise, so zu sagen, in die Länge dehnen. Al-
lein ich habe mich seit einiger Zeit so gewöhnet,
viel zu schreiben, daß ich nicht weiß, wie ich es
ändern soll. Dennoch muß ich seiner Länge noch
etwas hinzusetzen, damit ich mich über den Wink,
den ich dir beym Anfange desselben gegeben habe,
erkläre. Er bestand darinn, daß ich, außer dem
Misvergnügen über die Flucht der Fräulein Har-
lowe, noch eine fehlgeschlagene Hoffnung zu be-
dauren habe.

Und was meynst du wohl? Der alte Lord;
ich wollte daß der Henker seine zähe Natur geho-
let hätte! denn das würde ihn fortgeholfen haben;
hat Feuer und Schwefel, und der Teufel weiß
was, versuchet, das Podagra zu nöthigen, daß
es die äußere Böschung seines Herzens verlassen
müssen, als es eben alle seine Macht zusammen-
gezogen hatte, die Schanze seines Herzens zu
stürmen. Kurz, man hat den langsamen
Schanzengräber bloß durch Dampfkugeln, Hand-
granaten und kleine Kugelbüchsen aus dem Rumpf
in die äußersten Theile getrieben: und da liegt
er nun, und zwackt und nagt an seiner großen
Zehe; da ich mir ein gutes Ende von der Krank-
heit so wohl als dem Kranken versprochen hatte.

Aber ich habe verdienet, mit beißendem
Verdrusse gekränket zu werden: da ich dir vor-

mals



Betrachtung, daß er keine Erzaͤhlung oder kein
Verzeichniß von Unternehmungen, wie einige
meiner vorigen, in ſich enthaͤlt: denn Briefe von
der Art werden ſich unvermeidlich, und natuͤrli-
cherweiſe, ſo zu ſagen, in die Laͤnge dehnen. Al-
lein ich habe mich ſeit einiger Zeit ſo gewoͤhnet,
viel zu ſchreiben, daß ich nicht weiß, wie ich es
aͤndern ſoll. Dennoch muß ich ſeiner Laͤnge noch
etwas hinzuſetzen, damit ich mich uͤber den Wink,
den ich dir beym Anfange deſſelben gegeben habe,
erklaͤre. Er beſtand darinn, daß ich, außer dem
Misvergnuͤgen uͤber die Flucht der Fraͤulein Har-
lowe, noch eine fehlgeſchlagene Hoffnung zu be-
dauren habe.

Und was meynſt du wohl? Der alte Lord;
ich wollte daß der Henker ſeine zaͤhe Natur geho-
let haͤtte! denn das wuͤrde ihn fortgeholfen haben;
hat Feuer und Schwefel, und der Teufel weiß
was, verſuchet, das Podagra zu noͤthigen, daß
es die aͤußere Boͤſchung ſeines Herzens verlaſſen
muͤſſen, als es eben alle ſeine Macht zuſammen-
gezogen hatte, die Schanze ſeines Herzens zu
ſtuͤrmen. Kurz, man hat den langſamen
Schanzengraͤber bloß durch Dampfkugeln, Hand-
granaten und kleine Kugelbuͤchſen aus dem Rumpf
in die aͤußerſten Theile getrieben: und da liegt
er nun, und zwackt und nagt an ſeiner großen
Zehe; da ich mir ein gutes Ende von der Krank-
heit ſo wohl als dem Kranken verſprochen hatte.

Aber ich habe verdienet, mit beißendem
Verdruſſe gekraͤnket zu werden: da ich dir vor-

mals
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="13"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Betrachtung, daß er keine Erza&#x0364;hlung oder kein<lb/>
Verzeichniß von Unternehmungen, wie einige<lb/>
meiner vorigen, in &#x017F;ich entha&#x0364;lt: denn Briefe von<lb/>
der Art werden &#x017F;ich unvermeidlich, und natu&#x0364;rli-<lb/>
cherwei&#x017F;e, &#x017F;o zu &#x017F;agen, in die La&#x0364;nge dehnen. Al-<lb/>
lein ich habe mich &#x017F;eit einiger Zeit &#x017F;o gewo&#x0364;hnet,<lb/>
viel zu &#x017F;chreiben, daß ich nicht weiß, wie ich es<lb/>
a&#x0364;ndern &#x017F;oll. Dennoch muß ich &#x017F;einer La&#x0364;nge noch<lb/>
etwas hinzu&#x017F;etzen, damit ich mich u&#x0364;ber den Wink,<lb/>
den ich dir beym Anfange de&#x017F;&#x017F;elben gegeben habe,<lb/>
erkla&#x0364;re. Er be&#x017F;tand darinn, daß ich, außer dem<lb/>
Misvergnu&#x0364;gen u&#x0364;ber die Flucht der Fra&#x0364;ulein Har-<lb/>
lowe, noch eine fehlge&#x017F;chlagene Hoffnung zu be-<lb/>
dauren habe.</p><lb/>
          <p>Und was meyn&#x017F;t du wohl? Der alte Lord;<lb/>
ich wollte daß der Henker &#x017F;eine za&#x0364;he Natur geho-<lb/>
let ha&#x0364;tte! denn das wu&#x0364;rde ihn fortgeholfen haben;<lb/>
hat Feuer und Schwefel, und der Teufel weiß<lb/>
was, ver&#x017F;uchet, das Podagra zu no&#x0364;thigen, daß<lb/>
es die a&#x0364;ußere Bo&#x0364;&#x017F;chung &#x017F;eines Herzens verla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, als es eben alle &#x017F;eine Macht zu&#x017F;ammen-<lb/>
gezogen hatte, die Schanze &#x017F;eines Herzens zu<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rmen. Kurz, man hat den lang&#x017F;amen<lb/>
Schanzengra&#x0364;ber bloß durch Dampfkugeln, Hand-<lb/>
granaten und kleine Kugelbu&#x0364;ch&#x017F;en aus dem Rumpf<lb/>
in die a&#x0364;ußer&#x017F;ten Theile getrieben: und da liegt<lb/>
er nun, und zwackt und nagt an &#x017F;einer großen<lb/>
Zehe; da ich mir ein gutes Ende von der Krank-<lb/>
heit &#x017F;o wohl als dem Kranken ver&#x017F;prochen hatte.</p><lb/>
          <p>Aber ich habe <hi rendition="#fr">verdienet,</hi> mit beißendem<lb/>
Verdru&#x017F;&#x017F;e gekra&#x0364;nket zu werden: da ich dir vor-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mals</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0019] Betrachtung, daß er keine Erzaͤhlung oder kein Verzeichniß von Unternehmungen, wie einige meiner vorigen, in ſich enthaͤlt: denn Briefe von der Art werden ſich unvermeidlich, und natuͤrli- cherweiſe, ſo zu ſagen, in die Laͤnge dehnen. Al- lein ich habe mich ſeit einiger Zeit ſo gewoͤhnet, viel zu ſchreiben, daß ich nicht weiß, wie ich es aͤndern ſoll. Dennoch muß ich ſeiner Laͤnge noch etwas hinzuſetzen, damit ich mich uͤber den Wink, den ich dir beym Anfange deſſelben gegeben habe, erklaͤre. Er beſtand darinn, daß ich, außer dem Misvergnuͤgen uͤber die Flucht der Fraͤulein Har- lowe, noch eine fehlgeſchlagene Hoffnung zu be- dauren habe. Und was meynſt du wohl? Der alte Lord; ich wollte daß der Henker ſeine zaͤhe Natur geho- let haͤtte! denn das wuͤrde ihn fortgeholfen haben; hat Feuer und Schwefel, und der Teufel weiß was, verſuchet, das Podagra zu noͤthigen, daß es die aͤußere Boͤſchung ſeines Herzens verlaſſen muͤſſen, als es eben alle ſeine Macht zuſammen- gezogen hatte, die Schanze ſeines Herzens zu ſtuͤrmen. Kurz, man hat den langſamen Schanzengraͤber bloß durch Dampfkugeln, Hand- granaten und kleine Kugelbuͤchſen aus dem Rumpf in die aͤußerſten Theile getrieben: und da liegt er nun, und zwackt und nagt an ſeiner großen Zehe; da ich mir ein gutes Ende von der Krank- heit ſo wohl als dem Kranken verſprochen hatte. Aber ich habe verdienet, mit beißendem Verdruſſe gekraͤnket zu werden: da ich dir vor- mals

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/19
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/19>, abgerufen am 03.05.2024.