Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



"Ehre. Bey dieser Ehre, bey ihrer Menschlich-
"keit, bey allem dem, was sie gelobet haben, be-
"schwöre ich sie, mich nicht mir selbst abscheulich,
"nicht in meinen eignen Augen verächtlich zu
"machen."

Jch erwähnte des künftigen Morgens als
des glücklichsten Tages in meinem Leben.

Sagen sie mir nicht von den künftigen Mor-
gen. Wenn sie es wirklich in Ehren mit mir
meynen: so müssen sie es itzo, eben itzo diesen
Augenblick, zeigen und weggehen. Sie können
niemals in der ganzen Zeit eines langen Lebens das
Böse wieder gut machen, was sie mir itzo zufü-
gen mögen.

Gottloser Bösewicht! Unverschämter Be-
trieger! - Ja wahrlich sie nannte mich einen
unverschämten Betrieger: ob sie gleich so sehr in
meiner Gewalt war! Und warum denn? Weil
ich, mit vieler Hitze, das leugne ich nicht, ihren
unvergleichlichen Hals, ihre Lippen, ihre Wan-
gen, ihre Stirn und ihre strömenden Augen küs-
sete, da so viele Schönheiten sich auf einmal mei-
nem entzückten Auge vereinigt darstellten, als sie
zu meinen Füßen auf den Knien liegen blieb und
ich saß.

Wenn ich ein Betrieger bin, Fräulein - -
Und dabey regte sich meine greiffende aber zit-
ternde Hand - - Jch hoffe, daß ich der zartesten
und liebenswürdigsten von allen ihren Schönhei-
ten keinen Schaden gethan - Wenn ich ein Be-
trieger bin, Fräulein -

Sie



„Ehre. Bey dieſer Ehre, bey ihrer Menſchlich-
„keit, bey allem dem, was ſie gelobet haben, be-
„ſchwoͤre ich ſie, mich nicht mir ſelbſt abſcheulich,
„nicht in meinen eignen Augen veraͤchtlich zu
„machen.“

Jch erwaͤhnte des kuͤnftigen Morgens als
des gluͤcklichſten Tages in meinem Leben.

Sagen ſie mir nicht von den kuͤnftigen Mor-
gen. Wenn ſie es wirklich in Ehren mit mir
meynen: ſo muͤſſen ſie es itzo, eben itzo dieſen
Augenblick, zeigen und weggehen. Sie koͤnnen
niemals in der ganzen Zeit eines langen Lebens das
Boͤſe wieder gut machen, was ſie mir itzo zufuͤ-
gen moͤgen.

Gottloſer Boͤſewicht! Unverſchaͤmter Be-
trieger! ‒ Ja wahrlich ſie nannte mich einen
unverſchaͤmten Betrieger: ob ſie gleich ſo ſehr in
meiner Gewalt war! Und warum denn? Weil
ich, mit vieler Hitze, das leugne ich nicht, ihren
unvergleichlichen Hals, ihre Lippen, ihre Wan-
gen, ihre Stirn und ihre ſtroͤmenden Augen kuͤſ-
ſete, da ſo viele Schoͤnheiten ſich auf einmal mei-
nem entzuͤckten Auge vereinigt darſtellten, als ſie
zu meinen Fuͤßen auf den Knien liegen blieb und
ich ſaß.

Wenn ich ein Betrieger bin, Fraͤulein ‒ ‒
Und dabey regte ſich meine greiffende aber zit-
ternde Hand ‒ ‒ Jch hoffe, daß ich der zarteſten
und liebenswuͤrdigſten von allen ihren Schoͤnhei-
ten keinen Schaden gethan ‒ Wenn ich ein Be-
trieger bin, Fraͤulein ‒

Sie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0084" n="78"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;Ehre. Bey die&#x017F;er Ehre, bey ihrer Men&#x017F;chlich-<lb/>
&#x201E;keit, bey allem dem, was &#x017F;ie gelobet haben, be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chwo&#x0364;re ich &#x017F;ie, mich nicht mir &#x017F;elb&#x017F;t ab&#x017F;cheulich,<lb/>
&#x201E;nicht in meinen eignen Augen vera&#x0364;chtlich zu<lb/>
&#x201E;machen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Jch erwa&#x0364;hnte des ku&#x0364;nftigen Morgens als<lb/>
des glu&#x0364;cklich&#x017F;ten Tages in meinem Leben.</p><lb/>
          <p>Sagen &#x017F;ie mir nicht von den ku&#x0364;nftigen Mor-<lb/>
gen. Wenn &#x017F;ie es wirklich in Ehren mit mir<lb/>
meynen: &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie es <hi rendition="#fr">itzo, eben itzo</hi> die&#x017F;en<lb/>
Augenblick, zeigen und weggehen. Sie ko&#x0364;nnen<lb/>
niemals in der ganzen Zeit eines langen Lebens das<lb/>
Bo&#x0364;&#x017F;e wieder gut machen, was &#x017F;ie mir <hi rendition="#fr">itzo</hi> zufu&#x0364;-<lb/>
gen mo&#x0364;gen.</p><lb/>
          <p>Gottlo&#x017F;er Bo&#x0364;&#x017F;ewicht! Unver&#x017F;cha&#x0364;mter Be-<lb/>
trieger! &#x2012; Ja wahrlich &#x017F;ie nannte mich einen<lb/>
unver&#x017F;cha&#x0364;mten Betrieger: ob &#x017F;ie gleich &#x017F;o &#x017F;ehr in<lb/>
meiner Gewalt war! Und warum denn? Weil<lb/>
ich, mit vieler Hitze, das leugne ich nicht, ihren<lb/>
unvergleichlichen Hals, ihre Lippen, ihre Wan-<lb/>
gen, ihre Stirn und ihre &#x017F;tro&#x0364;menden Augen ku&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ete, da &#x017F;o viele Scho&#x0364;nheiten &#x017F;ich auf einmal mei-<lb/>
nem entzu&#x0364;ckten Auge vereinigt dar&#x017F;tellten, als &#x017F;ie<lb/>
zu meinen Fu&#x0364;ßen auf den Knien liegen blieb und<lb/>
ich &#x017F;aß.</p><lb/>
          <p>Wenn ich ein Betrieger bin, Fra&#x0364;ulein &#x2012; &#x2012;<lb/>
Und dabey regte &#x017F;ich meine greiffende aber zit-<lb/>
ternde Hand &#x2012; &#x2012; Jch hoffe, daß ich der zarte&#x017F;ten<lb/>
und liebenswu&#x0364;rdig&#x017F;ten von allen ihren Scho&#x0364;nhei-<lb/>
ten keinen Schaden gethan &#x2012; Wenn ich ein Be-<lb/>
trieger bin, Fra&#x0364;ulein &#x2012;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0084] „Ehre. Bey dieſer Ehre, bey ihrer Menſchlich- „keit, bey allem dem, was ſie gelobet haben, be- „ſchwoͤre ich ſie, mich nicht mir ſelbſt abſcheulich, „nicht in meinen eignen Augen veraͤchtlich zu „machen.“ Jch erwaͤhnte des kuͤnftigen Morgens als des gluͤcklichſten Tages in meinem Leben. Sagen ſie mir nicht von den kuͤnftigen Mor- gen. Wenn ſie es wirklich in Ehren mit mir meynen: ſo muͤſſen ſie es itzo, eben itzo dieſen Augenblick, zeigen und weggehen. Sie koͤnnen niemals in der ganzen Zeit eines langen Lebens das Boͤſe wieder gut machen, was ſie mir itzo zufuͤ- gen moͤgen. Gottloſer Boͤſewicht! Unverſchaͤmter Be- trieger! ‒ Ja wahrlich ſie nannte mich einen unverſchaͤmten Betrieger: ob ſie gleich ſo ſehr in meiner Gewalt war! Und warum denn? Weil ich, mit vieler Hitze, das leugne ich nicht, ihren unvergleichlichen Hals, ihre Lippen, ihre Wan- gen, ihre Stirn und ihre ſtroͤmenden Augen kuͤſ- ſete, da ſo viele Schoͤnheiten ſich auf einmal mei- nem entzuͤckten Auge vereinigt darſtellten, als ſie zu meinen Fuͤßen auf den Knien liegen blieb und ich ſaß. Wenn ich ein Betrieger bin, Fraͤulein ‒ ‒ Und dabey regte ſich meine greiffende aber zit- ternde Hand ‒ ‒ Jch hoffe, daß ich der zarteſten und liebenswuͤrdigſten von allen ihren Schoͤnhei- ten keinen Schaden gethan ‒ Wenn ich ein Be- trieger bin, Fraͤulein ‒ Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/84
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/84>, abgerufen am 20.05.2024.