genwart keinen Vorwand zu meinen Unterneh- mungen finden könnte, die von ihr gestellte Hand- schrift mir in dem Wege liegen sollte, und ich sie aufheben wollte, so bald sie von mir gegangen wäre. Aber da es gegen zehn Uhr kam: fiel mir der Zweifel ein, daß es Gefahr haben würde, ihr wieder beyzukommen; wenn sie einmal, wirk- lich sich zur Ruhe zu begeben, weggegangen wä- re. So ernstlich wünschte sie mich zu verlassen: indem ihr mein allzu feuriges Bezeigen gegen sie, und mein hitziges Greifen nach ihrer Hand, welches ich zwey oder dreymal that, daß mir die Augen, wie ich fühlte, aufliefen, verdächtig vor- kam, und ihre Augen Unruhe und Furcht zeigten. Weil ich es also nicht gern auf die Gefahr an- kommen lassen wollte: so ging ich ein wenig nach zehn heraus, in der Absicht, die verabredete Ein- richtung etwas zu verändern; und sagte, ich woll- te den Augenblick wieder bey ihr seyn. Allein da ich zurückkam: begegnete sie mir an der Thüre, und war willens, wegzugehen, und sich zur Ruhe zu begeben. Jch konnte sie nicht bereden, wie- der zurückzugehen, und hatte auch nicht Herz ge- nug, da ich eben vorher so höflich und gefällig gegen sie gewesen war, sie mit Gewalt aufzuhal- ten. Also entwischte sie mir unter den Händen in ihr Zimmer hinein. Daher war mir nichts mehr übrig, als daß ich meinen vorigen Anschlag, wie er verabredet war, beybehielte.
Jch hätte schon vorher melden sollen; aber ich bekümmere mich nicht um Ordnung nach der
Zeit,
genwart keinen Vorwand zu meinen Unterneh- mungen finden koͤnnte, die von ihr geſtellte Hand- ſchrift mir in dem Wege liegen ſollte, und ich ſie aufheben wollte, ſo bald ſie von mir gegangen waͤre. Aber da es gegen zehn Uhr kam: fiel mir der Zweifel ein, daß es Gefahr haben wuͤrde, ihr wieder beyzukommen; wenn ſie einmal, wirk- lich ſich zur Ruhe zu begeben, weggegangen waͤ- re. So ernſtlich wuͤnſchte ſie mich zu verlaſſen: indem ihr mein allzu feuriges Bezeigen gegen ſie, und mein hitziges Greifen nach ihrer Hand, welches ich zwey oder dreymal that, daß mir die Augen, wie ich fuͤhlte, aufliefen, verdaͤchtig vor- kam, und ihre Augen Unruhe und Furcht zeigten. Weil ich es alſo nicht gern auf die Gefahr an- kommen laſſen wollte: ſo ging ich ein wenig nach zehn heraus, in der Abſicht, die verabredete Ein- richtung etwas zu veraͤndern; und ſagte, ich woll- te den Augenblick wieder bey ihr ſeyn. Allein da ich zuruͤckkam: begegnete ſie mir an der Thuͤre, und war willens, wegzugehen, und ſich zur Ruhe zu begeben. Jch konnte ſie nicht bereden, wie- der zuruͤckzugehen, und hatte auch nicht Herz ge- nug, da ich eben vorher ſo hoͤflich und gefaͤllig gegen ſie geweſen war, ſie mit Gewalt aufzuhal- ten. Alſo entwiſchte ſie mir unter den Haͤnden in ihr Zimmer hinein. Daher war mir nichts mehr uͤbrig, als daß ich meinen vorigen Anſchlag, wie er verabredet war, beybehielte.
Jch haͤtte ſchon vorher melden ſollen; aber ich bekuͤmmere mich nicht um Ordnung nach der
Zeit,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0806"n="800"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
genwart keinen Vorwand zu meinen Unterneh-<lb/>
mungen finden koͤnnte, die von ihr geſtellte Hand-<lb/>ſchrift mir in dem Wege liegen ſollte, und ich ſie<lb/>
aufheben wollte, ſo bald ſie von mir gegangen<lb/>
waͤre. Aber da es gegen zehn Uhr kam: fiel<lb/>
mir der Zweifel ein, daß es Gefahr haben wuͤrde,<lb/>
ihr wieder beyzukommen; wenn ſie einmal, wirk-<lb/>
lich ſich zur Ruhe zu begeben, weggegangen waͤ-<lb/>
re. So ernſtlich wuͤnſchte ſie mich zu verlaſſen:<lb/>
indem ihr mein allzu feuriges Bezeigen gegen<lb/>ſie, und mein hitziges Greifen nach ihrer Hand,<lb/>
welches ich zwey oder dreymal that, daß mir die<lb/>
Augen, wie ich fuͤhlte, aufliefen, verdaͤchtig vor-<lb/>
kam, und ihre Augen Unruhe und Furcht zeigten.<lb/>
Weil ich es alſo nicht gern auf die Gefahr an-<lb/>
kommen laſſen wollte: ſo ging ich ein wenig nach<lb/>
zehn heraus, in der Abſicht, die verabredete Ein-<lb/>
richtung etwas zu veraͤndern; und ſagte, ich woll-<lb/>
te den Augenblick wieder bey ihr ſeyn. Allein<lb/>
da ich zuruͤckkam: begegnete ſie mir an der Thuͤre,<lb/>
und war willens, wegzugehen, und ſich zur Ruhe<lb/>
zu begeben. Jch konnte ſie nicht bereden, wie-<lb/>
der zuruͤckzugehen, und hatte auch nicht Herz ge-<lb/>
nug, da ich eben vorher ſo hoͤflich und gefaͤllig<lb/>
gegen ſie geweſen war, ſie mit Gewalt aufzuhal-<lb/>
ten. Alſo entwiſchte ſie mir unter den Haͤnden<lb/>
in ihr Zimmer hinein. Daher war mir nichts<lb/>
mehr uͤbrig, als daß ich meinen vorigen Anſchlag,<lb/>
wie er verabredet war, beybehielte.</p><lb/><p>Jch haͤtte ſchon vorher melden ſollen; aber<lb/>
ich bekuͤmmere mich nicht um Ordnung nach der<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Zeit,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[800/0806]
genwart keinen Vorwand zu meinen Unterneh-
mungen finden koͤnnte, die von ihr geſtellte Hand-
ſchrift mir in dem Wege liegen ſollte, und ich ſie
aufheben wollte, ſo bald ſie von mir gegangen
waͤre. Aber da es gegen zehn Uhr kam: fiel
mir der Zweifel ein, daß es Gefahr haben wuͤrde,
ihr wieder beyzukommen; wenn ſie einmal, wirk-
lich ſich zur Ruhe zu begeben, weggegangen waͤ-
re. So ernſtlich wuͤnſchte ſie mich zu verlaſſen:
indem ihr mein allzu feuriges Bezeigen gegen
ſie, und mein hitziges Greifen nach ihrer Hand,
welches ich zwey oder dreymal that, daß mir die
Augen, wie ich fuͤhlte, aufliefen, verdaͤchtig vor-
kam, und ihre Augen Unruhe und Furcht zeigten.
Weil ich es alſo nicht gern auf die Gefahr an-
kommen laſſen wollte: ſo ging ich ein wenig nach
zehn heraus, in der Abſicht, die verabredete Ein-
richtung etwas zu veraͤndern; und ſagte, ich woll-
te den Augenblick wieder bey ihr ſeyn. Allein
da ich zuruͤckkam: begegnete ſie mir an der Thuͤre,
und war willens, wegzugehen, und ſich zur Ruhe
zu begeben. Jch konnte ſie nicht bereden, wie-
der zuruͤckzugehen, und hatte auch nicht Herz ge-
nug, da ich eben vorher ſo hoͤflich und gefaͤllig
gegen ſie geweſen war, ſie mit Gewalt aufzuhal-
ten. Alſo entwiſchte ſie mir unter den Haͤnden
in ihr Zimmer hinein. Daher war mir nichts
mehr uͤbrig, als daß ich meinen vorigen Anſchlag,
wie er verabredet war, beybehielte.
Jch haͤtte ſchon vorher melden ſollen; aber
ich bekuͤmmere mich nicht um Ordnung nach der
Zeit,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 800. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/806>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.