Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



ehe er sich überwinden kann, ein Gefechte einzu-
gehen. Jch reizete sie halb, daß sie mich reizen
oder herausfordern sollte. Sie schien, ihre Ge-
fahr zu merken: und wollte daher meinem Zorn
nicht eigentlich Trotz bieten; sondern hielte in ih-
rem Bezeigen so die Mittelstraße, daß ich weder
einen Vorwand, sie zu beleidigen, noch Grund zu
hoffen, finden konnte. Dennoch glaubte sie mein
Märchen, daß ihr Onkel nach Kentisch-Town
kommen würde: und schien nicht zu fürchten, daß
Tomlinson ein Betrüger seyn möchte.

Bey dem allen war sie sehr unruhig in mei-
ner Gefellschaft, und wollte oft von mir aufbre-
chen: jedoch hielte sie mich so bey meinem Ver-
sprechen, ihr zu erlauben, nach Hampstead zu ge-
hen, daß ich nicht wußte, wie ich davon loskom-
men sollte; ob es mir gleich unter den erbettelten
Umständen, in welchen ich mich mit ihr befand,
unmöglich war, dasselbe zu erfüllen.

Was war mir in diesem Zustande übrig: da
die Weibsleute bereit waren, mir beyzustehen,
und wo ich nicht weiter ginge, eben so bereit, mich
auszulachen? Was anders, als daß ich den ver-
abredeten Vorschlag verfolgte, und einen Vor-
wand suchte, Streit mit ihr anzufangen, damit
ich meine versprochne Erlaubniß wiederrufen,
und sie überzeugen könnte, daß ich um nichts
und wieder nichts keine solche Vorwürfe leiden
wollte, als wenn ich der ärgste Räuber wäre.

Jch hatte mit den Weibsleuten die Abrede
genommen, daß, wenn ich in der Fräulein Ge-

genwart



ehe er ſich uͤberwinden kann, ein Gefechte einzu-
gehen. Jch reizete ſie halb, daß ſie mich reizen
oder herausfordern ſollte. Sie ſchien, ihre Ge-
fahr zu merken: und wollte daher meinem Zorn
nicht eigentlich Trotz bieten; ſondern hielte in ih-
rem Bezeigen ſo die Mittelſtraße, daß ich weder
einen Vorwand, ſie zu beleidigen, noch Grund zu
hoffen, finden konnte. Dennoch glaubte ſie mein
Maͤrchen, daß ihr Onkel nach Kentiſch-Town
kommen wuͤrde: und ſchien nicht zu fuͤrchten, daß
Tomlinſon ein Betruͤger ſeyn moͤchte.

Bey dem allen war ſie ſehr unruhig in mei-
ner Gefellſchaft, und wollte oft von mir aufbre-
chen: jedoch hielte ſie mich ſo bey meinem Ver-
ſprechen, ihr zu erlauben, nach Hampſtead zu ge-
hen, daß ich nicht wußte, wie ich davon loskom-
men ſollte; ob es mir gleich unter den erbettelten
Umſtaͤnden, in welchen ich mich mit ihr befand,
unmoͤglich war, daſſelbe zu erfuͤllen.

Was war mir in dieſem Zuſtande uͤbrig: da
die Weibsleute bereit waren, mir beyzuſtehen,
und wo ich nicht weiter ginge, eben ſo bereit, mich
auszulachen? Was anders, als daß ich den ver-
abredeten Vorſchlag verfolgte, und einen Vor-
wand ſuchte, Streit mit ihr anzufangen, damit
ich meine verſprochne Erlaubniß wiederrufen,
und ſie uͤberzeugen koͤnnte, daß ich um nichts
und wieder nichts keine ſolche Vorwuͤrfe leiden
wollte, als wenn ich der aͤrgſte Raͤuber waͤre.

Jch hatte mit den Weibsleuten die Abrede
genommen, daß, wenn ich in der Fraͤulein Ge-

genwart
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0805" n="799"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ehe er &#x017F;ich u&#x0364;berwinden kann, ein Gefechte einzu-<lb/>
gehen. Jch reizete &#x017F;ie halb, daß &#x017F;ie mich reizen<lb/>
oder herausfordern &#x017F;ollte. Sie &#x017F;chien, ihre Ge-<lb/>
fahr zu merken: und wollte daher meinem Zorn<lb/>
nicht eigentlich Trotz bieten; &#x017F;ondern hielte in ih-<lb/>
rem Bezeigen &#x017F;o die Mittel&#x017F;traße, daß ich weder<lb/>
einen Vorwand, &#x017F;ie zu beleidigen, noch Grund zu<lb/>
hoffen, finden konnte. Dennoch glaubte &#x017F;ie mein<lb/>
Ma&#x0364;rchen, daß ihr Onkel nach Kenti&#x017F;ch-Town<lb/>
kommen wu&#x0364;rde: und &#x017F;chien nicht zu fu&#x0364;rchten, daß<lb/>
Tomlin&#x017F;on ein Betru&#x0364;ger &#x017F;eyn mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Bey dem allen war &#x017F;ie &#x017F;ehr unruhig in mei-<lb/>
ner Gefell&#x017F;chaft, und wollte oft von mir aufbre-<lb/>
chen: jedoch hielte &#x017F;ie mich &#x017F;o bey meinem Ver-<lb/>
&#x017F;prechen, ihr zu erlauben, nach Hamp&#x017F;tead zu ge-<lb/>
hen, daß ich nicht wußte, wie ich davon loskom-<lb/>
men &#x017F;ollte; ob es mir gleich unter den erbettelten<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nden, in welchen ich mich mit ihr befand,<lb/>
unmo&#x0364;glich war, da&#x017F;&#x017F;elbe zu erfu&#x0364;llen.</p><lb/>
          <p>Was war mir in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande u&#x0364;brig: da<lb/>
die Weibsleute bereit waren, mir beyzu&#x017F;tehen,<lb/>
und wo ich nicht weiter ginge, eben &#x017F;o bereit, mich<lb/>
auszulachen? Was anders, als daß ich den ver-<lb/>
abredeten Vor&#x017F;chlag verfolgte, und einen Vor-<lb/>
wand &#x017F;uchte, Streit mit ihr anzufangen, damit<lb/>
ich meine ver&#x017F;prochne Erlaubniß wiederrufen,<lb/>
und &#x017F;ie u&#x0364;berzeugen ko&#x0364;nnte, daß ich um nichts<lb/>
und wieder nichts keine &#x017F;olche Vorwu&#x0364;rfe leiden<lb/>
wollte, als wenn ich der a&#x0364;rg&#x017F;te Ra&#x0364;uber wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Jch hatte mit den Weibsleuten die Abrede<lb/>
genommen, daß, wenn ich in der Fra&#x0364;ulein Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">genwart</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[799/0805] ehe er ſich uͤberwinden kann, ein Gefechte einzu- gehen. Jch reizete ſie halb, daß ſie mich reizen oder herausfordern ſollte. Sie ſchien, ihre Ge- fahr zu merken: und wollte daher meinem Zorn nicht eigentlich Trotz bieten; ſondern hielte in ih- rem Bezeigen ſo die Mittelſtraße, daß ich weder einen Vorwand, ſie zu beleidigen, noch Grund zu hoffen, finden konnte. Dennoch glaubte ſie mein Maͤrchen, daß ihr Onkel nach Kentiſch-Town kommen wuͤrde: und ſchien nicht zu fuͤrchten, daß Tomlinſon ein Betruͤger ſeyn moͤchte. Bey dem allen war ſie ſehr unruhig in mei- ner Gefellſchaft, und wollte oft von mir aufbre- chen: jedoch hielte ſie mich ſo bey meinem Ver- ſprechen, ihr zu erlauben, nach Hampſtead zu ge- hen, daß ich nicht wußte, wie ich davon loskom- men ſollte; ob es mir gleich unter den erbettelten Umſtaͤnden, in welchen ich mich mit ihr befand, unmoͤglich war, daſſelbe zu erfuͤllen. Was war mir in dieſem Zuſtande uͤbrig: da die Weibsleute bereit waren, mir beyzuſtehen, und wo ich nicht weiter ginge, eben ſo bereit, mich auszulachen? Was anders, als daß ich den ver- abredeten Vorſchlag verfolgte, und einen Vor- wand ſuchte, Streit mit ihr anzufangen, damit ich meine verſprochne Erlaubniß wiederrufen, und ſie uͤberzeugen koͤnnte, daß ich um nichts und wieder nichts keine ſolche Vorwuͤrfe leiden wollte, als wenn ich der aͤrgſte Raͤuber waͤre. Jch hatte mit den Weibsleuten die Abrede genommen, daß, wenn ich in der Fraͤulein Ge- genwart

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/805
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 799. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/805>, abgerufen am 24.11.2024.