Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



mit mir umgegangen sind, wenn ich ihnen ein
solches Versprechen thun sollte?

Hiemit stand sie auf, schlug ihre Hände zu-
sammen und verfärbte sich über und über vor
Unwillen. Du, o schändlichster Kerl, hast mich
zu einer Einwohnerinn des schändlichsten Hauses
gemacht - - Nichts desto weniger werde ich, so
lange ich in demselben bin, ein Herz haben, das
zu nichts fähig ist, als zum Abscheu gegen das-
selbe
und gegen dich.

Dann sahe der Engel um sich herum, und
auf mich. Die Furcht vor den Folgen dieser freyen
Erklärung mahlte sich dabey in ihrem angeneh-
men Gesichte deutlich ab. - - Aber was für ein
Teufel müßte ich gewesen seyn; ich, der ich an
einer Mannsperson Herzhaftigkeit liebe: wenn
ich in dem Augenblick nicht mehr von Verwunde-
rung über ihren tapfern Muth gerühret, als von
Rache getrieben wäre?

Edelmüthigste Fräulein! - - denken sie, daß
ich so leicht, ohne die äußerste Gewalt, sie, und
mein Antheil an einem so vortrefflichen Muster
aller Vorzüge, verlassen kann? Wenn ich kein
Versprechen habe! - - keine Hoffnung! - -
Wo sie mich nur nicht zur Verzweifelung brin-
gen: so mag mich den Augenblick ein Blitz ver-
zehren, wofern ich ihnen nicht alle Gerechtigkeit
widerfahren lasse, die mir möglich ist.

Sind sie irgend geneigt, mir gefällig zu seyn
und mich zu verbinden: so lassen sie mir meine
eigne Freyheit und lassen mich nicht in diesem

scheus-



mit mir umgegangen ſind, wenn ich ihnen ein
ſolches Verſprechen thun ſollte?

Hiemit ſtand ſie auf, ſchlug ihre Haͤnde zu-
ſammen und verfaͤrbte ſich uͤber und uͤber vor
Unwillen. Du, o ſchaͤndlichſter Kerl, haſt mich
zu einer Einwohnerinn des ſchaͤndlichſten Hauſes
gemacht ‒ ‒ Nichts deſto weniger werde ich, ſo
lange ich in demſelben bin, ein Herz haben, das
zu nichts faͤhig iſt, als zum Abſcheu gegen daſ-
ſelbe
und gegen dich.

Dann ſahe der Engel um ſich herum, und
auf mich. Die Furcht vor den Folgen dieſer freyen
Erklaͤrung mahlte ſich dabey in ihrem angeneh-
men Geſichte deutlich ab. ‒ ‒ Aber was fuͤr ein
Teufel muͤßte ich geweſen ſeyn; ich, der ich an
einer Mannsperſon Herzhaftigkeit liebe: wenn
ich in dem Augenblick nicht mehr von Verwunde-
rung uͤber ihren tapfern Muth geruͤhret, als von
Rache getrieben waͤre?

Edelmuͤthigſte Fraͤulein! ‒ ‒ denken ſie, daß
ich ſo leicht, ohne die aͤußerſte Gewalt, ſie, und
mein Antheil an einem ſo vortrefflichen Muſter
aller Vorzuͤge, verlaſſen kann? Wenn ich kein
Verſprechen habe! ‒ ‒ keine Hoffnung! ‒ ‒
Wo ſie mich nur nicht zur Verzweifelung brin-
gen: ſo mag mich den Augenblick ein Blitz ver-
zehren, wofern ich ihnen nicht alle Gerechtigkeit
widerfahren laſſe, die mir moͤglich iſt.

Sind ſie irgend geneigt, mir gefaͤllig zu ſeyn
und mich zu verbinden: ſo laſſen ſie mir meine
eigne Freyheit und laſſen mich nicht in dieſem

ſcheus-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0784" n="778"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
mit mir umgegangen &#x017F;ind, wenn ich ihnen ein<lb/>
&#x017F;olches Ver&#x017F;prechen thun &#x017F;ollte?</p><lb/>
          <p>Hiemit &#x017F;tand &#x017F;ie auf, &#x017F;chlug ihre Ha&#x0364;nde zu-<lb/>
&#x017F;ammen und verfa&#x0364;rbte &#x017F;ich u&#x0364;ber und u&#x0364;ber vor<lb/>
Unwillen. Du, o &#x017F;cha&#x0364;ndlich&#x017F;ter Kerl, ha&#x017F;t mich<lb/>
zu einer Einwohnerinn des &#x017F;cha&#x0364;ndlich&#x017F;ten Hau&#x017F;es<lb/>
gemacht &#x2012; &#x2012; Nichts de&#x017F;to weniger werde ich, &#x017F;o<lb/>
lange ich in dem&#x017F;elben bin, ein Herz haben, das<lb/>
zu nichts fa&#x0364;hig i&#x017F;t, als zum Ab&#x017F;cheu gegen <hi rendition="#fr">da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe</hi> und gegen <hi rendition="#fr">dich.</hi></p><lb/>
          <p>Dann &#x017F;ahe der Engel um &#x017F;ich herum, und<lb/>
auf mich. Die Furcht vor den Folgen die&#x017F;er freyen<lb/>
Erkla&#x0364;rung mahlte &#x017F;ich dabey in ihrem angeneh-<lb/>
men Ge&#x017F;ichte deutlich ab. &#x2012; &#x2012; Aber was fu&#x0364;r ein<lb/>
Teufel mu&#x0364;ßte ich gewe&#x017F;en &#x017F;eyn; ich, der ich an<lb/>
einer Mannsper&#x017F;on Herzhaftigkeit liebe: wenn<lb/>
ich in dem Augenblick nicht mehr von Verwunde-<lb/>
rung u&#x0364;ber ihren tapfern Muth geru&#x0364;hret, als von<lb/>
Rache getrieben wa&#x0364;re?</p><lb/>
          <p>Edelmu&#x0364;thig&#x017F;te Fra&#x0364;ulein! &#x2012; &#x2012; denken &#x017F;ie, daß<lb/>
ich &#x017F;o leicht, ohne die a&#x0364;ußer&#x017F;te Gewalt, &#x017F;ie, und<lb/>
mein Antheil an einem &#x017F;o vortrefflichen Mu&#x017F;ter<lb/>
aller Vorzu&#x0364;ge, verla&#x017F;&#x017F;en kann? Wenn ich kein<lb/>
Ver&#x017F;prechen habe! &#x2012; &#x2012; keine Hoffnung! &#x2012; &#x2012;<lb/>
Wo &#x017F;ie mich nur nicht zur Verzweifelung brin-<lb/>
gen: &#x017F;o mag mich den Augenblick ein Blitz ver-<lb/>
zehren, wofern ich ihnen nicht alle Gerechtigkeit<lb/>
widerfahren la&#x017F;&#x017F;e, die mir mo&#x0364;glich i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Sind &#x017F;ie irgend geneigt, mir gefa&#x0364;llig zu &#x017F;eyn<lb/>
und mich zu verbinden: &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie mir meine<lb/>
eigne Freyheit und la&#x017F;&#x017F;en mich nicht in die&#x017F;em<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;cheus-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[778/0784] mit mir umgegangen ſind, wenn ich ihnen ein ſolches Verſprechen thun ſollte? Hiemit ſtand ſie auf, ſchlug ihre Haͤnde zu- ſammen und verfaͤrbte ſich uͤber und uͤber vor Unwillen. Du, o ſchaͤndlichſter Kerl, haſt mich zu einer Einwohnerinn des ſchaͤndlichſten Hauſes gemacht ‒ ‒ Nichts deſto weniger werde ich, ſo lange ich in demſelben bin, ein Herz haben, das zu nichts faͤhig iſt, als zum Abſcheu gegen daſ- ſelbe und gegen dich. Dann ſahe der Engel um ſich herum, und auf mich. Die Furcht vor den Folgen dieſer freyen Erklaͤrung mahlte ſich dabey in ihrem angeneh- men Geſichte deutlich ab. ‒ ‒ Aber was fuͤr ein Teufel muͤßte ich geweſen ſeyn; ich, der ich an einer Mannsperſon Herzhaftigkeit liebe: wenn ich in dem Augenblick nicht mehr von Verwunde- rung uͤber ihren tapfern Muth geruͤhret, als von Rache getrieben waͤre? Edelmuͤthigſte Fraͤulein! ‒ ‒ denken ſie, daß ich ſo leicht, ohne die aͤußerſte Gewalt, ſie, und mein Antheil an einem ſo vortrefflichen Muſter aller Vorzuͤge, verlaſſen kann? Wenn ich kein Verſprechen habe! ‒ ‒ keine Hoffnung! ‒ ‒ Wo ſie mich nur nicht zur Verzweifelung brin- gen: ſo mag mich den Augenblick ein Blitz ver- zehren, wofern ich ihnen nicht alle Gerechtigkeit widerfahren laſſe, die mir moͤglich iſt. Sind ſie irgend geneigt, mir gefaͤllig zu ſeyn und mich zu verbinden: ſo laſſen ſie mir meine eigne Freyheit und laſſen mich nicht in dieſem ſcheus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/784
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 778. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/784>, abgerufen am 22.11.2024.