Jch merkte, daß sie verstohlne Blicke auf den Tisch warf, wo er lag.
Jch war unruhig, daß ich ihn nicht finden konnte - - Endlich, da mich ihre schlaue Augen wieder auf den rechten Ort führten, entdeckte ich ihn auf dem Tische in der andern Ecke des Zim- mers.
Mit Freuden holte ich ihn. Belieben sie die- sen Brief zu lesen, gnädige Fräulein, sprach ich mit einer Mine, die von einer vergnügten Beru- higung zeugte.
Sie nahm ihn, und ließ die Augen so flüch tig und unachtsam darüber weggehen, daß man offenbar merkte, daß sie ihn schon vorher gelesen hatte. Hernach warf sie ihn mit Undank auf das Fenstergesimse vor sich.
Jch bat sie inständigst, mich morgen oder am Freytage frühe, glücklich zu machen: wenigstens ihres Onkels Reise und gütige Bemühungen, zwischen uns allen eine Versöhnung zu stiften, nicht vergeblich seyn zu lassen.
Zwischen uns allen! Das wiederholte sie mit einer eben so unwilligen als ungläubischen Mine. O Lovelace, du bist gewiß in deinem sorg- fältigen Bestreben, die Versuchungen nach den Neiungen einzur chten, mit dem großen Betrü- ger nahe verwandt! - - Aber wenn es auch mög- lich wäre, wie es nicht ist, daß ich mich hierüber mit dir in ein Gespräch einlassen könnte: was für Ehre, was für Treue, was für Aufrichtigkeit mag
ich
Jch merkte, daß ſie verſtohlne Blicke auf den Tiſch warf, wo er lag.
Jch war unruhig, daß ich ihn nicht finden konnte ‒ ‒ Endlich, da mich ihre ſchlaue Augen wieder auf den rechten Ort fuͤhrten, entdeckte ich ihn auf dem Tiſche in der andern Ecke des Zim- mers.
Mit Freuden holte ich ihn. Belieben ſie die- ſen Brief zu leſen, gnaͤdige Fraͤulein, ſprach ich mit einer Mine, die von einer vergnuͤgten Beru- higung zeugte.
Sie nahm ihn, und ließ die Augen ſo fluͤch tig und unachtſam daruͤber weggehen, daß man offenbar merkte, daß ſie ihn ſchon vorher geleſen hatte. Hernach warf ſie ihn mit Undank auf das Fenſtergeſimſe vor ſich.
Jch bat ſie inſtaͤndigſt, mich morgen oder am Freytage fruͤhe, gluͤcklich zu machen: wenigſtens ihres Onkels Reiſe und guͤtige Bemuͤhungen, zwiſchen uns allen eine Verſoͤhnung zu ſtiften, nicht vergeblich ſeyn zu laſſen.
Zwiſchen uns allen! Das wiederholte ſie mit einer eben ſo unwilligen als unglaͤubiſchen Mine. O Lovelace, du biſt gewiß in deinem ſorg- faͤltigen Beſtreben, die Verſuchungen nach den Neiungen einzur chten, mit dem großen Betruͤ- ger nahe verwandt! ‒ ‒ Aber wenn es auch moͤg- lich waͤre, wie es nicht iſt, daß ich mich hieruͤber mit dir in ein Geſpraͤch einlaſſen koͤnnte: was fuͤr Ehre, was fuͤr Treue, was fuͤr Aufrichtigkeit mag
ich
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Jch merkte, daß ſie verſtohlne Blicke auf den
Tiſch warf, wo er lag.
Jch war unruhig, daß ich ihn nicht finden
konnte ‒ ‒ Endlich, da mich ihre ſchlaue Augen
wieder auf den rechten Ort fuͤhrten, entdeckte ich
ihn auf dem Tiſche in der andern Ecke des Zim-
mers.
Mit Freuden holte ich ihn. Belieben ſie die-
ſen Brief zu leſen, gnaͤdige Fraͤulein, ſprach ich
mit einer Mine, die von einer vergnuͤgten Beru-
higung zeugte.
Sie nahm ihn, und ließ die Augen ſo fluͤch
tig und unachtſam daruͤber weggehen, daß man
offenbar merkte, daß ſie ihn ſchon vorher geleſen
hatte. Hernach warf ſie ihn mit Undank auf
das Fenſtergeſimſe vor ſich.
Jch bat ſie inſtaͤndigſt, mich morgen oder am
Freytage fruͤhe, gluͤcklich zu machen: wenigſtens
ihres Onkels Reiſe und guͤtige Bemuͤhungen,
zwiſchen uns allen eine Verſoͤhnung zu ſtiften,
nicht vergeblich ſeyn zu laſſen.
Zwiſchen uns allen! Das wiederholte ſie
mit einer eben ſo unwilligen als unglaͤubiſchen
Mine. O Lovelace, du biſt gewiß in deinem ſorg-
faͤltigen Beſtreben, die Verſuchungen nach den
Neiungen einzur chten, mit dem großen Betruͤ-
ger nahe verwandt! ‒ ‒ Aber wenn es auch moͤg-
lich waͤre, wie es nicht iſt, daß ich mich hieruͤber
mit dir in ein Geſpraͤch einlaſſen koͤnnte: was fuͤr
Ehre, was fuͤr Treue, was fuͤr Aufrichtigkeit mag
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 742. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/748>, abgerufen am 23.11.2024.
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