dein ganzes Gesicht aus der einfältigen Run- dung in die scheuslichte länglichte Gestalt verzo- gen. Eine jede Sehne trug das ihrige bey, das gräuliche Ansehen vollkommen zu machen. Und nicht ein Wort konntest du von dir geben, als Amen zu meinem Gelübde.
Was habe ich nach der Zeit für vorzügliche Liebe, oder Gunst, oder Zuversicht von ihr erhal- ten, daß ich meine Gelübde deswegen brechen möchte?
Es ist wahr, ich habe es nachher nicht wie- der erneuet, und bin wirklich eine lange Zeit willens gewesen, es zu vergessen: bis wiederholte Vergehungen von eben der Art das Andenken der vorigen wiederum erwecket haben. Wenn du nun zu diesen den Jnhalt von einigen giftigen Briefen der Fräulein Howe setzest, die mir erst so neulich in die Hände gekommen sind: was kannst du denn für die aufrührische Schöne sa- gen, das mit deiner Treue gegen deinen Freund bestehen könnte?
Ein jeder nach seiner Neigung und Beschaf- fenheit. Hannibal ward der Vater der Krie- geslist genannt. Wäre Hannibal eine Privat- person gewesen, und hätte seinen durchtriebenen Kopf gegen das andre Geschlecht gewandt, oder wäre ich ein General gewesen und hätte meinen gegen solche von meinen Nebengeschöpfen mei- nes eignen Geschlechts gewandt, die ich mich als meine Feinde anzusehen, für berechtigt gehal- ten, weil sie in einer andern Gegend gezeuget
worden
dein ganzes Geſicht aus der einfaͤltigen Run- dung in die ſcheuslichte laͤnglichte Geſtalt verzo- gen. Eine jede Sehne trug das ihrige bey, das graͤuliche Anſehen vollkommen zu machen. Und nicht ein Wort konnteſt du von dir geben, als Amen zu meinem Geluͤbde.
Was habe ich nach der Zeit fuͤr vorzuͤgliche Liebe, oder Gunſt, oder Zuverſicht von ihr erhal- ten, daß ich meine Geluͤbde deswegen brechen moͤchte?
Es iſt wahr, ich habe es nachher nicht wie- der erneuet, und bin wirklich eine lange Zeit willens geweſen, es zu vergeſſen: bis wiederholte Vergehungen von eben der Art das Andenken der vorigen wiederum erwecket haben. Wenn du nun zu dieſen den Jnhalt von einigen giftigen Briefen der Fraͤulein Howe ſetzeſt, die mir erſt ſo neulich in die Haͤnde gekommen ſind: was kannſt du denn fuͤr die aufruͤhriſche Schoͤne ſa- gen, das mit deiner Treue gegen deinen Freund beſtehen koͤnnte?
Ein jeder nach ſeiner Neigung und Beſchaf- fenheit. Hannibal ward der Vater der Krie- gesliſt genannt. Waͤre Hannibal eine Privat- perſon geweſen, und haͤtte ſeinen durchtriebenen Kopf gegen das andre Geſchlecht gewandt, oder waͤre ich ein General geweſen und haͤtte meinen gegen ſolche von meinen Nebengeſchoͤpfen mei- nes eignen Geſchlechts gewandt, die ich mich als meine Feinde anzuſehen, fuͤr berechtigt gehal- ten, weil ſie in einer andern Gegend gezeuget
worden
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0062"n="56"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
dein ganzes Geſicht aus der einfaͤltigen Run-<lb/>
dung in die ſcheuslichte laͤnglichte Geſtalt verzo-<lb/>
gen. Eine jede Sehne trug das ihrige bey, das<lb/>
graͤuliche Anſehen vollkommen zu machen. Und<lb/>
nicht ein Wort konnteſt du von dir geben, als<lb/><hirendition="#fr">Amen</hi> zu meinem Geluͤbde.</p><lb/><p>Was habe ich nach der Zeit fuͤr vorzuͤgliche<lb/>
Liebe, oder Gunſt, oder Zuverſicht von ihr erhal-<lb/>
ten, daß ich meine Geluͤbde deswegen brechen<lb/>
moͤchte?</p><lb/><p>Es iſt wahr, ich habe es nachher nicht wie-<lb/>
der erneuet, und bin wirklich eine lange Zeit<lb/>
willens geweſen, es zu vergeſſen: bis wiederholte<lb/>
Vergehungen von eben der Art das Andenken<lb/>
der vorigen wiederum erwecket haben. Wenn<lb/>
du nun zu dieſen den Jnhalt von einigen giftigen<lb/>
Briefen der Fraͤulein Howe ſetzeſt, die mir erſt<lb/>ſo neulich in die Haͤnde gekommen ſind: was<lb/>
kannſt du denn fuͤr die aufruͤhriſche Schoͤne ſa-<lb/>
gen, das mit deiner Treue gegen deinen Freund<lb/>
beſtehen koͤnnte?</p><lb/><p>Ein jeder nach ſeiner Neigung und Beſchaf-<lb/>
fenheit. Hannibal ward der <hirendition="#fr">Vater der Krie-<lb/>
gesliſt</hi> genannt. Waͤre Hannibal eine Privat-<lb/>
perſon geweſen, und haͤtte ſeinen durchtriebenen<lb/>
Kopf gegen <hirendition="#fr">das andre Geſchlecht</hi> gewandt, oder<lb/>
waͤre ich ein General geweſen und haͤtte meinen<lb/>
gegen ſolche von meinen Nebengeſchoͤpfen <hirendition="#fr">mei-<lb/>
nes eignen Geſchlechts</hi> gewandt, die ich mich<lb/>
als meine Feinde anzuſehen, fuͤr berechtigt gehal-<lb/>
ten, weil ſie in einer andern Gegend gezeuget<lb/><fwplace="bottom"type="catch">worden</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[56/0062]
dein ganzes Geſicht aus der einfaͤltigen Run-
dung in die ſcheuslichte laͤnglichte Geſtalt verzo-
gen. Eine jede Sehne trug das ihrige bey, das
graͤuliche Anſehen vollkommen zu machen. Und
nicht ein Wort konnteſt du von dir geben, als
Amen zu meinem Geluͤbde.
Was habe ich nach der Zeit fuͤr vorzuͤgliche
Liebe, oder Gunſt, oder Zuverſicht von ihr erhal-
ten, daß ich meine Geluͤbde deswegen brechen
moͤchte?
Es iſt wahr, ich habe es nachher nicht wie-
der erneuet, und bin wirklich eine lange Zeit
willens geweſen, es zu vergeſſen: bis wiederholte
Vergehungen von eben der Art das Andenken
der vorigen wiederum erwecket haben. Wenn
du nun zu dieſen den Jnhalt von einigen giftigen
Briefen der Fraͤulein Howe ſetzeſt, die mir erſt
ſo neulich in die Haͤnde gekommen ſind: was
kannſt du denn fuͤr die aufruͤhriſche Schoͤne ſa-
gen, das mit deiner Treue gegen deinen Freund
beſtehen koͤnnte?
Ein jeder nach ſeiner Neigung und Beſchaf-
fenheit. Hannibal ward der Vater der Krie-
gesliſt genannt. Waͤre Hannibal eine Privat-
perſon geweſen, und haͤtte ſeinen durchtriebenen
Kopf gegen das andre Geſchlecht gewandt, oder
waͤre ich ein General geweſen und haͤtte meinen
gegen ſolche von meinen Nebengeſchoͤpfen mei-
nes eignen Geſchlechts gewandt, die ich mich
als meine Feinde anzuſehen, fuͤr berechtigt gehal-
ten, weil ſie in einer andern Gegend gezeuget
worden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/62>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.