Herz in Bewegung; und bloß Liebe und Rache konnten es thun: oder wie viel mehr müßte ich gelitten haben, als ich in der That litte!
Jch erzählte dir, als ich niedergeschlagen und verdrieslich zurück kam, den Jnhalt meines ab- gelassenen Briefes (*). Nachher zeigte ich dir auch eine tyrannische Antwort auf denselben (**). Damals Bruder, lobtest du deinen Freund und beklagtest deinen armen leidenden Lovelace. Selbst der beleidigte Gott der Liebe billigte die von mir gedrohete Rache an der freyen Verspre- cherinn: ob er gleich itzo, da ich die Gewalt in Händen habe, ohne sich der Nacht meines Leidens zu erinnern, durch dich ein Fürsprecher für sie geworden ist.
Ja, brachte er nicht selbst meine anbetens- würdige Nemesis zu mir, und lenkten mich zu eben dem Gelübde: "daß ich nicht eher ruhen "wollte, bis ich diese Göttinn-Tochter der Harlo- "wes zu meiner Beyschläferinn gemacht hätte, "und das vor den Augen ihrer ganzen aufgebla- "senen Familie?" Auch dir kann dieß Gelübde nicht vergessen seyn. Eben diesen Augenblick habe ich dich vor mir, so traurig, als du damals aussahest.
Deine starken Gesichtszüge glüeten von Mit- leiden gegen mich. Deine Lippen waren zusam- men gepreßt; deine Stirne voll tiefer Runzeln;
dein
(*) Siehe Th. II. S. 200.
(**) Siehe Th. II. S. 203.
D 4
Herz in Bewegung; und bloß Liebe und Rache konnten es thun: oder wie viel mehr muͤßte ich gelitten haben, als ich in der That litte!
Jch erzaͤhlte dir, als ich niedergeſchlagen und verdrieslich zuruͤck kam, den Jnhalt meines ab- gelaſſenen Briefes (*). Nachher zeigte ich dir auch eine tyranniſche Antwort auf denſelben (**). Damals Bruder, lobteſt du deinen Freund und beklagteſt deinen armen leidenden Lovelace. Selbſt der beleidigte Gott der Liebe billigte die von mir gedrohete Rache an der freyen Verſpre- cherinn: ob er gleich itzo, da ich die Gewalt in Haͤnden habe, ohne ſich der Nacht meines Leidens zu erinnern, durch dich ein Fuͤrſprecher fuͤr ſie geworden iſt.
Ja, brachte er nicht ſelbſt meine anbetens- wuͤrdige Nemeſis zu mir, und lenkten mich zu eben dem Geluͤbde: „daß ich nicht eher ruhen „wollte, bis ich dieſe Goͤttinn-Tochter der Harlo- „wes zu meiner Beyſchlaͤferinn gemacht haͤtte, „und das vor den Augen ihrer ganzen aufgebla- „ſenen Familie?„ Auch dir kann dieß Geluͤbde nicht vergeſſen ſeyn. Eben dieſen Augenblick habe ich dich vor mir, ſo traurig, als du damals ausſaheſt.
Deine ſtarken Geſichtszuͤge gluͤeten von Mit- leiden gegen mich. Deine Lippen waren zuſam- men gepreßt; deine Stirne voll tiefer Runzeln;
dein
(*) Siehe Th. II. S. 200.
(**) Siehe Th. II. S. 203.
D 4
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Herz in Bewegung; und bloß Liebe und Rache
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Jch erzaͤhlte dir, als ich niedergeſchlagen und
verdrieslich zuruͤck kam, den Jnhalt meines ab-
gelaſſenen Briefes (*). Nachher zeigte ich dir
auch eine tyranniſche Antwort auf denſelben (**).
Damals Bruder, lobteſt du deinen Freund und
beklagteſt deinen armen leidenden Lovelace.
Selbſt der beleidigte Gott der Liebe billigte die
von mir gedrohete Rache an der freyen Verſpre-
cherinn: ob er gleich itzo, da ich die Gewalt in
Haͤnden habe, ohne ſich der Nacht meines Leidens
zu erinnern, durch dich ein Fuͤrſprecher fuͤr ſie
geworden iſt.
Ja, brachte er nicht ſelbſt meine anbetens-
wuͤrdige Nemeſis zu mir, und lenkten mich zu
eben dem Geluͤbde: „daß ich nicht eher ruhen
„wollte, bis ich dieſe Goͤttinn-Tochter der Harlo-
„wes zu meiner Beyſchlaͤferinn gemacht haͤtte,
„und das vor den Augen ihrer ganzen aufgebla-
„ſenen Familie?„ Auch dir kann dieß Geluͤbde
nicht vergeſſen ſeyn. Eben dieſen Augenblick
habe ich dich vor mir, ſo traurig, als du damals
ausſaheſt.
Deine ſtarken Geſichtszuͤge gluͤeten von Mit-
leiden gegen mich. Deine Lippen waren zuſam-
men gepreßt; deine Stirne voll tiefer Runzeln;
dein
(*) Siehe Th. II. S. 200.
(**) Siehe Th. II. S. 203.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/61>, abgerufen am 23.11.2024.
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