sich wohl, aber ohne Stolz, bewußt ist, indem zugleich alle Züge in ihrer Bildung die hellesten Strahlen des Verstandes zeigen; nicht in der Gesellschaft ist.
Jch habe bisweilen meine Lust daran gehabt, den Unterschied zwischen diesen beyden, wenn sie zu- sammen gewesen sind, in dem Bezeigen eines Frem- den, der zu ihnen beyden hereingekommen, wenn sie neben einander gestanden, deutlich zu lesen. Es hat sich bey dergleichen Gelegenheit niemals getrof- fen, daß der Fremde nicht zuerst seine Schuldigkeit gegen meine Clarissa beobachtet hätte.
Eine ehrfurchtsvolle und nicht gemeine Hoch- achtung mahlte sich in allen Gesichtszügen desjeni- gen ab, der sich zu ihr wandte. Sein Auge schien um Erlaubniß zu bitten, daß er sich ihr nahen dürf- te. Es mochte eine Manns- oder Weibsperson seyn: so bückte oder neigte sie sich tiefer, als gemei- niglich. Und ob diese Ehrfurcht gleich alsobald durch die Holdseligkeit der Fräulein, wodurch sie sich zu einem jeden herabzulassen pflegte, verringert wurde: so hörte sie doch nicht gänzlich auf; sondern man konnte sehen, daß die Ehrerbietung allemal übrig blieb, nicht anders, als wenn die fremde Per- son mehr von der Göttinn als von dem Frauenzim- mer in ihr erblickte.
Den Augenblick aber, da sich eben der Frem- de zur Fräulein Howe wendet, ob sie gleich stolz und frech, hoch und steif ist, wird man in seinem Gesich- te, in seinem Wesen, womit er sie anredet, eine ge- wisse Art von angenommener Gleichheit wahrneh- men. Man sieht ihm an, daß er das Frauenzimmer in ihr entdecket hat: so reizend auch dieß Frauen- zimmer ist. Er lächelt. Er scheinet ein Erwiede- rung und scharfsinnige Antwort zu erwarten: und es schlägt ihm niemals fehl. Alsdenn aber setzt er sich augenscheinlich in die Verfassung, sowohl selbst
zu
ſich wohl, aber ohne Stolz, bewußt iſt, indem zugleich alle Zuͤge in ihrer Bildung die helleſten Strahlen des Verſtandes zeigen; nicht in der Geſellſchaft iſt.
Jch habe bisweilen meine Luſt daran gehabt, den Unterſchied zwiſchen dieſen beyden, wenn ſie zu- ſammen geweſen ſind, in dem Bezeigen eines Frem- den, der zu ihnen beyden hereingekommen, wenn ſie neben einander geſtanden, deutlich zu leſen. Es hat ſich bey dergleichen Gelegenheit niemals getrof- fen, daß der Fremde nicht zuerſt ſeine Schuldigkeit gegen meine Clariſſa beobachtet haͤtte.
Eine ehrfurchtsvolle und nicht gemeine Hoch- achtung mahlte ſich in allen Geſichtszuͤgen desjeni- gen ab, der ſich zu ihr wandte. Sein Auge ſchien um Erlaubniß zu bitten, daß er ſich ihr nahen duͤrf- te. Es mochte eine Manns- oder Weibsperſon ſeyn: ſo buͤckte oder neigte ſie ſich tiefer, als gemei- niglich. Und ob dieſe Ehrfurcht gleich alſobald durch die Holdſeligkeit der Fraͤulein, wodurch ſie ſich zu einem jeden herabzulaſſen pflegte, verringert wurde: ſo hoͤrte ſie doch nicht gaͤnzlich auf; ſondern man konnte ſehen, daß die Ehrerbietung allemal uͤbrig blieb, nicht anders, als wenn die fremde Per- ſon mehr von der Goͤttinn als von dem Frauenzim- mer in ihr erblickte.
Den Augenblick aber, da ſich eben der Frem- de zur Fraͤulein Howe wendet, ob ſie gleich ſtolz und frech, hoch und ſteif iſt, wird man in ſeinem Geſich- te, in ſeinem Weſen, womit er ſie anredet, eine ge- wiſſe Art von angenommener Gleichheit wahrneh- men. Man ſieht ihm an, daß er das Frauenzimmer in ihr entdecket hat: ſo reizend auch dieß Frauen- zimmer iſt. Er laͤchelt. Er ſcheinet ein Erwiede- rung und ſcharfſinnige Antwort zu erwarten: und es ſchlaͤgt ihm niemals fehl. Alsdenn aber ſetzt er ſich augenſcheinlich in die Verfaſſung, ſowohl ſelbſt
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ſich wohl, aber ohne Stolz, bewußt iſt, indem zugleich
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des Verſtandes zeigen; nicht in der Geſellſchaft
iſt.
Jch habe bisweilen meine Luſt daran gehabt,
den Unterſchied zwiſchen dieſen beyden, wenn ſie zu-
ſammen geweſen ſind, in dem Bezeigen eines Frem-
den, der zu ihnen beyden hereingekommen, wenn ſie
neben einander geſtanden, deutlich zu leſen. Es
hat ſich bey dergleichen Gelegenheit niemals getrof-
fen, daß der Fremde nicht zuerſt ſeine Schuldigkeit
gegen meine Clariſſa beobachtet haͤtte.
Eine ehrfurchtsvolle und nicht gemeine Hoch-
achtung mahlte ſich in allen Geſichtszuͤgen desjeni-
gen ab, der ſich zu ihr wandte. Sein Auge ſchien
um Erlaubniß zu bitten, daß er ſich ihr nahen duͤrf-
te. Es mochte eine Manns- oder Weibsperſon
ſeyn: ſo buͤckte oder neigte ſie ſich tiefer, als gemei-
niglich. Und ob dieſe Ehrfurcht gleich alſobald
durch die Holdſeligkeit der Fraͤulein, wodurch ſie
ſich zu einem jeden herabzulaſſen pflegte, verringert
wurde: ſo hoͤrte ſie doch nicht gaͤnzlich auf; ſondern
man konnte ſehen, daß die Ehrerbietung allemal
uͤbrig blieb, nicht anders, als wenn die fremde Per-
ſon mehr von der Goͤttinn als von dem Frauenzim-
mer in ihr erblickte.
Den Augenblick aber, da ſich eben der Frem-
de zur Fraͤulein Howe wendet, ob ſie gleich ſtolz und
frech, hoch und ſteif iſt, wird man in ſeinem Geſich-
te, in ſeinem Weſen, womit er ſie anredet, eine ge-
wiſſe Art von angenommener Gleichheit wahrneh-
men. Man ſieht ihm an, daß er das Frauenzimmer
in ihr entdecket hat: ſo reizend auch dieß Frauen-
zimmer iſt. Er laͤchelt. Er ſcheinet ein Erwiede-
rung und ſcharfſinnige Antwort zu erwarten: und
es ſchlaͤgt ihm niemals fehl. Alsdenn aber ſetzt er
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/540>, abgerufen am 22.11.2024.
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