deine Betrachtungen anzustellen, wie sie mich zu ihrem Unglücke liebe und wider alle Wahr- scheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalte, weit geneigter gewesen seyn würdest, eine zu stren- ge Tugend und übertriebene Bedenklichkeit an ihr zu tadeln. Und ich muß es dir sagen, hätte sie mich so geliebt, wie ich es wünschte: so hätte sie sich unmöglich so sehr vor meinen Absichten fürchten können; so hätte sie nicht so bereit seyn können, als sie allemal gewesen ist, die Vorschlä- ge der Fräulein Howe zu einer sorgfältigen Be- hutsamkeit bey sich gelten zu lassen. Das ist nicht möglich: ob auch gleich der gemeine Ruf von mir nicht für mich bey ihr gewesen.
Aber in deinen Gedanken macht das Leichte und Ungezwungene, in meinen Anschlägen mich tadelnswürdig. Und das ist doch eben ihr Haupt- vorzug. Jch brauche keine Maschinen zu be- wegen. Jch suche keinen unnatürlichen Schwung. Jch bleibe allezeit bloß bey der Natur, und ma- che mir die Natur, wohin sie sich lenket, zu Nu- tze. Meine Erfindungen sind so leicht und un- gekünstelt, daß, wenn sie bekannt werden; du, so gar du, dir einbildest, du hättest auf eben die Gedanken kommen können. Ja in der That scheinest du zu gestehen, daß die Geringschätzung, womit du sie ansiehest, bloß der frühzeitigen Er- öffnung, die ich dir von denselben und von mei- nen Absichten dabey gemacht habe, zuzuschreiben sey, so kurzsichtig und undankbar als du bist.
Jedoch
deine Betrachtungen anzuſtellen, wie ſie mich zu ihrem Ungluͤcke liebe und wider alle Wahr- ſcheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalte, weit geneigter geweſen ſeyn wuͤrdeſt, eine zu ſtren- ge Tugend und uͤbertriebene Bedenklichkeit an ihr zu tadeln. Und ich muß es dir ſagen, haͤtte ſie mich ſo geliebt, wie ich es wuͤnſchte: ſo haͤtte ſie ſich unmoͤglich ſo ſehr vor meinen Abſichten fuͤrchten koͤnnen; ſo haͤtte ſie nicht ſo bereit ſeyn koͤnnen, als ſie allemal geweſen iſt, die Vorſchlaͤ- ge der Fraͤulein Howe zu einer ſorgfaͤltigen Be- hutſamkeit bey ſich gelten zu laſſen. Das iſt nicht moͤglich: ob auch gleich der gemeine Ruf von mir nicht fuͤr mich bey ihr geweſen.
Aber in deinen Gedanken macht das Leichte und Ungezwungene, in meinen Anſchlaͤgen mich tadelnswuͤrdig. Und das iſt doch eben ihr Haupt- vorzug. Jch brauche keine Maſchinen zu be- wegen. Jch ſuche keinen unnatuͤrlichen Schwung. Jch bleibe allezeit bloß bey der Natur, und ma- che mir die Natur, wohin ſie ſich lenket, zu Nu- tze. Meine Erfindungen ſind ſo leicht und un- gekuͤnſtelt, daß, wenn ſie bekannt werden; du, ſo gar du, dir einbildeſt, du haͤtteſt auf eben die Gedanken kommen koͤnnen. Ja in der That ſcheineſt du zu geſtehen, daß die Geringſchaͤtzung, womit du ſie anſieheſt, bloß der fruͤhzeitigen Er- oͤffnung, die ich dir von denſelben und von mei- nen Abſichten dabey gemacht habe, zuzuſchreiben ſey, ſo kurzſichtig und undankbar als du biſt.
Jedoch
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deine Betrachtungen anzuſtellen, wie ſie mich zu
ihrem Ungluͤcke liebe und wider alle Wahr-
ſcheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalte,
weit geneigter geweſen ſeyn wuͤrdeſt, eine zu ſtren-
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ihr zu tadeln. Und ich muß es dir ſagen, haͤtte
ſie mich ſo geliebt, wie ich es wuͤnſchte: ſo haͤtte
ſie ſich unmoͤglich ſo ſehr vor meinen Abſichten
fuͤrchten koͤnnen; ſo haͤtte ſie nicht ſo bereit ſeyn
koͤnnen, als ſie allemal geweſen iſt, die Vorſchlaͤ-
ge der Fraͤulein Howe zu einer ſorgfaͤltigen Be-
hutſamkeit bey ſich gelten zu laſſen. Das iſt
nicht moͤglich: ob auch gleich der gemeine Ruf
von mir nicht fuͤr mich bey ihr geweſen.
Aber in deinen Gedanken macht das Leichte
und Ungezwungene, in meinen Anſchlaͤgen mich
tadelnswuͤrdig. Und das iſt doch eben ihr Haupt-
vorzug. Jch brauche keine Maſchinen zu be-
wegen. Jch ſuche keinen unnatuͤrlichen Schwung.
Jch bleibe allezeit bloß bey der Natur, und ma-
che mir die Natur, wohin ſie ſich lenket, zu Nu-
tze. Meine Erfindungen ſind ſo leicht und un-
gekuͤnſtelt, daß, wenn ſie bekannt werden; du,
ſo gar du, dir einbildeſt, du haͤtteſt auf eben die
Gedanken kommen koͤnnen. Ja in der That
ſcheineſt du zu geſtehen, daß die Geringſchaͤtzung,
womit du ſie anſieheſt, bloß der fruͤhzeitigen Er-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/54>, abgerufen am 23.11.2024.
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