mich zu Stande bringen kann: ob ich gleich die Nächte über aus dem Hause gebannet bin?
Wo kann ein Frauenzimmer sicher seyn, das sich einmal mit einem listigen und unerschrocknen Liebhaber eingelassen hat?
Aber wie steht es, deucht mich, fragst du, mit dem Briefe von der Fräulein Howe?
Jch wußte wohl, daß du dir meinetwegen Sorge machen würdest. Allein habe ich dir nicht schon zu verstehen gegeben, daß ich allen Dingen vorgebauet, daß ich allezeit Sorge getragen hät- te, die Siegel unverletzt und die Umschläge unbe- schädigt zu erhalten? Was meynst du denn, ist es nicht leicht gewesen, aus einem langen Briefe einen kürzern zusammenzusetzen und die Worte selbst nachzuschreiben?
Er war so wohl eingerichtet, kann ich dir sa- gen, daß ich nicht leicht verrathen werden konnte: weil kein Verdacht war, daß er in meinen Hän- den gewesen wäre. Wäre es meiner Geliebten Hand gewesen: so würde es mir unmöglich gefallen seyn, sie in einem so langen Schreiben nachzuah- men. Jhr zärtliches und gelassenes Gemüth zei- get sich selbst in den Zügen ihrer Buchstaben. Fräulein Howe schreibt eben keine schlechte Hand: allein ihre Hand ist nicht so gleich und regelmä- ßig. Die natürliche Ungeduld bey diesem klei- nen Teufel hat auch ihre Finger eilfertig gemacht, und vermuthlich von Anfange an, ihrer Hand- schrift sowohl, als dem übrigen, was von ihr kommt, ein hitziges und zufahrendes Wesen, und
die
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mich zu Stande bringen kann: ob ich gleich die Naͤchte uͤber aus dem Hauſe gebannet bin?
Wo kann ein Frauenzimmer ſicher ſeyn, das ſich einmal mit einem liſtigen und unerſchrocknen Liebhaber eingelaſſen hat?
Aber wie ſteht es, deucht mich, fragſt du, mit dem Briefe von der Fraͤulein Howe?
Jch wußte wohl, daß du dir meinetwegen Sorge machen wuͤrdeſt. Allein habe ich dir nicht ſchon zu verſtehen gegeben, daß ich allen Dingen vorgebauet, daß ich allezeit Sorge getragen haͤt- te, die Siegel unverletzt und die Umſchlaͤge unbe- ſchaͤdigt zu erhalten? Was meynſt du denn, iſt es nicht leicht geweſen, aus einem langen Briefe einen kuͤrzern zuſammenzuſetzen und die Worte ſelbſt nachzuſchreiben?
Er war ſo wohl eingerichtet, kann ich dir ſa- gen, daß ich nicht leicht verrathen werden konnte: weil kein Verdacht war, daß er in meinen Haͤn- den geweſen waͤre. Waͤre es meiner Geliebten Hand geweſen: ſo wuͤrde es mir unmoͤglich gefallen ſeyn, ſie in einem ſo langen Schreiben nachzuah- men. Jhr zaͤrtliches und gelaſſenes Gemuͤth zei- get ſich ſelbſt in den Zuͤgen ihrer Buchſtaben. Fraͤulein Howe ſchreibt eben keine ſchlechte Hand: allein ihre Hand iſt nicht ſo gleich und regelmaͤ- ßig. Die natuͤrliche Ungeduld bey dieſem klei- nen Teufel hat auch ihre Finger eilfertig gemacht, und vermuthlich von Anfange an, ihrer Hand- ſchrift ſowohl, als dem uͤbrigen, was von ihr kommt, ein hitziges und zufahrendes Weſen, und
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mich zu Stande bringen kann: ob ich gleich die
Naͤchte uͤber aus dem Hauſe gebannet bin?
Wo kann ein Frauenzimmer ſicher ſeyn, das
ſich einmal mit einem liſtigen und unerſchrocknen
Liebhaber eingelaſſen hat?
Aber wie ſteht es, deucht mich, fragſt du, mit
dem Briefe von der Fraͤulein Howe?
Jch wußte wohl, daß du dir meinetwegen
Sorge machen wuͤrdeſt. Allein habe ich dir nicht
ſchon zu verſtehen gegeben, daß ich allen Dingen
vorgebauet, daß ich allezeit Sorge getragen haͤt-
te, die Siegel unverletzt und die Umſchlaͤge unbe-
ſchaͤdigt zu erhalten? Was meynſt du denn, iſt
es nicht leicht geweſen, aus einem langen Briefe
einen kuͤrzern zuſammenzuſetzen und die Worte
ſelbſt nachzuſchreiben?
Er war ſo wohl eingerichtet, kann ich dir ſa-
gen, daß ich nicht leicht verrathen werden konnte:
weil kein Verdacht war, daß er in meinen Haͤn-
den geweſen waͤre. Waͤre es meiner Geliebten
Hand geweſen: ſo wuͤrde es mir unmoͤglich gefallen
ſeyn, ſie in einem ſo langen Schreiben nachzuah-
men. Jhr zaͤrtliches und gelaſſenes Gemuͤth zei-
get ſich ſelbſt in den Zuͤgen ihrer Buchſtaben.
Fraͤulein Howe ſchreibt eben keine ſchlechte Hand:
allein ihre Hand iſt nicht ſo gleich und regelmaͤ-
ßig. Die natuͤrliche Ungeduld bey dieſem klei-
nen Teufel hat auch ihre Finger eilfertig gemacht,
und vermuthlich von Anfange an, ihrer Hand-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/363>, abgerufen am 24.11.2024.
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