Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



sich die Entfernung zwischen ihrer Nase und ih-
rem Kinn verlängerte.

Mir fiel dabey die andächtige Fr. Fetherstone
zu Oxford ein, die ich dir einmal unter andern seltsa-
men Bildern in der Marienkirche zeigte, wohin wir
gegangen waren, ihre beyden Schwestern in Au-
genschein zu nehmen. Sie hatte die Augen zu-
geschlossen; als wenn sie ihrem Herzen nicht trau-
en dürfte, wenn sie offen wären: schlug aber doch
die Augenlieder eben halb auf, um zu sehen, wer
zuletzt gekommen wäre; und ließ sie wieder nie-
der, nachdem ihre Neubegierde gestillet war.

Die Witwe Bevis machte starre Augen:
als wenn sie auf ein Geheimniß laurete.

Der Capitain sahe großmüthig aus: als
wenn er schon halb hinter eines gekommen
wäre.

Endlich unterbrach Frau Moore das scham-
hafte Stillschweigen. Das Betragen der Frau Lo-
velacen, sprach sie, könnte durch nichts erkläret wer-
den, als durch die übeln Dienste der Fräulein
Howe und die Härte ihrer Anverwandten, wel-
che ihr vermuthlich den Kopf bisweilen ein we-
nig möchte eingenommen haben. Es wäre sehr
edelmüthig von mir gehandelt, setzte sie hinzu, daß
ich dem Sturm, wenn er sich erhübe, lieber den
freyen Lauf ließe, als ihn zu einer solchen Zeit
ärger machte.

Erlauben sie mir zu sagen, meine Herren,
sprach die Witwe Bevis, daß dieß unter tausend
Ehemännern nicht einer würde gethan haben.

Jch



ſich die Entfernung zwiſchen ihrer Naſe und ih-
rem Kinn verlaͤngerte.

Mir fiel dabey die andaͤchtige Fr. Fetherſtone
zu Oxford ein, die ich dir einmal unter andern ſeltſa-
men Bildern in der Marienkirche zeigte, wohin wir
gegangen waren, ihre beyden Schweſtern in Au-
genſchein zu nehmen. Sie hatte die Augen zu-
geſchloſſen; als wenn ſie ihrem Herzen nicht trau-
en duͤrfte, wenn ſie offen waͤren: ſchlug aber doch
die Augenlieder eben halb auf, um zu ſehen, wer
zuletzt gekommen waͤre; und ließ ſie wieder nie-
der, nachdem ihre Neubegierde geſtillet war.

Die Witwe Bevis machte ſtarre Augen:
als wenn ſie auf ein Geheimniß laurete.

Der Capitain ſahe großmuͤthig aus: als
wenn er ſchon halb hinter eines gekommen
waͤre.

Endlich unterbrach Frau Moore das ſcham-
hafte Stillſchweigen. Das Betragen der Frau Lo-
velacen, ſprach ſie, koͤnnte durch nichts erklaͤret wer-
den, als durch die uͤbeln Dienſte der Fraͤulein
Howe und die Haͤrte ihrer Anverwandten, wel-
che ihr vermuthlich den Kopf bisweilen ein we-
nig moͤchte eingenommen haben. Es waͤre ſehr
edelmuͤthig von mir gehandelt, ſetzte ſie hinzu, daß
ich dem Sturm, wenn er ſich erhuͤbe, lieber den
freyen Lauf ließe, als ihn zu einer ſolchen Zeit
aͤrger machte.

Erlauben ſie mir zu ſagen, meine Herren,
ſprach die Witwe Bevis, daß dieß unter tauſend
Ehemaͤnnern nicht einer wuͤrde gethan haben.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0344" n="338"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;ich die Entfernung zwi&#x017F;chen ihrer Na&#x017F;e und ih-<lb/>
rem Kinn verla&#x0364;ngerte.</p><lb/>
          <p>Mir fiel dabey die anda&#x0364;chtige Fr. Fether&#x017F;tone<lb/>
zu Oxford ein, die ich dir einmal unter andern &#x017F;elt&#x017F;a-<lb/>
men Bildern in der Marienkirche zeigte, wohin wir<lb/>
gegangen waren, ihre beyden Schwe&#x017F;tern in Au-<lb/>
gen&#x017F;chein zu nehmen. Sie hatte die Augen zu-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en; als wenn &#x017F;ie ihrem Herzen nicht trau-<lb/>
en du&#x0364;rfte, wenn &#x017F;ie offen wa&#x0364;ren: &#x017F;chlug aber doch<lb/>
die Augenlieder eben halb auf, um zu &#x017F;ehen, wer<lb/>
zuletzt gekommen wa&#x0364;re; und ließ &#x017F;ie wieder nie-<lb/>
der, nachdem ihre Neubegierde ge&#x017F;tillet war.</p><lb/>
          <p>Die Witwe Bevis machte &#x017F;tarre Augen:<lb/>
als wenn &#x017F;ie auf ein Geheimniß laurete.</p><lb/>
          <p>Der Capitain &#x017F;ahe großmu&#x0364;thig aus: als<lb/>
wenn er &#x017F;chon halb hinter eines gekommen<lb/>
wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Endlich unterbrach Frau Moore das &#x017F;cham-<lb/>
hafte Still&#x017F;chweigen. Das Betragen der Frau Lo-<lb/>
velacen, &#x017F;prach &#x017F;ie, ko&#x0364;nnte durch nichts erkla&#x0364;ret wer-<lb/>
den, als durch die u&#x0364;beln Dien&#x017F;te der Fra&#x0364;ulein<lb/>
Howe und die Ha&#x0364;rte ihrer Anverwandten, wel-<lb/>
che ihr vermuthlich den Kopf bisweilen ein we-<lb/>
nig mo&#x0364;chte eingenommen haben. Es wa&#x0364;re &#x017F;ehr<lb/>
edelmu&#x0364;thig von mir gehandelt, &#x017F;etzte &#x017F;ie hinzu, daß<lb/>
ich dem Sturm, wenn er &#x017F;ich erhu&#x0364;be, lieber den<lb/>
freyen Lauf ließe, als ihn zu einer &#x017F;olchen Zeit<lb/>
a&#x0364;rger machte.</p><lb/>
          <p>Erlauben &#x017F;ie mir zu &#x017F;agen, meine Herren,<lb/>
&#x017F;prach die Witwe Bevis, daß dieß unter tau&#x017F;end<lb/>
Ehema&#x0364;nnern nicht einer wu&#x0364;rde gethan haben.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0344] ſich die Entfernung zwiſchen ihrer Naſe und ih- rem Kinn verlaͤngerte. Mir fiel dabey die andaͤchtige Fr. Fetherſtone zu Oxford ein, die ich dir einmal unter andern ſeltſa- men Bildern in der Marienkirche zeigte, wohin wir gegangen waren, ihre beyden Schweſtern in Au- genſchein zu nehmen. Sie hatte die Augen zu- geſchloſſen; als wenn ſie ihrem Herzen nicht trau- en duͤrfte, wenn ſie offen waͤren: ſchlug aber doch die Augenlieder eben halb auf, um zu ſehen, wer zuletzt gekommen waͤre; und ließ ſie wieder nie- der, nachdem ihre Neubegierde geſtillet war. Die Witwe Bevis machte ſtarre Augen: als wenn ſie auf ein Geheimniß laurete. Der Capitain ſahe großmuͤthig aus: als wenn er ſchon halb hinter eines gekommen waͤre. Endlich unterbrach Frau Moore das ſcham- hafte Stillſchweigen. Das Betragen der Frau Lo- velacen, ſprach ſie, koͤnnte durch nichts erklaͤret wer- den, als durch die uͤbeln Dienſte der Fraͤulein Howe und die Haͤrte ihrer Anverwandten, wel- che ihr vermuthlich den Kopf bisweilen ein we- nig moͤchte eingenommen haben. Es waͤre ſehr edelmuͤthig von mir gehandelt, ſetzte ſie hinzu, daß ich dem Sturm, wenn er ſich erhuͤbe, lieber den freyen Lauf ließe, als ihn zu einer ſolchen Zeit aͤrger machte. Erlauben ſie mir zu ſagen, meine Herren, ſprach die Witwe Bevis, daß dieß unter tauſend Ehemaͤnnern nicht einer wuͤrde gethan haben. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/344
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/344>, abgerufen am 22.11.2024.