sehr meine Seele ihre niederträchtige Gesinnung verachte. Aber eine niederträchtige Gesinnung muß demjenigen allezeit anhangen, der nieder- trächtig handeln kann! - -
Die Frauenzimmer glaubten, daß wir uns vermuthlich mit einander wieder vertragen wür- den, und gingen deswegen von uns. Meine wunderliche Geliebte setzte sich zwar dagegen: allein sie sahen, daß mir ihre Abwesenheit lieb seyn würde. Als sie abgetreten waren: warf ich mich ihr noch einmal zu den Füssen, erkannte meine Schuld, wodurch ich sie beleidigt hatte, bat um Verzeihung, nur für dieß einzige mal, und versprach auf das künftige die genaueste Vorsichtigkeit.
Es wäre ihr unmöglich, versetzte sie, ihr Gedächtniß zu behalten und mir zu verzeihen. Was hattest du in der Aufführung der Clarissa Harlowe gesehen, das dir zu einer solchen Be- schimpfung, als du dich ihr anzuthun unterstun- dest, Muth machen sollte? Was für niedrige Gedanken mußt du von ihr haben, daß du dir herausnehmen konntest, so sträflich zu verfahren, und von ihr vermuthen mochtest, sie würde die Schwachheit begehen, dir zu vergeben.
Jch bat, sie möchte mir erlauben, den Brief des Capitains Tomlinsons mit ihr durchzugehen. Jch wäre versichert, sie könnte unmöglich die gehörige Aufmerksamkeit darauf gewandt haben.
Jch
U 4
ſehr meine Seele ihre niedertraͤchtige Geſinnung verachte. Aber eine niedertraͤchtige Geſinnung muß demjenigen allezeit anhangen, der nieder- traͤchtig handeln kann! ‒ ‒
Die Frauenzimmer glaubten, daß wir uns vermuthlich mit einander wieder vertragen wuͤr- den, und gingen deswegen von uns. Meine wunderliche Geliebte ſetzte ſich zwar dagegen: allein ſie ſahen, daß mir ihre Abweſenheit lieb ſeyn wuͤrde. Als ſie abgetreten waren: warf ich mich ihr noch einmal zu den Fuͤſſen, erkannte meine Schuld, wodurch ich ſie beleidigt hatte, bat um Verzeihung, nur fuͤr dieß einzige mal, und verſprach auf das kuͤnftige die genaueſte Vorſichtigkeit.
Es waͤre ihr unmoͤglich, verſetzte ſie, ihr Gedaͤchtniß zu behalten und mir zu verzeihen. Was hatteſt du in der Auffuͤhrung der Clariſſa Harlowe geſehen, das dir zu einer ſolchen Be- ſchimpfung, als du dich ihr anzuthun unterſtun- deſt, Muth machen ſollte? Was fuͤr niedrige Gedanken mußt du von ihr haben, daß du dir herausnehmen konnteſt, ſo ſtraͤflich zu verfahren, und von ihr vermuthen mochteſt, ſie wuͤrde die Schwachheit begehen, dir zu vergeben.
Jch bat, ſie moͤchte mir erlauben, den Brief des Capitains Tomlinſons mit ihr durchzugehen. Jch waͤre verſichert, ſie koͤnnte unmoͤglich die gehoͤrige Aufmerkſamkeit darauf gewandt haben.
Jch
U 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0317"n="311"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>ſehr meine Seele ihre niedertraͤchtige Geſinnung<lb/>
verachte. Aber eine niedertraͤchtige Geſinnung<lb/>
muß demjenigen allezeit anhangen, der nieder-<lb/>
traͤchtig handeln kann! ‒‒</p><lb/><p>Die Frauenzimmer glaubten, daß wir uns<lb/>
vermuthlich mit einander wieder vertragen wuͤr-<lb/>
den, und gingen deswegen von uns. Meine<lb/>
wunderliche Geliebte ſetzte ſich zwar dagegen:<lb/>
allein ſie ſahen, daß mir ihre Abweſenheit lieb<lb/>ſeyn wuͤrde. Als ſie abgetreten waren: warf ich<lb/>
mich ihr noch einmal zu den Fuͤſſen, erkannte<lb/>
meine Schuld, wodurch ich ſie beleidigt hatte,<lb/>
bat um Verzeihung, nur fuͤr dieß einzige mal,<lb/>
und verſprach auf das kuͤnftige die genaueſte<lb/>
Vorſichtigkeit.</p><lb/><p>Es waͤre ihr unmoͤglich, verſetzte ſie, ihr<lb/><hirendition="#fr">Gedaͤchtniß</hi> zu behalten und mir zu <hirendition="#fr">verzeihen.</hi><lb/>
Was hatteſt du in der Auffuͤhrung der Clariſſa<lb/>
Harlowe <hirendition="#fr">geſehen,</hi> das dir zu einer ſolchen Be-<lb/>ſchimpfung, als du dich ihr anzuthun unterſtun-<lb/>
deſt, Muth machen ſollte? Was fuͤr niedrige<lb/>
Gedanken mußt du von <hirendition="#fr">ihr</hi> haben, daß <hirendition="#fr">du</hi> dir<lb/>
herausnehmen konnteſt, ſo ſtraͤflich zu verfahren,<lb/>
und von <hirendition="#fr">ihr</hi> vermuthen mochteſt, ſie wuͤrde die<lb/>
Schwachheit begehen, dir zu vergeben.</p><lb/><p>Jch bat, ſie moͤchte mir erlauben, den Brief<lb/>
des Capitains Tomlinſons mit ihr durchzugehen.<lb/>
Jch waͤre verſichert, ſie koͤnnte unmoͤglich die<lb/>
gehoͤrige Aufmerkſamkeit darauf gewandt haben.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">U 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Jch</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[311/0317]
ſehr meine Seele ihre niedertraͤchtige Geſinnung
verachte. Aber eine niedertraͤchtige Geſinnung
muß demjenigen allezeit anhangen, der nieder-
traͤchtig handeln kann! ‒ ‒
Die Frauenzimmer glaubten, daß wir uns
vermuthlich mit einander wieder vertragen wuͤr-
den, und gingen deswegen von uns. Meine
wunderliche Geliebte ſetzte ſich zwar dagegen:
allein ſie ſahen, daß mir ihre Abweſenheit lieb
ſeyn wuͤrde. Als ſie abgetreten waren: warf ich
mich ihr noch einmal zu den Fuͤſſen, erkannte
meine Schuld, wodurch ich ſie beleidigt hatte,
bat um Verzeihung, nur fuͤr dieß einzige mal,
und verſprach auf das kuͤnftige die genaueſte
Vorſichtigkeit.
Es waͤre ihr unmoͤglich, verſetzte ſie, ihr
Gedaͤchtniß zu behalten und mir zu verzeihen.
Was hatteſt du in der Auffuͤhrung der Clariſſa
Harlowe geſehen, das dir zu einer ſolchen Be-
ſchimpfung, als du dich ihr anzuthun unterſtun-
deſt, Muth machen ſollte? Was fuͤr niedrige
Gedanken mußt du von ihr haben, daß du dir
herausnehmen konnteſt, ſo ſtraͤflich zu verfahren,
und von ihr vermuthen mochteſt, ſie wuͤrde die
Schwachheit begehen, dir zu vergeben.
Jch bat, ſie moͤchte mir erlauben, den Brief
des Capitains Tomlinſons mit ihr durchzugehen.
Jch waͤre verſichert, ſie koͤnnte unmoͤglich die
gehoͤrige Aufmerkſamkeit darauf gewandt haben.
Jch
U 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/317>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.