Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



elend seyn muß: wenn ich von euren Verfolgun-
gen frey werden kann! - -

Die Jungfer Rawlins sahe mich starre an.
Was für ein vertraulichs Schäfchen ist die Jung-
fer Rawlins, dachte ich! Frau Moore that eben
das - - Jch habe es ihnen gesagt, flisperte ich
ihnen zu, nachdem ich mich gegen sie gewandt
hatte, und indem ich den Kopf mit einem beküm-
merten und mitleidigen Gesichte schüttelte. Jch
fing aber darauf alsobald wieder mit meiner
Schönen an zu reden. Meine Allerliebste, wie
wunderlich reden sie! - - Sie werden sich von
den Wirkungen dieser Heftigkeit nicht leicht wie-
der erholen. Haben sie Geduld, meine Geliebte!
Seyn sie ruhig! Wir wollen gelassen und mit
kaltem Muthe von der Sache reden. Sie un-
terwerfen sich selbst so wohl als mich ungleichen
Urtheilen. Diese Frauenzimmer werden gewiß
denken, daß sie unter Räuber und Mörder gefal-
len sind, und daß ich das Haupt davon bin.

Das sind sie auch! das sind sie auch! Hie-
bey stampfte sie mit dem Fuß, und hielte ihr Ge-
sicht noch immer bedeckt. Sie dachte sonder
Zweifel an die Mittwochens Nacht. Sie seuf-
zete, als wenn ihr das Herz brechen wollte, und
legte ihre Hand an den Vorkopf - - Jch werde
ganz außer mir kommen!

Jch will den Vorhang, meine Herzens-Lieb-
ste, nicht von ihrem Gesichte ziehen. Sie sollen
mich nicht ansehen: da ich ihnen so verhaßt bin.

Allein



elend ſeyn muß: wenn ich von euren Verfolgun-
gen frey werden kann! ‒ ‒

Die Jungfer Rawlins ſahe mich ſtarre an.
Was fuͤr ein vertraulichs Schaͤfchen iſt die Jung-
fer Rawlins, dachte ich! Frau Moore that eben
das ‒ ‒ Jch habe es ihnen geſagt, fliſperte ich
ihnen zu, nachdem ich mich gegen ſie gewandt
hatte, und indem ich den Kopf mit einem bekuͤm-
merten und mitleidigen Geſichte ſchuͤttelte. Jch
fing aber darauf alſobald wieder mit meiner
Schoͤnen an zu reden. Meine Allerliebſte, wie
wunderlich reden ſie! ‒ ‒ Sie werden ſich von
den Wirkungen dieſer Heftigkeit nicht leicht wie-
der erholen. Haben ſie Geduld, meine Geliebte!
Seyn ſie ruhig! Wir wollen gelaſſen und mit
kaltem Muthe von der Sache reden. Sie un-
terwerfen ſich ſelbſt ſo wohl als mich ungleichen
Urtheilen. Dieſe Frauenzimmer werden gewiß
denken, daß ſie unter Raͤuber und Moͤrder gefal-
len ſind, und daß ich das Haupt davon bin.

Das ſind ſie auch! das ſind ſie auch! Hie-
bey ſtampfte ſie mit dem Fuß, und hielte ihr Ge-
ſicht noch immer bedeckt. Sie dachte ſonder
Zweifel an die Mittwochens Nacht. Sie ſeuf-
zete, als wenn ihr das Herz brechen wollte, und
legte ihre Hand an den Vorkopf ‒ ‒ Jch werde
ganz außer mir kommen!

Jch will den Vorhang, meine Herzens-Lieb-
ſte, nicht von ihrem Geſichte ziehen. Sie ſollen
mich nicht anſehen: da ich ihnen ſo verhaßt bin.

Allein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="239"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
elend &#x017F;eyn muß: wenn ich von euren Verfolgun-<lb/>
gen frey werden kann! &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Die Jungfer Rawlins &#x017F;ahe mich &#x017F;tarre an.<lb/>
Was fu&#x0364;r ein vertraulichs Scha&#x0364;fchen i&#x017F;t die Jung-<lb/>
fer Rawlins, dachte ich! Frau Moore that eben<lb/>
das &#x2012; &#x2012; Jch habe es ihnen ge&#x017F;agt, fli&#x017F;perte ich<lb/>
ihnen zu, nachdem ich mich gegen &#x017F;ie gewandt<lb/>
hatte, und indem ich den Kopf mit einem beku&#x0364;m-<lb/>
merten und mitleidigen Ge&#x017F;ichte &#x017F;chu&#x0364;ttelte. Jch<lb/>
fing aber darauf al&#x017F;obald wieder mit meiner<lb/>
Scho&#x0364;nen an zu reden. Meine Allerlieb&#x017F;te, wie<lb/>
wunderlich reden &#x017F;ie! &#x2012; &#x2012; Sie werden &#x017F;ich von<lb/>
den Wirkungen die&#x017F;er Heftigkeit nicht leicht wie-<lb/>
der erholen. Haben &#x017F;ie Geduld, meine Geliebte!<lb/>
Seyn &#x017F;ie ruhig! Wir wollen gela&#x017F;&#x017F;en und mit<lb/>
kaltem Muthe von der Sache reden. Sie un-<lb/>
terwerfen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o wohl als mich ungleichen<lb/>
Urtheilen. Die&#x017F;e Frauenzimmer werden gewiß<lb/>
denken, daß &#x017F;ie unter Ra&#x0364;uber und Mo&#x0364;rder gefal-<lb/>
len &#x017F;ind, und daß ich das Haupt davon bin.</p><lb/>
          <p>Das &#x017F;ind &#x017F;ie auch! das &#x017F;ind &#x017F;ie auch! Hie-<lb/>
bey &#x017F;tampfte &#x017F;ie mit dem Fuß, und hielte ihr Ge-<lb/>
&#x017F;icht noch immer bedeckt. Sie dachte &#x017F;onder<lb/>
Zweifel an die Mittwochens Nacht. Sie &#x017F;euf-<lb/>
zete, als wenn ihr das Herz brechen wollte, und<lb/>
legte ihre Hand an den Vorkopf &#x2012; &#x2012; Jch werde<lb/>
ganz außer mir kommen!</p><lb/>
          <p>Jch will den Vorhang, meine Herzens-Lieb-<lb/>
&#x017F;te, nicht von ihrem Ge&#x017F;ichte ziehen. Sie &#x017F;ollen<lb/>
mich nicht an&#x017F;ehen: da ich ihnen &#x017F;o verhaßt bin.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Allein</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0245] elend ſeyn muß: wenn ich von euren Verfolgun- gen frey werden kann! ‒ ‒ Die Jungfer Rawlins ſahe mich ſtarre an. Was fuͤr ein vertraulichs Schaͤfchen iſt die Jung- fer Rawlins, dachte ich! Frau Moore that eben das ‒ ‒ Jch habe es ihnen geſagt, fliſperte ich ihnen zu, nachdem ich mich gegen ſie gewandt hatte, und indem ich den Kopf mit einem bekuͤm- merten und mitleidigen Geſichte ſchuͤttelte. Jch fing aber darauf alſobald wieder mit meiner Schoͤnen an zu reden. Meine Allerliebſte, wie wunderlich reden ſie! ‒ ‒ Sie werden ſich von den Wirkungen dieſer Heftigkeit nicht leicht wie- der erholen. Haben ſie Geduld, meine Geliebte! Seyn ſie ruhig! Wir wollen gelaſſen und mit kaltem Muthe von der Sache reden. Sie un- terwerfen ſich ſelbſt ſo wohl als mich ungleichen Urtheilen. Dieſe Frauenzimmer werden gewiß denken, daß ſie unter Raͤuber und Moͤrder gefal- len ſind, und daß ich das Haupt davon bin. Das ſind ſie auch! das ſind ſie auch! Hie- bey ſtampfte ſie mit dem Fuß, und hielte ihr Ge- ſicht noch immer bedeckt. Sie dachte ſonder Zweifel an die Mittwochens Nacht. Sie ſeuf- zete, als wenn ihr das Herz brechen wollte, und legte ihre Hand an den Vorkopf ‒ ‒ Jch werde ganz außer mir kommen! Jch will den Vorhang, meine Herzens-Lieb- ſte, nicht von ihrem Geſichte ziehen. Sie ſollen mich nicht anſehen: da ich ihnen ſo verhaßt bin. Allein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/245
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/245>, abgerufen am 25.11.2024.