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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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elend seyn muß: wenn ich von euren Verfolgun-
gen frey werden kann! - -

Die Jungfer Rawlins sahe mich starre an.
Was für ein vertraulichs Schäfchen ist die Jung-
fer Rawlins, dachte ich! Frau Moore that eben
das - - Jch habe es ihnen gesagt, flisperte ich
ihnen zu, nachdem ich mich gegen sie gewandt
hatte, und indem ich den Kopf mit einem beküm-
merten und mitleidigen Gesichte schüttelte. Jch
fing aber darauf alsobald wieder mit meiner
Schönen an zu reden. Meine Allerliebste, wie
wunderlich reden sie! - - Sie werden sich von
den Wirkungen dieser Heftigkeit nicht leicht wie-
der erholen. Haben sie Geduld, meine Geliebte!
Seyn sie ruhig! Wir wollen gelassen und mit
kaltem Muthe von der Sache reden. Sie un-
terwerfen sich selbst so wohl als mich ungleichen
Urtheilen. Diese Frauenzimmer werden gewiß
denken, daß sie unter Räuber und Mörder gefal-
len sind, und daß ich das Haupt davon bin.

Das sind sie auch! das sind sie auch! Hie-
bey stampfte sie mit dem Fuß, und hielte ihr Ge-
sicht noch immer bedeckt. Sie dachte sonder
Zweifel an die Mittwochens Nacht. Sie seuf-
zete, als wenn ihr das Herz brechen wollte, und
legte ihre Hand an den Vorkopf - - Jch werde
ganz außer mir kommen!

Jch will den Vorhang, meine Herzens-Lieb-
ste, nicht von ihrem Gesichte ziehen. Sie sollen
mich nicht ansehen: da ich ihnen so verhaßt bin.

Allein



elend ſeyn muß: wenn ich von euren Verfolgun-
gen frey werden kann! ‒ ‒

Die Jungfer Rawlins ſahe mich ſtarre an.
Was fuͤr ein vertraulichs Schaͤfchen iſt die Jung-
fer Rawlins, dachte ich! Frau Moore that eben
das ‒ ‒ Jch habe es ihnen geſagt, fliſperte ich
ihnen zu, nachdem ich mich gegen ſie gewandt
hatte, und indem ich den Kopf mit einem bekuͤm-
merten und mitleidigen Geſichte ſchuͤttelte. Jch
fing aber darauf alſobald wieder mit meiner
Schoͤnen an zu reden. Meine Allerliebſte, wie
wunderlich reden ſie! ‒ ‒ Sie werden ſich von
den Wirkungen dieſer Heftigkeit nicht leicht wie-
der erholen. Haben ſie Geduld, meine Geliebte!
Seyn ſie ruhig! Wir wollen gelaſſen und mit
kaltem Muthe von der Sache reden. Sie un-
terwerfen ſich ſelbſt ſo wohl als mich ungleichen
Urtheilen. Dieſe Frauenzimmer werden gewiß
denken, daß ſie unter Raͤuber und Moͤrder gefal-
len ſind, und daß ich das Haupt davon bin.

Das ſind ſie auch! das ſind ſie auch! Hie-
bey ſtampfte ſie mit dem Fuß, und hielte ihr Ge-
ſicht noch immer bedeckt. Sie dachte ſonder
Zweifel an die Mittwochens Nacht. Sie ſeuf-
zete, als wenn ihr das Herz brechen wollte, und
legte ihre Hand an den Vorkopf ‒ ‒ Jch werde
ganz außer mir kommen!

Jch will den Vorhang, meine Herzens-Lieb-
ſte, nicht von ihrem Geſichte ziehen. Sie ſollen
mich nicht anſehen: da ich ihnen ſo verhaßt bin.

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[239/0245] elend ſeyn muß: wenn ich von euren Verfolgun- gen frey werden kann! ‒ ‒ Die Jungfer Rawlins ſahe mich ſtarre an. Was fuͤr ein vertraulichs Schaͤfchen iſt die Jung- fer Rawlins, dachte ich! Frau Moore that eben das ‒ ‒ Jch habe es ihnen geſagt, fliſperte ich ihnen zu, nachdem ich mich gegen ſie gewandt hatte, und indem ich den Kopf mit einem bekuͤm- merten und mitleidigen Geſichte ſchuͤttelte. Jch fing aber darauf alſobald wieder mit meiner Schoͤnen an zu reden. Meine Allerliebſte, wie wunderlich reden ſie! ‒ ‒ Sie werden ſich von den Wirkungen dieſer Heftigkeit nicht leicht wie- der erholen. Haben ſie Geduld, meine Geliebte! Seyn ſie ruhig! Wir wollen gelaſſen und mit kaltem Muthe von der Sache reden. Sie un- terwerfen ſich ſelbſt ſo wohl als mich ungleichen Urtheilen. Dieſe Frauenzimmer werden gewiß denken, daß ſie unter Raͤuber und Moͤrder gefal- len ſind, und daß ich das Haupt davon bin. Das ſind ſie auch! das ſind ſie auch! Hie- bey ſtampfte ſie mit dem Fuß, und hielte ihr Ge- ſicht noch immer bedeckt. Sie dachte ſonder Zweifel an die Mittwochens Nacht. Sie ſeuf- zete, als wenn ihr das Herz brechen wollte, und legte ihre Hand an den Vorkopf ‒ ‒ Jch werde ganz außer mir kommen! Jch will den Vorhang, meine Herzens-Lieb- ſte, nicht von ihrem Geſichte ziehen. Sie ſollen mich nicht anſehen: da ich ihnen ſo verhaßt bin. Allein

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/245>, abgerufen am 17.05.2024.