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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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sie den schrecklichen Uebeln entgehen könnte, die
ihr sonst auszustehen seyn würden.

Die beyden Frauenspersonen predigten ihr
Geduld und Ruhigseyn, und wollten gern, daß
sie sich niederlegen sollte. Allein sie schlug es ab.
Jedoch sank sie auf einen bequemen Stuhl. Denn
sie zitterte so, daß sie nicht stehen konnte.

Unterdessen vermuthete ich, sie würde sich ge-
nug erholet haben, die Gegenwart einer Person
zu ertragen, die ich sie, weil mir daran gelegen
war, zu ertragen nöthigen mußte. Und da ich
besorgte, sie möchte bey ihren kläglichen Ausru-
fungen etwas ausstoßen, das mich noch mehr
verwirren dürfte: so kam ich wieder in das Zim-
mer.

O! da ist er! sagte sie, und zog ihre Schür-
ze über das Gesicht - Jch kann ihn nicht sehen!
- Jch kann kein Auge vor ihm öffnen - - Weg!
Weg! Mich nicht angerührt! -

Denn ich nahm ihre sträubende Hand und
bat, sie möchte sich zufrieden geben. Jch versi-
cherte, daß ich alles nach ihren selbstbeliebigen
Bedingungen und Wünschen mit ihr gut machen
wollte.

Niederträchtiger Kerl, sagte die hitzige Fräu-
lein, ich habe keine andern Wünsche, als euch nie-
mals mehr zu sehen! Warum muß ich mich so
verfolgen und jagen lassen? Habt ihr mich nicht
schon elend genug gemacht? Entblößt von allem
Beystande, von aller Hülfe und von allen Freun-
den bin ich es zufrieden, daß ich arm, niedrig und

elend



ſie den ſchrecklichen Uebeln entgehen koͤnnte, die
ihr ſonſt auszuſtehen ſeyn wuͤrden.

Die beyden Frauensperſonen predigten ihr
Geduld und Ruhigſeyn, und wollten gern, daß
ſie ſich niederlegen ſollte. Allein ſie ſchlug es ab.
Jedoch ſank ſie auf einen bequemen Stuhl. Denn
ſie zitterte ſo, daß ſie nicht ſtehen konnte.

Unterdeſſen vermuthete ich, ſie wuͤrde ſich ge-
nug erholet haben, die Gegenwart einer Perſon
zu ertragen, die ich ſie, weil mir daran gelegen
war, zu ertragen noͤthigen mußte. Und da ich
beſorgte, ſie moͤchte bey ihren klaͤglichen Ausru-
fungen etwas ausſtoßen, das mich noch mehr
verwirren duͤrfte: ſo kam ich wieder in das Zim-
mer.

O! da iſt er! ſagte ſie, und zog ihre Schuͤr-
ze uͤber das Geſicht ‒ Jch kann ihn nicht ſehen!
‒ Jch kann kein Auge vor ihm oͤffnen ‒ ‒ Weg!
Weg! Mich nicht angeruͤhrt! ‒

Denn ich nahm ihre ſtraͤubende Hand und
bat, ſie moͤchte ſich zufrieden geben. Jch verſi-
cherte, daß ich alles nach ihren ſelbſtbeliebigen
Bedingungen und Wuͤnſchen mit ihr gut machen
wollte.

Niedertraͤchtiger Kerl, ſagte die hitzige Fraͤu-
lein, ich habe keine andern Wuͤnſche, als euch nie-
mals mehr zu ſehen! Warum muß ich mich ſo
verfolgen und jagen laſſen? Habt ihr mich nicht
ſchon elend genug gemacht? Entbloͤßt von allem
Beyſtande, von aller Huͤlfe und von allen Freun-
den bin ich es zufrieden, daß ich arm, niedrig und

elend
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[238/0244] ſie den ſchrecklichen Uebeln entgehen koͤnnte, die ihr ſonſt auszuſtehen ſeyn wuͤrden. Die beyden Frauensperſonen predigten ihr Geduld und Ruhigſeyn, und wollten gern, daß ſie ſich niederlegen ſollte. Allein ſie ſchlug es ab. Jedoch ſank ſie auf einen bequemen Stuhl. Denn ſie zitterte ſo, daß ſie nicht ſtehen konnte. Unterdeſſen vermuthete ich, ſie wuͤrde ſich ge- nug erholet haben, die Gegenwart einer Perſon zu ertragen, die ich ſie, weil mir daran gelegen war, zu ertragen noͤthigen mußte. Und da ich beſorgte, ſie moͤchte bey ihren klaͤglichen Ausru- fungen etwas ausſtoßen, das mich noch mehr verwirren duͤrfte: ſo kam ich wieder in das Zim- mer. O! da iſt er! ſagte ſie, und zog ihre Schuͤr- ze uͤber das Geſicht ‒ Jch kann ihn nicht ſehen! ‒ Jch kann kein Auge vor ihm oͤffnen ‒ ‒ Weg! Weg! Mich nicht angeruͤhrt! ‒ Denn ich nahm ihre ſtraͤubende Hand und bat, ſie moͤchte ſich zufrieden geben. Jch verſi- cherte, daß ich alles nach ihren ſelbſtbeliebigen Bedingungen und Wuͤnſchen mit ihr gut machen wollte. Niedertraͤchtiger Kerl, ſagte die hitzige Fraͤu- lein, ich habe keine andern Wuͤnſche, als euch nie- mals mehr zu ſehen! Warum muß ich mich ſo verfolgen und jagen laſſen? Habt ihr mich nicht ſchon elend genug gemacht? Entbloͤßt von allem Beyſtande, von aller Huͤlfe und von allen Freun- den bin ich es zufrieden, daß ich arm, niedrig und elend

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/244>, abgerufen am 17.05.2024.