kümmern sie sich nicht um des Frauenzimmers Kummer. Sie sind in dieser Sache ein sehr unzuläßiger Richter, und ich ersuche sie, mein Herr, erweisen sie mir die Höflichkeit, sich wegzu- begeben. Die Frauenspersonen schicken sich bey dieser Gelegenheit alleine, setzte ich hinzu, und ich achte mich denselben für ihre Sorgfalt und ihren gütigen Beyständ verbunden.
Es war gut, daß er kein Wort mehr sagte. Denn ich fand, daß mir die Galle schon überlau- fen wollte. Jch konnte nicht leiden, daß der schönste Hals, die schönsten Arme und Füße von der Welt, den Augen einer lebendigen Seele von Mannspersonen, außer den meinigen, bloßgestellt seyn sollten.
Jch ging noch einmal aus dem Closet, als ich merkte, daß sie sich wiederum erholen wollte, damit der allzuplötzliche Anblick von mir sie nicht aufs neue außer sich setzte.
Die ersten Worte, welche sie sprach, indem sie mit den heftigsten Regungen um sich herum sahe, waren diese: O verstecken sie mich! Ver- stecken sie mich! Jst er weg? - O verstecken sie mich! Jst er weg?
Die Jungfer Rawlins kam mit einem etwas entscheidenden und dreisten Ansehen zu mir, und sagte: mein Herr, das ist eine erstaunliche Sa- che, das Frauenzimmer kann den Anblick von ih- nen nicht ertragen. Was sie gemacht haben, das wissen sie selbst am besten. Allein noch eine solche Ohnmacht würde vermuthlich ihre letzte
seyn.
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kuͤmmern ſie ſich nicht um des Frauenzimmers Kummer. Sie ſind in dieſer Sache ein ſehr unzulaͤßiger Richter, und ich erſuche ſie, mein Herr, erweiſen ſie mir die Hoͤflichkeit, ſich wegzu- begeben. Die Frauensperſonen ſchicken ſich bey dieſer Gelegenheit alleine, ſetzte ich hinzu, und ich achte mich denſelben fuͤr ihre Sorgfalt und ihren guͤtigen Beyſtaͤnd verbunden.
Es war gut, daß er kein Wort mehr ſagte. Denn ich fand, daß mir die Galle ſchon uͤberlau- fen wollte. Jch konnte nicht leiden, daß der ſchoͤnſte Hals, die ſchoͤnſten Arme und Fuͤße von der Welt, den Augen einer lebendigen Seele von Mannsperſonen, außer den meinigen, bloßgeſtellt ſeyn ſollten.
Jch ging noch einmal aus dem Cloſet, als ich merkte, daß ſie ſich wiederum erholen wollte, damit der allzuploͤtzliche Anblick von mir ſie nicht aufs neue außer ſich ſetzte.
Die erſten Worte, welche ſie ſprach, indem ſie mit den heftigſten Regungen um ſich herum ſahe, waren dieſe: O verſtecken ſie mich! Ver- ſtecken ſie mich! Jſt er weg? ‒ O verſtecken ſie mich! Jſt er weg?
Die Jungfer Rawlins kam mit einem etwas entſcheidenden und dreiſten Anſehen zu mir, und ſagte: mein Herr, das iſt eine erſtaunliche Sa- che, das Frauenzimmer kann den Anblick von ih- nen nicht ertragen. Was ſie gemacht haben, das wiſſen ſie ſelbſt am beſten. Allein noch eine ſolche Ohnmacht wuͤrde vermuthlich ihre letzte
ſeyn.
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kuͤmmern ſie ſich nicht um des Frauenzimmers
Kummer. Sie ſind in dieſer Sache ein ſehr
unzulaͤßiger Richter, und ich erſuche ſie, mein
Herr, erweiſen ſie mir die Hoͤflichkeit, ſich wegzu-
begeben. Die Frauensperſonen ſchicken ſich bey
dieſer Gelegenheit alleine, ſetzte ich hinzu, und
ich achte mich denſelben fuͤr ihre Sorgfalt und
ihren guͤtigen Beyſtaͤnd verbunden.
Es war gut, daß er kein Wort mehr ſagte.
Denn ich fand, daß mir die Galle ſchon uͤberlau-
fen wollte. Jch konnte nicht leiden, daß der
ſchoͤnſte Hals, die ſchoͤnſten Arme und Fuͤße von
der Welt, den Augen einer lebendigen Seele von
Mannsperſonen, außer den meinigen, bloßgeſtellt
ſeyn ſollten.
Jch ging noch einmal aus dem Cloſet, als
ich merkte, daß ſie ſich wiederum erholen wollte,
damit der allzuploͤtzliche Anblick von mir ſie nicht
aufs neue außer ſich ſetzte.
Die erſten Worte, welche ſie ſprach, indem
ſie mit den heftigſten Regungen um ſich herum
ſahe, waren dieſe: O verſtecken ſie mich! Ver-
ſtecken ſie mich! Jſt er weg? ‒ O verſtecken ſie
mich! Jſt er weg?
Die Jungfer Rawlins kam mit einem etwas
entſcheidenden und dreiſten Anſehen zu mir, und
ſagte: mein Herr, das iſt eine erſtaunliche Sa-
che, das Frauenzimmer kann den Anblick von ih-
nen nicht ertragen. Was ſie gemacht haben,
das wiſſen ſie ſelbſt am beſten. Allein noch eine
ſolche Ohnmacht wuͤrde vermuthlich ihre letzte
ſeyn.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/239>, abgerufen am 25.11.2024.
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