Jch habe niemals einen Cavallier zu Gesich- te bekommen, der besser ausgesehen hätte. Es ist zu bedauren, gnädiger Herr, daß sie solche Proben ausstehen sollen.
Jch bin freylich unglücklich daran, Herr Wirth. Jedoch habe ich eine kleine Freude, wie er selbst nothwendig denken mnß, daß ich sie auf- gespüret habe, ehe ihr einige Ungelegenheit be- gegnet ist. Wenn ich ihr aber diese Grillen nicht vertreiben kann: so wird sie mich herzlich krän- ken; denn ich liebe sie mit allen ihren Fehlern.
Die gute Frau, welche dieß alles anhörte, beklagte mich sehr.
Jhro Gnaden erlauben mir, sagte sie, wenn ich so frey seyn darf, zu fragen, ob die gnädige Frau jemals Mamma gewesen ist?
Nein! - Jch seufzete dabey! - Wir sind nur eine kurze Zeit verheyrathet gewesen: und ich kann ihr wohl sagen, es ist ihre eigne Schuld, daß sie nicht in denen Umständen ist. Daran ist nicht ein Wort erlogen, Bruder! Wenn ich ihr aber die Wahrheit sagen soll, meine liebe Frau: so geht es meiner Gemahlinn, wie dem Hunde in der Krippe - -
Jch verstehe Jhro Gnaden, versetzte sie mit Lächeln. - Sie ist nur noch jung. Jch habe selbst von einer oder zwoen so wunderlichen jun- gen Frauen zu meiner Zeit gehöret - - Allein wenn die gnädige Frau erst in denen Umständen seyn wird: so wird sich das alles geben, und sie kann die beste Gemahlinn werden; wo sie Jhro
Gnaden
Jch habe niemals einen Cavallier zu Geſich- te bekommen, der beſſer ausgeſehen haͤtte. Es iſt zu bedauren, gnaͤdiger Herr, daß ſie ſolche Proben ausſtehen ſollen.
Jch bin freylich ungluͤcklich daran, Herr Wirth. Jedoch habe ich eine kleine Freude, wie er ſelbſt nothwendig denken mnß, daß ich ſie auf- geſpuͤret habe, ehe ihr einige Ungelegenheit be- gegnet iſt. Wenn ich ihr aber dieſe Grillen nicht vertreiben kann: ſo wird ſie mich herzlich kraͤn- ken; denn ich liebe ſie mit allen ihren Fehlern.
Die gute Frau, welche dieß alles anhoͤrte, beklagte mich ſehr.
Jhro Gnaden erlauben mir, ſagte ſie, wenn ich ſo frey ſeyn darf, zu fragen, ob die gnaͤdige Frau jemals Mamma geweſen iſt?
Nein! ‒ Jch ſeufzete dabey! ‒ Wir ſind nur eine kurze Zeit verheyrathet geweſen: und ich kann ihr wohl ſagen, es iſt ihre eigne Schuld, daß ſie nicht in denen Umſtaͤnden iſt. Daran iſt nicht ein Wort erlogen, Bruder! Wenn ich ihr aber die Wahrheit ſagen ſoll, meine liebe Frau: ſo geht es meiner Gemahlinn, wie dem Hunde in der Krippe ‒ ‒
Jch verſtehe Jhro Gnaden, verſetzte ſie mit Laͤcheln. ‒ Sie iſt nur noch jung. Jch habe ſelbſt von einer oder zwoen ſo wunderlichen jun- gen Frauen zu meiner Zeit gehoͤret ‒ ‒ Allein wenn die gnaͤdige Frau erſt in denen Umſtaͤnden ſeyn wird: ſo wird ſich das alles geben, und ſie kann die beſte Gemahlinn werden; wo ſie Jhro
Gnaden
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Jch habe niemals einen Cavallier zu Geſich-
te bekommen, der beſſer ausgeſehen haͤtte. Es
iſt zu bedauren, gnaͤdiger Herr, daß ſie ſolche
Proben ausſtehen ſollen.
Jch bin freylich ungluͤcklich daran, Herr
Wirth. Jedoch habe ich eine kleine Freude, wie
er ſelbſt nothwendig denken mnß, daß ich ſie auf-
geſpuͤret habe, ehe ihr einige Ungelegenheit be-
gegnet iſt. Wenn ich ihr aber dieſe Grillen nicht
vertreiben kann: ſo wird ſie mich herzlich kraͤn-
ken; denn ich liebe ſie mit allen ihren Fehlern.
Die gute Frau, welche dieß alles anhoͤrte,
beklagte mich ſehr.
Jhro Gnaden erlauben mir, ſagte ſie, wenn
ich ſo frey ſeyn darf, zu fragen, ob die gnaͤdige
Frau jemals Mamma geweſen iſt?
Nein! ‒ Jch ſeufzete dabey! ‒ Wir ſind
nur eine kurze Zeit verheyrathet geweſen: und
ich kann ihr wohl ſagen, es iſt ihre eigne Schuld,
daß ſie nicht in denen Umſtaͤnden iſt. Daran
iſt nicht ein Wort erlogen, Bruder! Wenn
ich ihr aber die Wahrheit ſagen ſoll, meine liebe
Frau: ſo geht es meiner Gemahlinn, wie dem
Hunde in der Krippe ‒ ‒
Jch verſtehe Jhro Gnaden, verſetzte ſie mit
Laͤcheln. ‒ Sie iſt nur noch jung. Jch habe
ſelbſt von einer oder zwoen ſo wunderlichen jun-
gen Frauen zu meiner Zeit gehoͤret ‒ ‒ Allein
wenn die gnaͤdige Frau erſt in denen Umſtaͤnden
ſeyn wird: ſo wird ſich das alles geben, und ſie
kann die beſte Gemahlinn werden; wo ſie Jhro
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/214>, abgerufen am 18.10.2024.
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