Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


"Man erbot sich hinzuschicken und fragen
"zu lassen, ob nicht eine Hampsteader Kutsche
"noch den Abend nach Hendon ginge. Es sey
"nicht nöthig, versetzte sie: vielleicht träfe sie den
"Wagen an." Das ist wieder eine Finte von
ihr; wie ich vermuthe: denn wie, oder mit wem,
hätte dergleichen etwas seit gestern frühe verabre-
det werden können?

"Sie hatte, wie die Leute einander sagten,
"etwas so außerordentlich edles in ihrer Bildung,
"in ihrer Person und Aufführung, daß sie versi-
"chert waren, sie müßte von Stande seyn. Da
"sie aber niemand, weder von dem einen, noch
"von dem andern Geschlechte, zur Bedienung bey
"sich hatte, und ihre Augen; ihre feine Augen
"nannte sie die gute Frau, ob sie gleich fremd
"und ein Frauenzimmer war; aufgeschwollen
"und roth waren: so hielten sie für gewiß, daß
"es dabey auf eine Entlaufung entweder von El-
"tern oder von Aufsehern hinauskäme. Denn
"sie sahen sie für allzu jung und allzu jüngferlich
"an, daß sie schon verheyrathet seyn sollte. Und
"wäre sie verheyrathet: so würde kein Ehemann
"eine so artige und junge Frau ohne Bedienung
"und alleine lassen, noch ihr zu so vielem Kum-
"mer Anlaß geben, als in ihrem Angesichte deut-
"lich abgemahlet schiene. Außerdem, sagten sie,
"sahe sie bisweilen so wild und verwirret aus,
"daß ihnen bange war, sie möchte im Sinne ha-
"ben, sich selbst davon zu helfen.

"Alle
N 4


„Man erbot ſich hinzuſchicken und fragen
„zu laſſen, ob nicht eine Hampſteader Kutſche
„noch den Abend nach Hendon ginge. Es ſey
„nicht noͤthig, verſetzte ſie: vielleicht traͤfe ſie den
„Wagen an.„ Das iſt wieder eine Finte von
ihr; wie ich vermuthe: denn wie, oder mit wem,
haͤtte dergleichen etwas ſeit geſtern fruͤhe verabre-
det werden koͤnnen?

„Sie hatte, wie die Leute einander ſagten,
„etwas ſo außerordentlich edles in ihrer Bildung,
„in ihrer Perſon und Auffuͤhrung, daß ſie verſi-
„chert waren, ſie muͤßte von Stande ſeyn. Da
„ſie aber niemand, weder von dem einen, noch
„von dem andern Geſchlechte, zur Bedienung bey
„ſich hatte, und ihre Augen; ihre feine Augen
„nannte ſie die gute Frau, ob ſie gleich fremd
„und ein Frauenzimmer war; aufgeſchwollen
„und roth waren: ſo hielten ſie fuͤr gewiß, daß
„es dabey auf eine Entlaufung entweder von El-
„tern oder von Aufſehern hinauskaͤme. Denn
„ſie ſahen ſie fuͤr allzu jung und allzu juͤngferlich
„an, daß ſie ſchon verheyrathet ſeyn ſollte. Und
„waͤre ſie verheyrathet: ſo wuͤrde kein Ehemann
„eine ſo artige und junge Frau ohne Bedienung
„und alleine laſſen, noch ihr zu ſo vielem Kum-
„mer Anlaß geben, als in ihrem Angeſichte deut-
„lich abgemahlet ſchiene. Außerdem, ſagten ſie,
„ſahe ſie bisweilen ſo wild und verwirret aus,
„daß ihnen bange war, ſie moͤchte im Sinne ha-
„ben, ſich ſelbſt davon zu helfen.

„Alle
N 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0205" n="199"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>&#x201E;Man erbot &#x017F;ich hinzu&#x017F;chicken und fragen<lb/>
&#x201E;zu la&#x017F;&#x017F;en, ob nicht eine Hamp&#x017F;teader Kut&#x017F;che<lb/>
&#x201E;noch den Abend nach Hendon ginge. Es &#x017F;ey<lb/>
&#x201E;nicht no&#x0364;thig, ver&#x017F;etzte &#x017F;ie: vielleicht tra&#x0364;fe &#x017F;ie den<lb/>
&#x201E;Wagen an.&#x201E; Das i&#x017F;t wieder eine <hi rendition="#fr">Finte</hi> von<lb/>
ihr; wie ich vermuthe: denn wie, oder mit wem,<lb/>
ha&#x0364;tte dergleichen etwas &#x017F;eit ge&#x017F;tern fru&#x0364;he verabre-<lb/>
det werden ko&#x0364;nnen?</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie hatte, wie die Leute einander &#x017F;agten,<lb/>
&#x201E;etwas &#x017F;o außerordentlich edles in ihrer Bildung,<lb/>
&#x201E;in ihrer Per&#x017F;on und Auffu&#x0364;hrung, daß &#x017F;ie ver&#x017F;i-<lb/>
&#x201E;chert waren, &#x017F;ie mu&#x0364;ßte von Stande &#x017F;eyn. Da<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie aber niemand, weder von dem einen, noch<lb/>
&#x201E;von dem andern Ge&#x017F;chlechte, zur Bedienung bey<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich hatte, und ihre Augen; ihre feine Augen<lb/>
&#x201E;nannte &#x017F;ie die gute Frau, ob &#x017F;ie gleich fremd<lb/>
&#x201E;und ein Frauenzimmer war; aufge&#x017F;chwollen<lb/>
&#x201E;und roth waren: &#x017F;o hielten &#x017F;ie fu&#x0364;r gewiß, daß<lb/>
&#x201E;es dabey auf eine Entlaufung entweder von El-<lb/>
&#x201E;tern oder von Auf&#x017F;ehern hinauska&#x0364;me. Denn<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie &#x017F;ahen &#x017F;ie fu&#x0364;r allzu jung und allzu ju&#x0364;ngferlich<lb/>
&#x201E;an, daß &#x017F;ie &#x017F;chon verheyrathet &#x017F;eyn &#x017F;ollte. Und<lb/>
&#x201E;wa&#x0364;re &#x017F;ie verheyrathet: &#x017F;o wu&#x0364;rde kein Ehemann<lb/>
&#x201E;eine &#x017F;o artige und junge Frau ohne Bedienung<lb/>
&#x201E;und alleine la&#x017F;&#x017F;en, noch ihr zu &#x017F;o vielem Kum-<lb/>
&#x201E;mer Anlaß geben, als in ihrem Ange&#x017F;ichte deut-<lb/>
&#x201E;lich abgemahlet &#x017F;chiene. Außerdem, &#x017F;agten &#x017F;ie,<lb/>
&#x201E;&#x017F;ahe &#x017F;ie bisweilen &#x017F;o wild und verwirret aus,<lb/>
&#x201E;daß ihnen bange war, &#x017F;ie mo&#x0364;chte im Sinne ha-<lb/>
&#x201E;ben, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t davon zu helfen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">N 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Alle</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0205] „Man erbot ſich hinzuſchicken und fragen „zu laſſen, ob nicht eine Hampſteader Kutſche „noch den Abend nach Hendon ginge. Es ſey „nicht noͤthig, verſetzte ſie: vielleicht traͤfe ſie den „Wagen an.„ Das iſt wieder eine Finte von ihr; wie ich vermuthe: denn wie, oder mit wem, haͤtte dergleichen etwas ſeit geſtern fruͤhe verabre- det werden koͤnnen? „Sie hatte, wie die Leute einander ſagten, „etwas ſo außerordentlich edles in ihrer Bildung, „in ihrer Perſon und Auffuͤhrung, daß ſie verſi- „chert waren, ſie muͤßte von Stande ſeyn. Da „ſie aber niemand, weder von dem einen, noch „von dem andern Geſchlechte, zur Bedienung bey „ſich hatte, und ihre Augen; ihre feine Augen „nannte ſie die gute Frau, ob ſie gleich fremd „und ein Frauenzimmer war; aufgeſchwollen „und roth waren: ſo hielten ſie fuͤr gewiß, daß „es dabey auf eine Entlaufung entweder von El- „tern oder von Aufſehern hinauskaͤme. Denn „ſie ſahen ſie fuͤr allzu jung und allzu juͤngferlich „an, daß ſie ſchon verheyrathet ſeyn ſollte. Und „waͤre ſie verheyrathet: ſo wuͤrde kein Ehemann „eine ſo artige und junge Frau ohne Bedienung „und alleine laſſen, noch ihr zu ſo vielem Kum- „mer Anlaß geben, als in ihrem Angeſichte deut- „lich abgemahlet ſchiene. Außerdem, ſagten ſie, „ſahe ſie bisweilen ſo wild und verwirret aus, „daß ihnen bange war, ſie moͤchte im Sinne ha- „ben, ſich ſelbſt davon zu helfen. „Alle N 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/205
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/205>, abgerufen am 17.05.2024.