Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



"und befahl ihm nachzufragen, ob keiner an sie
"da wäre.

"Er gab bloß vor, als wenn er hinginge und
"brachte ihr die Nachricht, es wäre keiner da.
"Jhren Brief aber steckte er für mich in seine
"Tasche.

"Hierauf befahl sie ihm, einen andern, den sie
"ihm übergab, an mich im Horn zu tragen. Al-
"les dieß that sie, ohne daß sie eilfertig schien.
"Jedoch schien sie sehr ernsthaft und wischte die
"Augen oft mit ihrem Schnupftuche.

"Wilhelm stellte sich, als wenn er mit dem
"Briefe zu mir gehen wollte. Der Kerl war
"aber doch so verschlagen, daß er dem Dinge nicht
"trauete, da sie ihn zum zweyten mal und zwar
"an mich, den sie nicht hatte sehen wollen, aus-
"schickte. Das kam ihm fremd vor und er ge-
"stand sein Mistrauen gegen Sara, Maria und
"Dorcas. Allein diese lachten über seinen Argwohn,
"und Dorcas versicherte sie alle, daß ihre Fräulein
"vielmehr einfältig bey ihrer Traurigkeit, als et-
"was zu unternehmen geschickt schiene, und daß
"sie in der That glaubte, die Fräulein wäre ein
"wenig verrückt im Kopfe und wüßte nicht was
"sie thäte - - Alle verließen sich auf ihre
"Unerfahrenheit, auf ihre offenherzige Ge-
"müthsart, auf ihr gegenwärtiges Betragen,
"da sie nicht die geringste Bewegung machte
"auszugehen oder eine Kutsche oder Sänfte
"holen zu lassen, wie sie bisweilen gethan hatte,
"und noch mehr auf die Zurüstungen, die sie zu

"einer



„und befahl ihm nachzufragen, ob keiner an ſie
„da waͤre.

„Er gab bloß vor, als wenn er hinginge und
„brachte ihr die Nachricht, es waͤre keiner da.
„Jhren Brief aber ſteckte er fuͤr mich in ſeine
„Taſche.

„Hierauf befahl ſie ihm, einen andern, den ſie
„ihm uͤbergab, an mich im Horn zu tragen. Al-
„les dieß that ſie, ohne daß ſie eilfertig ſchien.
„Jedoch ſchien ſie ſehr ernſthaft und wiſchte die
„Augen oft mit ihrem Schnupftuche.

„Wilhelm ſtellte ſich, als wenn er mit dem
„Briefe zu mir gehen wollte. Der Kerl war
„aber doch ſo verſchlagen, daß er dem Dinge nicht
„trauete, da ſie ihn zum zweyten mal und zwar
„an mich, den ſie nicht hatte ſehen wollen, aus-
„ſchickte. Das kam ihm fremd vor und er ge-
„ſtand ſein Mistrauen gegen Sara, Maria und
„Dorcas. Allein dieſe lachten uͤber ſeinen Argwohn,
„und Dorcas verſicherte ſie alle, daß ihre Fraͤulein
„vielmehr einfaͤltig bey ihrer Traurigkeit, als et-
„was zu unternehmen geſchickt ſchiene, und daß
„ſie in der That glaubte, die Fraͤulein waͤre ein
„wenig verruͤckt im Kopfe und wuͤßte nicht was
„ſie thaͤte ‒ ‒ Alle verließen ſich auf ihre
„Unerfahrenheit, auf ihre offenherzige Ge-
„muͤthsart, auf ihr gegenwaͤrtiges Betragen,
„da ſie nicht die geringſte Bewegung machte
„auszugehen oder eine Kutſche oder Saͤnfte
„holen zu laſſen, wie ſie bisweilen gethan hatte,
„und noch mehr auf die Zuruͤſtungen, die ſie zu

„einer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="120"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;und befahl ihm nachzufragen, ob keiner an &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;da wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Er gab bloß vor, als wenn er hinginge und<lb/>
&#x201E;brachte ihr die Nachricht, es wa&#x0364;re keiner da.<lb/>
&#x201E;Jhren Brief aber &#x017F;teckte er fu&#x0364;r mich in &#x017F;eine<lb/>
&#x201E;Ta&#x017F;che.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hierauf befahl &#x017F;ie ihm, einen andern, den &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;ihm u&#x0364;bergab, an mich im Horn zu tragen. Al-<lb/>
&#x201E;les dieß that &#x017F;ie, ohne daß &#x017F;ie eilfertig &#x017F;chien.<lb/>
&#x201E;Jedoch &#x017F;chien &#x017F;ie &#x017F;ehr ern&#x017F;thaft und wi&#x017F;chte die<lb/>
&#x201E;Augen oft mit ihrem Schnupftuche.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wilhelm &#x017F;tellte &#x017F;ich, als wenn er mit dem<lb/>
&#x201E;Briefe zu mir gehen wollte. Der Kerl war<lb/>
&#x201E;aber doch &#x017F;o ver&#x017F;chlagen, daß er dem Dinge nicht<lb/>
&#x201E;trauete, da &#x017F;ie ihn zum zweyten mal und zwar<lb/>
&#x201E;an mich, den &#x017F;ie nicht hatte &#x017F;ehen wollen, aus-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chickte. Das kam ihm fremd vor und er ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tand &#x017F;ein Mistrauen gegen Sara, Maria und<lb/>
&#x201E;Dorcas. Allein die&#x017F;e lachten u&#x0364;ber &#x017F;einen Argwohn,<lb/>
&#x201E;und Dorcas ver&#x017F;icherte &#x017F;ie alle, daß ihre Fra&#x0364;ulein<lb/>
&#x201E;vielmehr einfa&#x0364;ltig bey ihrer Traurigkeit, als et-<lb/>
&#x201E;was zu unternehmen ge&#x017F;chickt &#x017F;chiene, und daß<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie in der That glaubte, die Fra&#x0364;ulein wa&#x0364;re ein<lb/>
&#x201E;wenig verru&#x0364;ckt im Kopfe und wu&#x0364;ßte nicht was<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie tha&#x0364;te &#x2012; &#x2012; Alle verließen &#x017F;ich auf ihre<lb/>
&#x201E;Unerfahrenheit, auf ihre offenherzige Ge-<lb/>
&#x201E;mu&#x0364;thsart, auf ihr gegenwa&#x0364;rtiges Betragen,<lb/>
&#x201E;da &#x017F;ie nicht die gering&#x017F;te Bewegung machte<lb/>
&#x201E;auszugehen oder eine Kut&#x017F;che oder Sa&#x0364;nfte<lb/>
&#x201E;holen zu la&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ie bisweilen gethan hatte,<lb/>
&#x201E;und noch mehr auf die Zuru&#x0364;&#x017F;tungen, die &#x017F;ie zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;einer</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0126] „und befahl ihm nachzufragen, ob keiner an ſie „da waͤre. „Er gab bloß vor, als wenn er hinginge und „brachte ihr die Nachricht, es waͤre keiner da. „Jhren Brief aber ſteckte er fuͤr mich in ſeine „Taſche. „Hierauf befahl ſie ihm, einen andern, den ſie „ihm uͤbergab, an mich im Horn zu tragen. Al- „les dieß that ſie, ohne daß ſie eilfertig ſchien. „Jedoch ſchien ſie ſehr ernſthaft und wiſchte die „Augen oft mit ihrem Schnupftuche. „Wilhelm ſtellte ſich, als wenn er mit dem „Briefe zu mir gehen wollte. Der Kerl war „aber doch ſo verſchlagen, daß er dem Dinge nicht „trauete, da ſie ihn zum zweyten mal und zwar „an mich, den ſie nicht hatte ſehen wollen, aus- „ſchickte. Das kam ihm fremd vor und er ge- „ſtand ſein Mistrauen gegen Sara, Maria und „Dorcas. Allein dieſe lachten uͤber ſeinen Argwohn, „und Dorcas verſicherte ſie alle, daß ihre Fraͤulein „vielmehr einfaͤltig bey ihrer Traurigkeit, als et- „was zu unternehmen geſchickt ſchiene, und daß „ſie in der That glaubte, die Fraͤulein waͤre ein „wenig verruͤckt im Kopfe und wuͤßte nicht was „ſie thaͤte ‒ ‒ Alle verließen ſich auf ihre „Unerfahrenheit, auf ihre offenherzige Ge- „muͤthsart, auf ihr gegenwaͤrtiges Betragen, „da ſie nicht die geringſte Bewegung machte „auszugehen oder eine Kutſche oder Saͤnfte „holen zu laſſen, wie ſie bisweilen gethan hatte, „und noch mehr auf die Zuruͤſtungen, die ſie zu „einer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/126
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/126>, abgerufen am 22.11.2024.