Jedoch habe ich ihr nicht allezeit Gerechtig- keit widerfahren lassen? Was soll denn deine quä- lende Unverschämtheit?
Gleichwohl vergebe ich dir, Bruder! Denn ich wollte lieber, siehe so viel edelmüthige Liebe kann ich haben! daß mich die ganze Welt ver- dammen möchte, als daß ihr Character den ge- ringsten Nachtheil leiden sollte.
Das liebe Kind sagte mir einmal selbst, daß eine wunderliche Mischung, viel widersprechendes, in meinem Gemüthe wäre (*).
Jch habe ein Teufel und Beelzebub unter diesen zwo stolzen Schönen heißen müssen: ich müßte wirklich ein Beelzebub seyn, wenn ich nicht einige leidliche Eigenschaften an mir hätte.
Aber, wie Fräulein Howe schreibt, im Un- glücke ist sie am schönsten und größten (**), ihre Leidenszeit ist die Zeit, da ihre Vollkom- menheiten am hellesten glänzen. Bisher hat sie nur beständig ihre Vollkommenheiten glänzen lassen.
Sie hat mich binnen diesen wenigen Stun- den erst einen Betrieger genannt. Was kommt denn zuletzt für ein Schluß anders heraus, als daß sie nicht so viel ein Engel gewesen wäre, wenn ich nicht ein Betrieger, nach ihrem Be- griffe von diesem Worte, gewesen wäre?
O Bru-
(*) Siehe Th. III. S. 266.
(**) Siehe Th. IV. S. 36.
Aber was raͤume ich dir fuͤr Vortheile ein?
Jedoch habe ich ihr nicht allezeit Gerechtig- keit widerfahren laſſen? Was ſoll denn deine quaͤ- lende Unverſchaͤmtheit?
Gleichwohl vergebe ich dir, Bruder! Denn ich wollte lieber, ſiehe ſo viel edelmuͤthige Liebe kann ich haben! daß mich die ganze Welt ver- dammen moͤchte, als daß ihr Character den ge- ringſten Nachtheil leiden ſollte.
Das liebe Kind ſagte mir einmal ſelbſt, daß eine wunderliche Miſchung, viel widerſprechendes, in meinem Gemuͤthe waͤre (*).
Jch habe ein Teufel und Beelzebub unter dieſen zwo ſtolzen Schoͤnen heißen muͤſſen: ich muͤßte wirklich ein Beelzebub ſeyn, wenn ich nicht einige leidliche Eigenſchaften an mir haͤtte.
Aber, wie Fraͤulein Howe ſchreibt, im Un- gluͤcke iſt ſie am ſchoͤnſten und groͤßten (**), ihre Leidenszeit iſt die Zeit, da ihre Vollkom- menheiten am helleſten glaͤnzen. Bisher hat ſie nur beſtaͤndig ihre Vollkommenheiten glaͤnzen laſſen.
Sie hat mich binnen dieſen wenigen Stun- den erſt einen Betrieger genannt. Was kommt denn zuletzt fuͤr ein Schluß anders heraus, als daß ſie nicht ſo viel ein Engel geweſen waͤre, wenn ich nicht ein Betrieger, nach ihrem Be- griffe von dieſem Worte, geweſen waͤre?
O Bru-
(*) Siehe Th. III. S. 266.
(**) Siehe Th. IV. S. 36.
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Aber was raͤume ich dir fuͤr Vortheile ein?
Jedoch habe ich ihr nicht allezeit Gerechtig-
keit widerfahren laſſen? Was ſoll denn deine quaͤ-
lende Unverſchaͤmtheit?
Gleichwohl vergebe ich dir, Bruder! Denn
ich wollte lieber, ſiehe ſo viel edelmuͤthige Liebe
kann ich haben! daß mich die ganze Welt ver-
dammen moͤchte, als daß ihr Character den ge-
ringſten Nachtheil leiden ſollte.
Das liebe Kind ſagte mir einmal ſelbſt, daß
eine wunderliche Miſchung, viel widerſprechendes,
in meinem Gemuͤthe waͤre (*).
Jch habe ein Teufel und Beelzebub unter
dieſen zwo ſtolzen Schoͤnen heißen muͤſſen: ich
muͤßte wirklich ein Beelzebub ſeyn, wenn ich nicht
einige leidliche Eigenſchaften an mir haͤtte.
Aber, wie Fraͤulein Howe ſchreibt, im Un-
gluͤcke iſt ſie am ſchoͤnſten und groͤßten (**), ihre
Leidenszeit iſt die Zeit, da ihre Vollkom-
menheiten am helleſten glaͤnzen. Bisher hat
ſie nur beſtaͤndig ihre Vollkommenheiten glaͤnzen
laſſen.
Sie hat mich binnen dieſen wenigen Stun-
den erſt einen Betrieger genannt. Was kommt
denn zuletzt fuͤr ein Schluß anders heraus, als
daß ſie nicht ſo viel ein Engel geweſen waͤre,
wenn ich nicht ein Betrieger, nach ihrem Be-
griffe von dieſem Worte, geweſen waͤre?
O Bru-
(*) Siehe Th. III. S. 266.
(**) Siehe Th. IV. S. 36.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/114>, abgerufen am 25.11.2024.
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