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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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ren zu lassen, und allezeit so aufrichtig zu seyn, als
sie es verdiente.

Finde ich, daß diese Gesinnung nur bis mor-
gen frühe anhält; itzt hat sie zwo ganzer Stun-
den gewähret, und ich scheine, wie mich deucht,
ein Vergnügen in ihrer Unterhaltung zu finden:
so denke ich, ich will dich besuchen, oder dich zu
mir kommen lassen, und alsdenn mit dir darüber
berathschlagen.

Allein sie wird sich nimmermehr auf mich
verlassen. Sie wird kein Vertrauen auf meine
Ehre setzen. Zweifel ist in diesem Fall Mis-
trauen. Sie liebt mich nicht genug, daß sie mir
edelmüthig verzeihen sollte. Sie ist so sehr über
mich hinaus! Wie kann ich ihr einen für mei-
nen Stolz so beißenden Vorzug zu gute halten!
Sie denket, sie weiß, sie hat mir so gar frey
herausgesagt,
daß sie weit über mich ist. Diese
Worte schallen noch allezeit in meinen Ohren:
"Weg Lovelace! - Meine Seele ist über deine,
"Kerl! - Du hast ein viel zu stolzes Herz, daß
"man sich mit dir einlassen könnte." - - Meine
Seele ist über deine, Kerl! (*) - - Fräulein Ho-
we setzet sie in ihren Gedanken auch weit über
mich hinaus. Du, so gar du, mein Freund, mein
vertrauter Freund und Mitgenosse, bist eben der
Meynung. Jch fürchte sie eben so viel, als ich
sie liebe - - Wie können diese Betrachtungen
meinem Hochmuthe erträglich seyn? - - Mein
Weib, wie ich so oft gesagt habe, weil es mir so

oft
(*) Siehe den IV. Th. S. 231.



ren zu laſſen, und allezeit ſo aufrichtig zu ſeyn, als
ſie es verdiente.

Finde ich, daß dieſe Geſinnung nur bis mor-
gen fruͤhe anhaͤlt; itzt hat ſie zwo ganzer Stun-
den gewaͤhret, und ich ſcheine, wie mich deucht,
ein Vergnuͤgen in ihrer Unterhaltung zu finden:
ſo denke ich, ich will dich beſuchen, oder dich zu
mir kommen laſſen, und alsdenn mit dir daruͤber
berathſchlagen.

Allein ſie wird ſich nimmermehr auf mich
verlaſſen. Sie wird kein Vertrauen auf meine
Ehre ſetzen. Zweifel iſt in dieſem Fall Mis-
trauen. Sie liebt mich nicht genug, daß ſie mir
edelmuͤthig verzeihen ſollte. Sie iſt ſo ſehr uͤber
mich hinaus! Wie kann ich ihr einen fuͤr mei-
nen Stolz ſo beißenden Vorzug zu gute halten!
Sie denket, ſie weiß, ſie hat mir ſo gar frey
herausgeſagt,
daß ſie weit uͤber mich iſt. Dieſe
Worte ſchallen noch allezeit in meinen Ohren:
„Weg Lovelace! ‒ Meine Seele iſt uͤber deine,
„Kerl! ‒ Du haſt ein viel zu ſtolzes Herz, daß
„man ſich mit dir einlaſſen koͤnnte.“ ‒ ‒ Meine
Seele iſt uͤber deine, Kerl! (*) ‒ ‒ Fraͤulein Ho-
we ſetzet ſie in ihren Gedanken auch weit uͤber
mich hinaus. Du, ſo gar du, mein Freund, mein
vertrauter Freund und Mitgenoſſe, biſt eben der
Meynung. Jch fuͤrchte ſie eben ſo viel, als ich
ſie liebe ‒ ‒ Wie koͤnnen dieſe Betrachtungen
meinem Hochmuthe ertraͤglich ſeyn? ‒ ‒ Mein
Weib, wie ich ſo oft geſagt habe, weil es mir ſo

oft
(*) Siehe den IV. Th. S. 231.
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[106/0112] ren zu laſſen, und allezeit ſo aufrichtig zu ſeyn, als ſie es verdiente. Finde ich, daß dieſe Geſinnung nur bis mor- gen fruͤhe anhaͤlt; itzt hat ſie zwo ganzer Stun- den gewaͤhret, und ich ſcheine, wie mich deucht, ein Vergnuͤgen in ihrer Unterhaltung zu finden: ſo denke ich, ich will dich beſuchen, oder dich zu mir kommen laſſen, und alsdenn mit dir daruͤber berathſchlagen. Allein ſie wird ſich nimmermehr auf mich verlaſſen. Sie wird kein Vertrauen auf meine Ehre ſetzen. Zweifel iſt in dieſem Fall Mis- trauen. Sie liebt mich nicht genug, daß ſie mir edelmuͤthig verzeihen ſollte. Sie iſt ſo ſehr uͤber mich hinaus! Wie kann ich ihr einen fuͤr mei- nen Stolz ſo beißenden Vorzug zu gute halten! Sie denket, ſie weiß, ſie hat mir ſo gar frey herausgeſagt, daß ſie weit uͤber mich iſt. Dieſe Worte ſchallen noch allezeit in meinen Ohren: „Weg Lovelace! ‒ Meine Seele iſt uͤber deine, „Kerl! ‒ Du haſt ein viel zu ſtolzes Herz, daß „man ſich mit dir einlaſſen koͤnnte.“ ‒ ‒ Meine Seele iſt uͤber deine, Kerl! (*) ‒ ‒ Fraͤulein Ho- we ſetzet ſie in ihren Gedanken auch weit uͤber mich hinaus. Du, ſo gar du, mein Freund, mein vertrauter Freund und Mitgenoſſe, biſt eben der Meynung. Jch fuͤrchte ſie eben ſo viel, als ich ſie liebe ‒ ‒ Wie koͤnnen dieſe Betrachtungen meinem Hochmuthe ertraͤglich ſeyn? ‒ ‒ Mein Weib, wie ich ſo oft geſagt habe, weil es mir ſo oft (*) Siehe den IV. Th. S. 231.

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/112>, abgerufen am 22.11.2024.