erhalten habe: so zog ich einige Papiere aus mei- ner Tasche, mir die Zeit zu vertreiben; und eben dein letztes Schreiben pfropfte sich mir zuerst dienstfertig in die Hand. Jch that ihm die Eh- re, es nochmals durchzusehen: und das machte bey mir die Vorstellung von dem Gegenstande, bey dem ich mich nicht auf mich selbst zu verlas- sen schlüßig geworden war, wieder lebendig.
Jch besinne mich, daß die angenehme Schö- ne in ihrer zerrissenen Antwort auf die vorgeschla- gene Ehestiftung schreibet, Herablassung zu anderer Schwachheit sey keine Niederträch- tigkeit. Sie weiß besser, als irgend ein Mensch, wie dieß auszumachen stehe. Herablassung schließt in der That erhabne Vorzüge in sich: und erhabne Vorzüge sind allemal bey ihrer Her- ablassung gewesen; jedoch solche erhabne Vorzü- ge, die ihrer Herablassung Reiz und Anmuth ge- ben mußten. Denn es ward dadurch kein Stolz, keine Verspottung, keine offenbare Erhebung ih- rer selbst angedeutet. Die Fräulein Howe be- stätigt, daß dieß ein Theil von ihrem überall be- kannten Character sey (*).
Jch kann ihr sagen, wie sie sich verhalten möchte, wenn ich auf ewig ihr eigen seyn soll. Sie weiß, sie kann mir nicht entgehen. Sie weiß, sie muß mich früher oder später sehen: je früher, desto gefälliger - - Jch wollte ihr vergönnen zu zürnen: nicht weil die Freyheiten, welche ich mir bey ihr genommen, Zorn verdienen, wäre sie
nicht
(*) Siehe den IV. Th. S. 34.
erhalten habe: ſo zog ich einige Papiere aus mei- ner Taſche, mir die Zeit zu vertreiben; und eben dein letztes Schreiben pfropfte ſich mir zuerſt dienſtfertig in die Hand. Jch that ihm die Eh- re, es nochmals durchzuſehen: und das machte bey mir die Vorſtellung von dem Gegenſtande, bey dem ich mich nicht auf mich ſelbſt zu verlaſ- ſen ſchluͤßig geworden war, wieder lebendig.
Jch beſinne mich, daß die angenehme Schoͤ- ne in ihrer zerriſſenen Antwort auf die vorgeſchla- gene Eheſtiftung ſchreibet, Herablaſſung zu anderer Schwachheit ſey keine Niedertraͤch- tigkeit. Sie weiß beſſer, als irgend ein Menſch, wie dieß auszumachen ſtehe. Herablaſſung ſchließt in der That erhabne Vorzuͤge in ſich: und erhabne Vorzuͤge ſind allemal bey ihrer Her- ablaſſung geweſen; jedoch ſolche erhabne Vorzuͤ- ge, die ihrer Herablaſſung Reiz und Anmuth ge- ben mußten. Denn es ward dadurch kein Stolz, keine Verſpottung, keine offenbare Erhebung ih- rer ſelbſt angedeutet. Die Fraͤulein Howe be- ſtaͤtigt, daß dieß ein Theil von ihrem uͤberall be- kannten Character ſey (*).
Jch kann ihr ſagen, wie ſie ſich verhalten moͤchte, wenn ich auf ewig ihr eigen ſeyn ſoll. Sie weiß, ſie kann mir nicht entgehen. Sie weiß, ſie muß mich fruͤher oder ſpaͤter ſehen: je fruͤher, deſto gefaͤlliger ‒ ‒ Jch wollte ihr vergoͤnnen zu zuͤrnen: nicht weil die Freyheiten, welche ich mir bey ihr genommen, Zorn verdienen, waͤre ſie
nicht
(*) Siehe den IV. Th. S. 34.
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[104/0110]
erhalten habe: ſo zog ich einige Papiere aus mei-
ner Taſche, mir die Zeit zu vertreiben; und eben
dein letztes Schreiben pfropfte ſich mir zuerſt
dienſtfertig in die Hand. Jch that ihm die Eh-
re, es nochmals durchzuſehen: und das machte
bey mir die Vorſtellung von dem Gegenſtande,
bey dem ich mich nicht auf mich ſelbſt zu verlaſ-
ſen ſchluͤßig geworden war, wieder lebendig.
Jch beſinne mich, daß die angenehme Schoͤ-
ne in ihrer zerriſſenen Antwort auf die vorgeſchla-
gene Eheſtiftung ſchreibet, Herablaſſung zu
anderer Schwachheit ſey keine Niedertraͤch-
tigkeit. Sie weiß beſſer, als irgend ein Menſch,
wie dieß auszumachen ſtehe. Herablaſſung
ſchließt in der That erhabne Vorzuͤge in ſich:
und erhabne Vorzuͤge ſind allemal bey ihrer Her-
ablaſſung geweſen; jedoch ſolche erhabne Vorzuͤ-
ge, die ihrer Herablaſſung Reiz und Anmuth ge-
ben mußten. Denn es ward dadurch kein Stolz,
keine Verſpottung, keine offenbare Erhebung ih-
rer ſelbſt angedeutet. Die Fraͤulein Howe be-
ſtaͤtigt, daß dieß ein Theil von ihrem uͤberall be-
kannten Character ſey (*).
Jch kann ihr ſagen, wie ſie ſich verhalten
moͤchte, wenn ich auf ewig ihr eigen ſeyn ſoll.
Sie weiß, ſie kann mir nicht entgehen. Sie weiß,
ſie muß mich fruͤher oder ſpaͤter ſehen: je fruͤher,
deſto gefaͤlliger ‒ ‒ Jch wollte ihr vergoͤnnen
zu zuͤrnen: nicht weil die Freyheiten, welche ich
mir bey ihr genommen, Zorn verdienen, waͤre ſie
nicht
(*) Siehe den IV. Th. S. 34.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/110>, abgerufen am 25.11.2024.
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