er dennoch, daß in allen meinen Handlungen eine Gleichheit wäre. Wenn ich mir immer selbst gleich wäre, so würde ich mich gegen unversöhnliche Leute nicht so sehr herunter lassen, (ich könnte ihm doch ohnmöglich übel nehmen, wenn er meinen Bruder und meine Schwester mit diesem Nahmen belegte) da ich zu hoch wäre, ihm einige Gütigkeit zu erzei- gen, und gegen ihn gar keine Herablassung hätte.
Meine Pflicht und die Bluts-Freundschaft befehlen mir jene Herablassungen: Vater, Mutter, und Onckles begehren und rechtfertigen sie. Allein warum soll ich mich, wie sie es nennen, gegen sie herablassen? Verbinden mich etwa ihre Verdienste um mich und um die Meinungen dazu?
Daß sie dergleichen Reden noch führen können? nachdem sie von den Jhrigen so bitter verfolget sind; nachdem sie so viel gelitten haben; nachdem sie mich haben hoffen lassen! darf ich sie fragen, (weil wir doch eben von Hochmuth redeten) was das für ein Hochmuth seyn müßte, dem es gleichgültig wäre, ob ihn sein Kind lieb hätte, und ihn andern vorzö- ge? Was für eine Liebe müßte - - -
Liebe? Herr Lovelace! Wer redet denn von Liebe? Habe ich ihnen jemahls Liebe verspro- chen? Habe ich von ihnen jemahls dergleichen Ver- sprechen verlanget? Doch unser Streit kann nie zu Ende kommen, da wir beyde keine Fehler haben, und so sehr von uns selbst eingenommen sind.
Jch spreche mich nicht von Fehlern frey, Fräu- lein: aber - -
Aber
er dennoch, daß in allen meinen Handlungen eine Gleichheit waͤre. Wenn ich mir immer ſelbſt gleich waͤre, ſo wuͤrde ich mich gegen unverſoͤhnliche Leute nicht ſo ſehr herunter laſſen, (ich koͤnnte ihm doch ohnmoͤglich uͤbel nehmen, wenn er meinen Bruder und meine Schweſter mit dieſem Nahmen belegte) da ich zu hoch waͤre, ihm einige Guͤtigkeit zu erzei- gen, und gegen ihn gar keine Herablaſſung haͤtte.
Meine Pflicht und die Bluts-Freundſchaft befehlen mir jene Herablaſſungen: Vater, Mutter, und Onckles begehren und rechtfertigen ſie. Allein warum ſoll ich mich, wie ſie es nennen, gegen ſie herablaſſen? Verbinden mich etwa ihre Verdienſte um mich und um die Meinungen dazu?
Daß ſie dergleichen Reden noch fuͤhren koͤnnen? nachdem ſie von den Jhrigen ſo bitter verfolget ſind; nachdem ſie ſo viel gelitten haben; nachdem ſie mich haben hoffen laſſen! darf ich ſie fragen, (weil wir doch eben von Hochmuth redeten) was das fuͤr ein Hochmuth ſeyn muͤßte, dem es gleichguͤltig waͤre, ob ihn ſein Kind lieb haͤtte, und ihn andern vorzoͤ- ge? Was fuͤr eine Liebe muͤßte ‒ ‒ ‒
Liebe? Herr Lovelace! Wer redet denn von Liebe? Habe ich ihnen jemahls Liebe verſpro- chen? Habe ich von ihnen jemahls dergleichen Ver- ſprechen verlanget? Doch unſer Streit kann nie zu Ende kommen, da wir beyde keine Fehler haben, und ſo ſehr von uns ſelbſt eingenommen ſind.
Jch ſpreche mich nicht von Fehlern frey, Fraͤu- lein: aber ‒ ‒
Aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0081"n="75"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
er dennoch, daß in allen meinen Handlungen eine<lb/>
Gleichheit waͤre. Wenn ich mir immer ſelbſt gleich<lb/>
waͤre, ſo wuͤrde ich mich gegen unverſoͤhnliche Leute<lb/>
nicht ſo ſehr herunter laſſen, (ich koͤnnte ihm doch<lb/>
ohnmoͤglich uͤbel nehmen, wenn er meinen Bruder<lb/>
und meine Schweſter mit dieſem Nahmen belegte)<lb/>
da ich zu hoch waͤre, ihm einige Guͤtigkeit zu erzei-<lb/>
gen, und gegen ihn gar keine <hirendition="#fr">Herablaſſung</hi> haͤtte.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Meine Pflicht</hi> und <hirendition="#fr">die Bluts-Freundſchaft</hi><lb/>
befehlen mir jene Herablaſſungen: Vater, Mutter,<lb/>
und Onckles begehren und rechtfertigen ſie. Allein<lb/>
warum ſoll ich mich, wie ſie es nennen, gegen ſie<lb/>
herablaſſen? Verbinden mich etwa ihre Verdienſte<lb/>
um mich und um die Meinungen dazu?</p><lb/><p>Daß ſie dergleichen Reden noch fuͤhren koͤnnen?<lb/>
nachdem ſie von den Jhrigen ſo bitter verfolget ſind;<lb/>
nachdem ſie ſo viel gelitten haben; nachdem ſie mich<lb/>
haben hoffen laſſen! darf ich ſie fragen, (weil wir<lb/>
doch eben von Hochmuth redeten) was das fuͤr ein<lb/>
Hochmuth ſeyn muͤßte, dem es gleichguͤltig waͤre,<lb/>
ob ihn ſein Kind lieb haͤtte, und ihn andern vorzoͤ-<lb/>
ge? Was fuͤr eine <hirendition="#fr">Liebe</hi> muͤßte ‒‒‒</p><lb/><p><hirendition="#fr">Liebe?</hi> Herr <hirendition="#fr">Lovelace!</hi> Wer redet denn von<lb/><hirendition="#fr">Liebe?</hi> Habe ich ihnen jemahls <hirendition="#fr">Liebe</hi> verſpro-<lb/>
chen? Habe ich von ihnen jemahls dergleichen Ver-<lb/>ſprechen verlanget? Doch unſer Streit kann nie zu<lb/>
Ende kommen, da wir beyde keine Fehler haben,<lb/>
und ſo ſehr von uns ſelbſt eingenommen ſind.</p><lb/><p>Jch ſpreche mich nicht von Fehlern frey, Fraͤu-<lb/>
lein: aber ‒‒</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Aber</hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[75/0081]
er dennoch, daß in allen meinen Handlungen eine
Gleichheit waͤre. Wenn ich mir immer ſelbſt gleich
waͤre, ſo wuͤrde ich mich gegen unverſoͤhnliche Leute
nicht ſo ſehr herunter laſſen, (ich koͤnnte ihm doch
ohnmoͤglich uͤbel nehmen, wenn er meinen Bruder
und meine Schweſter mit dieſem Nahmen belegte)
da ich zu hoch waͤre, ihm einige Guͤtigkeit zu erzei-
gen, und gegen ihn gar keine Herablaſſung haͤtte.
Meine Pflicht und die Bluts-Freundſchaft
befehlen mir jene Herablaſſungen: Vater, Mutter,
und Onckles begehren und rechtfertigen ſie. Allein
warum ſoll ich mich, wie ſie es nennen, gegen ſie
herablaſſen? Verbinden mich etwa ihre Verdienſte
um mich und um die Meinungen dazu?
Daß ſie dergleichen Reden noch fuͤhren koͤnnen?
nachdem ſie von den Jhrigen ſo bitter verfolget ſind;
nachdem ſie ſo viel gelitten haben; nachdem ſie mich
haben hoffen laſſen! darf ich ſie fragen, (weil wir
doch eben von Hochmuth redeten) was das fuͤr ein
Hochmuth ſeyn muͤßte, dem es gleichguͤltig waͤre,
ob ihn ſein Kind lieb haͤtte, und ihn andern vorzoͤ-
ge? Was fuͤr eine Liebe muͤßte ‒ ‒ ‒
Liebe? Herr Lovelace! Wer redet denn von
Liebe? Habe ich ihnen jemahls Liebe verſpro-
chen? Habe ich von ihnen jemahls dergleichen Ver-
ſprechen verlanget? Doch unſer Streit kann nie zu
Ende kommen, da wir beyde keine Fehler haben,
und ſo ſehr von uns ſelbſt eingenommen ſind.
Jch ſpreche mich nicht von Fehlern frey, Fraͤu-
lein: aber ‒ ‒
Aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/81>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.