Jch glaube nicht, daß es möglich ist, das mei- ne Mutter sich hierzu entschliesset: allein wenn ich sie beleydigte, so könnte die Beleydigung zum Vor- wand dienen. Sonst (glaube ich) wäre ich schon längstens bey Jhnen in London.
So bald ich mercke, daß meine Mutter dem alten Blute die geringste Hoffnung macht, so bald gebe ich Hickmannen seinen Abschied. Wenn meine Mut- ter mir in einer so wichtigen Sache etwas zuwider thut, so werde ich mir nicht in den Sinn kommen lassen, ihr in einer eben so wichtigen Sache eine Gefälligkeit zu erzeigen. Es ist doch nicht möglich, daß meine Mut- ter mich nicht deswegen an den guten Mann zu brin- gen sucht, damit sie selbst thun könne, was sie will.
Es kann aus der gantzen Sache gewiß nichts werden. Allein die alten Witwen! Wie begie- rig sind wir insgesammt, junge und alte, uns schmei- cheln zu lassen, und bewundert zu werden! Selbst bey dem Alter hat die Schmeicheley noch ihren Ein- druck: und die ehrwürdigen Häupter wollen es gern ihren Töchtern gleich thun, wenn sie beynahe an- fangen grau zu werden. Es verdroß mich im Her- tzen, als sie mir von dem Antrage Jhres Onckles mit einem solchen Schmuntzel-Lächeln Nachricht gab, welches ihre Eigenliebe und Einbildung so gleich ver- rieth; wiewohl sie sich Mühe gab, so davon zu reden, als wenn ich nichts zu besorgen hätte.
Die alten Hagestoltzen, die alt werden ehe sie es glauben, bilden sich vestiglich ein, daß sie nur sich zu überreden brauchen, und daß das Frauen- zimmer so gleich mit Freuden Ja sagen werde, wenn
sie
Vierter Theil. E
Jch glaube nicht, daß es moͤglich iſt, das mei- ne Mutter ſich hierzu entſchlieſſet: allein wenn ich ſie beleydigte, ſo koͤnnte die Beleydigung zum Vor- wand dienen. Sonſt (glaube ich) waͤre ich ſchon laͤngſtens bey Jhnen in London.
So bald ich mercke, daß meine Mutter dem alten Blute die geringſte Hoffnung macht, ſo bald gebe ich Hickmannen ſeinen Abſchied. Wenn meine Mut- ter mir in einer ſo wichtigen Sache etwas zuwider thut, ſo werde ich mir nicht in den Sinn kommen laſſen, ihr in einer eben ſo wichtigen Sache eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Es iſt doch nicht moͤglich, daß meine Mut- ter mich nicht deswegen an den guten Mann zu brin- gen ſucht, damit ſie ſelbſt thun koͤnne, was ſie will.
Es kann aus der gantzen Sache gewiß nichts werden. Allein die alten Witwen! Wie begie- rig ſind wir insgeſammt, junge und alte, uns ſchmei- cheln zu laſſen, und bewundert zu werden! Selbſt bey dem Alter hat die Schmeicheley noch ihren Ein- druck: und die ehrwuͤrdigen Haͤupter wollen es gern ihren Toͤchtern gleich thun, wenn ſie beynahe an- fangen grau zu werden. Es verdroß mich im Her- tzen, als ſie mir von dem Antrage Jhres Onckles mit einem ſolchen Schmuntzel-Laͤcheln Nachricht gab, welches ihre Eigenliebe und Einbildung ſo gleich ver- rieth; wiewohl ſie ſich Muͤhe gab, ſo davon zu reden, als wenn ich nichts zu beſorgen haͤtte.
Die alten Hageſtoltzen, die alt werden ehe ſie es glauben, bilden ſich veſtiglich ein, daß ſie nur ſich zu uͤberreden brauchen, und daß das Frauen- zimmer ſo gleich mit Freuden Ja ſagen werde, wenn
ſie
Vierter Theil. E
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0071"n="65"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jch glaube nicht, daß es moͤglich iſt, das mei-<lb/>
ne Mutter ſich hierzu entſchlieſſet: allein wenn ich<lb/>ſie beleydigte, ſo koͤnnte die Beleydigung zum Vor-<lb/>
wand dienen. Sonſt (glaube ich) waͤre ich ſchon<lb/>
laͤngſtens bey Jhnen in <hirendition="#fr">London.</hi></p><lb/><p>So bald ich mercke, daß meine Mutter dem alten<lb/>
Blute die geringſte Hoffnung macht, ſo bald gebe<lb/>
ich <hirendition="#fr">Hickmannen</hi>ſeinen Abſchied. Wenn meine Mut-<lb/>
ter mir in einer ſo wichtigen Sache etwas zuwider<lb/>
thut, ſo werde ich mir nicht in den Sinn kommen laſſen,<lb/>
ihr in einer eben ſo wichtigen Sache eine Gefaͤlligkeit<lb/>
zu erzeigen. Es iſt doch nicht moͤglich, daß meine Mut-<lb/>
ter mich nicht deswegen an den guten Mann zu brin-<lb/>
gen ſucht, damit ſie ſelbſt thun koͤnne, was ſie will.</p><lb/><p>Es kann aus der gantzen Sache gewiß nichts<lb/>
werden. Allein <hirendition="#fr">die alten Witwen!</hi> Wie begie-<lb/>
rig ſind wir insgeſammt, junge und alte, uns ſchmei-<lb/>
cheln zu laſſen, und bewundert zu werden! Selbſt<lb/>
bey dem Alter hat die Schmeicheley noch ihren Ein-<lb/>
druck: und die ehrwuͤrdigen Haͤupter wollen es gern<lb/>
ihren Toͤchtern gleich thun, wenn ſie beynahe an-<lb/>
fangen grau zu werden. Es verdroß mich im Her-<lb/>
tzen, als ſie mir von dem Antrage Jhres Onckles<lb/>
mit einem ſolchen Schmuntzel-Laͤcheln Nachricht gab,<lb/>
welches ihre Eigenliebe und Einbildung ſo gleich ver-<lb/>
rieth; wiewohl ſie ſich Muͤhe gab, ſo davon zu reden,<lb/>
als wenn ich nichts zu beſorgen haͤtte.</p><lb/><p>Die alten Hageſtoltzen, die alt werden ehe ſie es<lb/>
glauben, bilden ſich veſtiglich ein, daß ſie <hirendition="#fr">nur ſich<lb/>
zu uͤberreden brauchen,</hi> und daß das Frauen-<lb/>
zimmer ſo gleich mit Freuden Ja ſagen werde, wenn<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Vierter Theil.</hi> E</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſie</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[65/0071]
Jch glaube nicht, daß es moͤglich iſt, das mei-
ne Mutter ſich hierzu entſchlieſſet: allein wenn ich
ſie beleydigte, ſo koͤnnte die Beleydigung zum Vor-
wand dienen. Sonſt (glaube ich) waͤre ich ſchon
laͤngſtens bey Jhnen in London.
So bald ich mercke, daß meine Mutter dem alten
Blute die geringſte Hoffnung macht, ſo bald gebe
ich Hickmannen ſeinen Abſchied. Wenn meine Mut-
ter mir in einer ſo wichtigen Sache etwas zuwider
thut, ſo werde ich mir nicht in den Sinn kommen laſſen,
ihr in einer eben ſo wichtigen Sache eine Gefaͤlligkeit
zu erzeigen. Es iſt doch nicht moͤglich, daß meine Mut-
ter mich nicht deswegen an den guten Mann zu brin-
gen ſucht, damit ſie ſelbſt thun koͤnne, was ſie will.
Es kann aus der gantzen Sache gewiß nichts
werden. Allein die alten Witwen! Wie begie-
rig ſind wir insgeſammt, junge und alte, uns ſchmei-
cheln zu laſſen, und bewundert zu werden! Selbſt
bey dem Alter hat die Schmeicheley noch ihren Ein-
druck: und die ehrwuͤrdigen Haͤupter wollen es gern
ihren Toͤchtern gleich thun, wenn ſie beynahe an-
fangen grau zu werden. Es verdroß mich im Her-
tzen, als ſie mir von dem Antrage Jhres Onckles
mit einem ſolchen Schmuntzel-Laͤcheln Nachricht gab,
welches ihre Eigenliebe und Einbildung ſo gleich ver-
rieth; wiewohl ſie ſich Muͤhe gab, ſo davon zu reden,
als wenn ich nichts zu beſorgen haͤtte.
Die alten Hageſtoltzen, die alt werden ehe ſie es
glauben, bilden ſich veſtiglich ein, daß ſie nur ſich
zu uͤberreden brauchen, und daß das Frauen-
zimmer ſo gleich mit Freuden Ja ſagen werde, wenn
ſie
Vierter Theil. E
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/71>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.