[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.verbergen, um andere hitzigere Köpfe zu beruhigen und ferneres Unglück zu verhüten. O das unarti- ge Mädchen! das nicht aus Unwissenheit sündigte, sondern die Folgen seines Vergehens übersahe. Wir dachten, unsere Tochter würde eher gestorben seyn, als daß sie sich zu dergleichen Vergehungen entschlossen hätte. Jhr Verstand, den jedermann kennet, macht sie Wenn sie jetzt so schlecht mit seiner Aufführung zu- Sie wußte vorhin, wie wir gegen den Menschen Frau D 3
verbergen, um andere hitzigere Koͤpfe zu beruhigen und ferneres Ungluͤck zu verhuͤten. O das unarti- ge Maͤdchen! das nicht aus Unwiſſenheit ſuͤndigte, ſondern die Folgen ſeines Vergehens uͤberſahe. Wir dachten, unſere Tochter wuͤrde eher geſtorben ſeyn, als daß ſie ſich zu dergleichen Vergehungen entſchloſſen haͤtte. Jhr Verſtand, den jedermann kennet, macht ſie Wenn ſie jetzt ſo ſchlecht mit ſeiner Auffuͤhrung zu- Sie wußte vorhin, wie wir gegen den Menſchen Frau D 3
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verbergen, um andere hitzigere Koͤpfe zu beruhigen
und ferneres Ungluͤck zu verhuͤten. O das unarti-
ge Maͤdchen! das nicht aus Unwiſſenheit ſuͤndigte,
ſondern die Folgen ſeines Vergehens uͤberſahe. Wir
dachten, unſere Tochter wuͤrde eher geſtorben ſeyn, als
daß ſie ſich zu dergleichen Vergehungen entſchloſſen
haͤtte.
Jhr Verſtand, den jedermann kennet, macht ſie
ohne Entſchuldigung. Wie kann ich ihr denn bey
andern das Wort reden, wenn ich gleich ſelbſt fuͤhle,
daß ich ein Mutter-Hertz habe, und ihr vor mein
Theil gern vergeben wollte? Sind nicht wir, iſt ſie
ſelbſt nicht durch ihre Flucht ſchon ſo beſchimpft wor-
den, als wir und ſie jemahls durch ſie beſchimpft wer-
den koͤnnen?
Wenn ſie jetzt ſo ſchlecht mit ſeiner Auffuͤhrung zu-
frieden iſt, ſo haͤtte ſie vorhin eben ſo ſchlecht damit zu-
frieden ſeyn ſollen! Oder hat ſie etwan ſelbſt Proben
von ſeinem laſterhaften Betragen an ſich erfahren?
Jch fuͤrchte, ich fuͤrchte, meine liebe Frau Norton ‒ ‒
Wenn ſie auch ein Engel waͤre, ſo muͤßte man doch
wegen des Menſchen in Sorgen ſtehen, in deſſen
Klauen ſie ſich befindet. Die Welt wird das
ſchlimmſte dencken, und ich hoͤre ſchon, daß die Leute
ſehr uͤbel reden ſollen. Jhr Vater iſt gleichfalls be-
ſorget: ihr Bruder hoͤrt nicht viel Gutes von ihr.
Was kann ich bey ſolchen Umſtaͤnden ausrichten?
Sie wußte vorhin, wie wir gegen den Menſchen
geſinnet waren, und wie laſterhaft er iſt: dieſes koͤn-
nen alſo ihre Bewegungs-Gruͤnde nicht ſeyn. Es
muͤſſen neue Urſachen vorhanden ſeyn. O meine liebe
Frau
D 3
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