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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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(Dieser Brief ist nicht eher bekannt' gewor-
den, als da die Briefe gesammlet wurden,
die zu dieser Geschichte gehören.)

Sonnabends den 13 May.

Jch will das schriftlich beantworten, was Sie an
mich gebracht hat, wie ich es Jhr gestern
versprochen habe. Allein lasse Sie sich gegen nie-
mand mercken, daß ich geschrieben habe, auch nicht
gegen die Elisabeth, die, wie ich höre, bisweilen zu
Jhr kömmt. Mein unglückliches Mädchen muß
auch nichts davon wissen: ich bedinge mir dieses so
gleich aus. Mein Hertz ist voll von Kummer:
vielleicht wird es durch das Schreiben leichter. Jch
werde auch manches schreiben, das mir auf dem
Hertzen liegt, wenn es gleich mit der Beantwortung
Jhres Antrages nichts zu thun hat.

Sie weiß, wie lieb wir alle dieses undanckbah-
re Mädchen gehabt haben. Sie weiß, daß wir mit
allen denen, die sie gesehen hatten, oder mit ihr umgin-
gen, sie gemeinschaftlich lobeten und bewunderten.
Wir überschritten so gar in unserm Lob die Grentzen,
welche uns die Bescheidenheit zu setzen schien, weil es
unser eigenes Kind war: denn wir glaubten, daß
man uns für blinde Leute oder für Heuchler halten
würde, wenn wir den Vorzügen unserer Tochter,
die einem jeden in die Augen fielen, unser Lob ver-
saget hätten; wir glaubten zum wenigsten nicht, daß
man uns des Hochmuths und der Partheylichkeit
würde beschuldigen können, wenn wir das sähen,
wovor wir die Augen nicht verbergen könnten.

Wenn


(Dieſer Brief iſt nicht eher bekannt' gewor-
den, als da die Briefe geſammlet wurden,
die zu dieſer Geſchichte gehoͤren.)

Sonnabends den 13 May.

Jch will das ſchriftlich beantworten, was Sie an
mich gebracht hat, wie ich es Jhr geſtern
verſprochen habe. Allein laſſe Sie ſich gegen nie-
mand mercken, daß ich geſchrieben habe, auch nicht
gegen die Eliſabeth, die, wie ich hoͤre, bisweilen zu
Jhr koͤmmt. Mein ungluͤckliches Maͤdchen muß
auch nichts davon wiſſen: ich bedinge mir dieſes ſo
gleich aus. Mein Hertz iſt voll von Kummer:
vielleicht wird es durch das Schreiben leichter. Jch
werde auch manches ſchreiben, das mir auf dem
Hertzen liegt, wenn es gleich mit der Beantwortung
Jhres Antrages nichts zu thun hat.

Sie weiß, wie lieb wir alle dieſes undanckbah-
re Maͤdchen gehabt haben. Sie weiß, daß wir mit
allen denen, die ſie geſehen hatten, oder mit ihr umgin-
gen, ſie gemeinſchaftlich lobeten und bewunderten.
Wir uͤberſchritten ſo gar in unſerm Lob die Grentzen,
welche uns die Beſcheidenheit zu ſetzen ſchien, weil es
unſer eigenes Kind war: denn wir glaubten, daß
man uns fuͤr blinde Leute oder fuͤr Heuchler halten
wuͤrde, wenn wir den Vorzuͤgen unſerer Tochter,
die einem jeden in die Augen fielen, unſer Lob ver-
ſaget haͤtten; wir glaubten zum wenigſten nicht, daß
man uns des Hochmuths und der Partheylichkeit
wuͤrde beſchuldigen koͤnnen, wenn wir das ſaͤhen,
wovor wir die Augen nicht verbergen koͤnnten.

Wenn
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[48/0054] (Dieſer Brief iſt nicht eher bekannt' gewor- den, als da die Briefe geſammlet wurden, die zu dieſer Geſchichte gehoͤren.) Sonnabends den 13 May. Jch will das ſchriftlich beantworten, was Sie an mich gebracht hat, wie ich es Jhr geſtern verſprochen habe. Allein laſſe Sie ſich gegen nie- mand mercken, daß ich geſchrieben habe, auch nicht gegen die Eliſabeth, die, wie ich hoͤre, bisweilen zu Jhr koͤmmt. Mein ungluͤckliches Maͤdchen muß auch nichts davon wiſſen: ich bedinge mir dieſes ſo gleich aus. Mein Hertz iſt voll von Kummer: vielleicht wird es durch das Schreiben leichter. Jch werde auch manches ſchreiben, das mir auf dem Hertzen liegt, wenn es gleich mit der Beantwortung Jhres Antrages nichts zu thun hat. Sie weiß, wie lieb wir alle dieſes undanckbah- re Maͤdchen gehabt haben. Sie weiß, daß wir mit allen denen, die ſie geſehen hatten, oder mit ihr umgin- gen, ſie gemeinſchaftlich lobeten und bewunderten. Wir uͤberſchritten ſo gar in unſerm Lob die Grentzen, welche uns die Beſcheidenheit zu ſetzen ſchien, weil es unſer eigenes Kind war: denn wir glaubten, daß man uns fuͤr blinde Leute oder fuͤr Heuchler halten wuͤrde, wenn wir den Vorzuͤgen unſerer Tochter, die einem jeden in die Augen fielen, unſer Lob ver- ſaget haͤtten; wir glaubten zum wenigſten nicht, daß man uns des Hochmuths und der Partheylichkeit wuͤrde beſchuldigen koͤnnen, wenn wir das ſaͤhen, wovor wir die Augen nicht verbergen koͤnnten. Wenn

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/54>, abgerufen am 04.05.2024.