Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



mich als wüßte ich nicht, wo Sie wären. Der Kerl
war mir zum Auslocken zu klug.

Jch habe mich zwey Stunden lang der Thrä-
nen nicht enthalten können, nachdem ich Jhren letz-
ten Brief und die Beylage von dem Obristen Mor-
den
gelesen hatte. Mein allerliebster Schatz, ge-
ben Sie sich selbst nicht verlohren, und erlauben
sie Jhrer Anna Howe, daß Sie dem Ruffe fol-
gen darf, den ihr eine Freundschaft giebt, Sie auf-
zurichten, die unserer beyder Hertzen so verbunden
hat, als wenn wir nur Ein Hertz hätten.

Jch wundere mich nicht über die niedergeschla-
genen und tiefsinnigen Gedancken, die Jhnen bis-
weilen bey der Flucht zu der Sie gezwungen und
verleitet sind beyfallen, und die Sie mit in Jhre
Briefe einfliessen lassen. Es ist dieses ein solches
Schicksaal, daraus wir lernen müssen, wie blöde
alle Klugheit der Menschen ist. Jch wünsche mit
Jhnen, daß wir beyde uns auf unsere Vorzüge vor
andern weniger eingebildet, und sie an uns nicht er-
kannt haben möchten. Doch ich will die Feder zu-
rück halten. Wie geneigt sind wir, bey jedem aus-
serordentlichen Zufall ein göttliches Gericht zu su-
chen? Jn so fern thun wir zwar recht daran, als
es billiger ist, uns und unsere besten Freunde anzu-
klagen als die göttliche Vorsicht, die gantz gewiß weise
Endzwecke in allen ihren Schickungen haben muß.

Allein schreiben Sie nicht mehr, daß Sie andern
Jhres Geschlechts nur zur Warnung gereichen wür-
den. Sie werden ihnen nicht allein zur Warnung
sondern auch zum Vorbilde vorgestellet werden kön-

nen;



mich als wuͤßte ich nicht, wo Sie waͤren. Der Kerl
war mir zum Auslocken zu klug.

Jch habe mich zwey Stunden lang der Thraͤ-
nen nicht enthalten koͤnnen, nachdem ich Jhren letz-
ten Brief und die Beylage von dem Obriſten Mor-
den
geleſen hatte. Mein allerliebſter Schatz, ge-
ben Sie ſich ſelbſt nicht verlohren, und erlauben
ſie Jhrer Anna Howe, daß Sie dem Ruffe fol-
gen darf, den ihr eine Freundſchaft giebt, Sie auf-
zurichten, die unſerer beyder Hertzen ſo verbunden
hat, als wenn wir nur Ein Hertz haͤtten.

Jch wundere mich nicht uͤber die niedergeſchla-
genen und tiefſinnigen Gedancken, die Jhnen bis-
weilen bey der Flucht zu der Sie gezwungen und
verleitet ſind beyfallen, und die Sie mit in Jhre
Briefe einflieſſen laſſen. Es iſt dieſes ein ſolches
Schickſaal, daraus wir lernen muͤſſen, wie bloͤde
alle Klugheit der Menſchen iſt. Jch wuͤnſche mit
Jhnen, daß wir beyde uns auf unſere Vorzuͤge vor
andern weniger eingebildet, und ſie an uns nicht er-
kannt haben moͤchten. Doch ich will die Feder zu-
ruͤck halten. Wie geneigt ſind wir, bey jedem auſ-
ſerordentlichen Zufall ein goͤttliches Gericht zu ſu-
chen? Jn ſo fern thun wir zwar recht daran, als
es billiger iſt, uns und unſere beſten Freunde anzu-
klagen als die goͤttliche Vorſicht, die gantz gewiß weiſe
Endzwecke in allen ihren Schickungen haben muß.

Allein ſchreiben Sie nicht mehr, daß Sie andern
Jhres Geſchlechts nur zur Warnung gereichen wuͤr-
den. Sie werden ihnen nicht allein zur Warnung
ſondern auch zum Vorbilde vorgeſtellet werden koͤn-

nen;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="31"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
mich als wu&#x0364;ßte ich nicht, wo Sie wa&#x0364;ren. Der Kerl<lb/>
war mir zum Auslocken zu klug.</p><lb/>
          <p>Jch habe mich zwey Stunden lang der Thra&#x0364;-<lb/>
nen nicht enthalten ko&#x0364;nnen, nachdem ich Jhren letz-<lb/>
ten Brief und die Beylage von dem Obri&#x017F;ten <hi rendition="#fr">Mor-<lb/>
den</hi> gele&#x017F;en hatte. Mein allerlieb&#x017F;ter Schatz, ge-<lb/>
ben Sie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht verlohren, und erlauben<lb/>
&#x017F;ie Jhrer <hi rendition="#fr">Anna Howe,</hi> daß Sie dem Ruffe fol-<lb/>
gen darf, den ihr eine Freund&#x017F;chaft giebt, Sie auf-<lb/>
zurichten, die un&#x017F;erer beyder Hertzen &#x017F;o verbunden<lb/>
hat, als wenn wir nur <hi rendition="#fr">Ein</hi> Hertz ha&#x0364;tten.</p><lb/>
          <p>Jch wundere mich nicht u&#x0364;ber die niederge&#x017F;chla-<lb/>
genen und tief&#x017F;innigen Gedancken, die Jhnen bis-<lb/>
weilen bey der Flucht zu der Sie gezwungen und<lb/>
verleitet &#x017F;ind beyfallen, und die Sie mit in Jhre<lb/>
Briefe einflie&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en. Es i&#x017F;t die&#x017F;es ein &#x017F;olches<lb/>
Schick&#x017F;aal, daraus wir lernen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wie blo&#x0364;de<lb/>
alle Klugheit der Men&#x017F;chen i&#x017F;t. Jch wu&#x0364;n&#x017F;che mit<lb/>
Jhnen, daß wir beyde uns auf un&#x017F;ere Vorzu&#x0364;ge vor<lb/>
andern weniger eingebildet, und &#x017F;ie an uns nicht er-<lb/>
kannt haben mo&#x0364;chten. Doch ich will die Feder zu-<lb/>
ru&#x0364;ck halten. Wie geneigt &#x017F;ind wir, bey jedem au&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erordentlichen Zufall ein go&#x0364;ttliches Gericht zu &#x017F;u-<lb/>
chen? Jn &#x017F;o fern thun wir zwar recht daran, als<lb/>
es billiger i&#x017F;t, uns und un&#x017F;ere be&#x017F;ten Freunde anzu-<lb/>
klagen als die go&#x0364;ttliche Vor&#x017F;icht, die gantz gewiß wei&#x017F;e<lb/>
Endzwecke in allen ihren Schickungen haben muß.</p><lb/>
          <p>Allein &#x017F;chreiben Sie nicht mehr, daß Sie andern<lb/>
Jhres Ge&#x017F;chlechts nur zur Warnung gereichen wu&#x0364;r-<lb/>
den. Sie werden ihnen nicht allein zur Warnung<lb/>
&#x017F;ondern auch zum Vorbilde vorge&#x017F;tellet werden ko&#x0364;n-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen;</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0037] mich als wuͤßte ich nicht, wo Sie waͤren. Der Kerl war mir zum Auslocken zu klug. Jch habe mich zwey Stunden lang der Thraͤ- nen nicht enthalten koͤnnen, nachdem ich Jhren letz- ten Brief und die Beylage von dem Obriſten Mor- den geleſen hatte. Mein allerliebſter Schatz, ge- ben Sie ſich ſelbſt nicht verlohren, und erlauben ſie Jhrer Anna Howe, daß Sie dem Ruffe fol- gen darf, den ihr eine Freundſchaft giebt, Sie auf- zurichten, die unſerer beyder Hertzen ſo verbunden hat, als wenn wir nur Ein Hertz haͤtten. Jch wundere mich nicht uͤber die niedergeſchla- genen und tiefſinnigen Gedancken, die Jhnen bis- weilen bey der Flucht zu der Sie gezwungen und verleitet ſind beyfallen, und die Sie mit in Jhre Briefe einflieſſen laſſen. Es iſt dieſes ein ſolches Schickſaal, daraus wir lernen muͤſſen, wie bloͤde alle Klugheit der Menſchen iſt. Jch wuͤnſche mit Jhnen, daß wir beyde uns auf unſere Vorzuͤge vor andern weniger eingebildet, und ſie an uns nicht er- kannt haben moͤchten. Doch ich will die Feder zu- ruͤck halten. Wie geneigt ſind wir, bey jedem auſ- ſerordentlichen Zufall ein goͤttliches Gericht zu ſu- chen? Jn ſo fern thun wir zwar recht daran, als es billiger iſt, uns und unſere beſten Freunde anzu- klagen als die goͤttliche Vorſicht, die gantz gewiß weiſe Endzwecke in allen ihren Schickungen haben muß. Allein ſchreiben Sie nicht mehr, daß Sie andern Jhres Geſchlechts nur zur Warnung gereichen wuͤr- den. Sie werden ihnen nicht allein zur Warnung ſondern auch zum Vorbilde vorgeſtellet werden koͤn- nen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/37
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/37>, abgerufen am 26.04.2024.