Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



ner Schönen soll mir nicht lange mehr eine ver-
bothene Waare bleiben.



Nunmehr glaubt ein jeder im Hause, daß sie
mich lieb hat. Die Thränen haben ihr mehr als
einmahl in den Augen gestanden. Sie litte es,
daß ich ihre Hand nahm, und sie küssete, so oft ich
selbst wollte. Als Frau Sinclair sagte, ich hät-
te mich bisher so viel zu Hause gehalten, so wünsch-
te sie, daß ich mir eine Veränderung machen
möchte, und bat mich dabey, mich in Acht zu neh-
men. Sie wollte, ich sollte einen Doctor hohlen
lassen: denn Gott hätte den Artzt geschaffen.

Das dachte ich nicht, Bruder. Gott hat uns
zwar alle geschaffen. Jch glaube aber, sie ver-
stand die Artzney und nennte die Aertzte. Denn
könnte man sagen: alle Speise ist Gottes Ge-
schöpf; aber der Teufel hat die Köche gemacht.

Jch war schon wieder etwas besser, als ich die
blutstillenden Tropfen aus ihren lieben Händen
annahm.

Als sie verlangte, daß ich mir eine Verände-
rung machen möchte, bat ich sie mit mir auszu-
fahren. Jch wollte hiebey sehen, ob sie Lust hätte
in meiner Abwesenheit aus dem Hause zu gehen.

Sie antwortete: Sie wollte es gern thun, al-
lein sie glaubte, es würde für mich besser seyn,
wenn ich mich in einer Sänfte austragen ließe.

Das
X 4



ner Schoͤnen ſoll mir nicht lange mehr eine ver-
bothene Waare bleiben.



Nunmehr glaubt ein jeder im Hauſe, daß ſie
mich lieb hat. Die Thraͤnen haben ihr mehr als
einmahl in den Augen geſtanden. Sie litte es,
daß ich ihre Hand nahm, und ſie kuͤſſete, ſo oft ich
ſelbſt wollte. Als Frau Sinclair ſagte, ich haͤt-
te mich bisher ſo viel zu Hauſe gehalten, ſo wuͤnſch-
te ſie, daß ich mir eine Veraͤnderung machen
moͤchte, und bat mich dabey, mich in Acht zu neh-
men. Sie wollte, ich ſollte einen Doctor hohlen
laſſen: denn Gott haͤtte den Artzt geſchaffen.

Das dachte ich nicht, Bruder. Gott hat uns
zwar alle geſchaffen. Jch glaube aber, ſie ver-
ſtand die Artzney und nennte die Aertzte. Denn
koͤnnte man ſagen: alle Speiſe iſt Gottes Ge-
ſchoͤpf; aber der Teufel hat die Koͤche gemacht.

Jch war ſchon wieder etwas beſſer, als ich die
blutſtillenden Tropfen aus ihren lieben Haͤnden
annahm.

Als ſie verlangte, daß ich mir eine Veraͤnde-
rung machen moͤchte, bat ich ſie mit mir auszu-
fahren. Jch wollte hiebey ſehen, ob ſie Luſt haͤtte
in meiner Abweſenheit aus dem Hauſe zu gehen.

Sie antwortete: Sie wollte es gern thun, al-
lein ſie glaubte, es wuͤrde fuͤr mich beſſer ſeyn,
wenn ich mich in einer Saͤnfte austragen ließe.

Das
X 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0333" n="327"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ner Scho&#x0364;nen &#x017F;oll mir nicht lange mehr eine ver-<lb/>
bothene Waare bleiben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Nunmehr glaubt ein jeder im Hau&#x017F;e, daß &#x017F;ie<lb/>
mich lieb hat. Die Thra&#x0364;nen haben ihr mehr als<lb/>
einmahl in den Augen ge&#x017F;tanden. Sie litte es,<lb/>
daß ich ihre Hand nahm, und &#x017F;ie ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;ete, &#x017F;o oft ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wollte. Als Frau <hi rendition="#fr">Sinclair</hi> &#x017F;agte, ich ha&#x0364;t-<lb/>
te mich bisher &#x017F;o viel zu Hau&#x017F;e gehalten, &#x017F;o wu&#x0364;n&#x017F;ch-<lb/>
te &#x017F;ie, daß ich mir eine Vera&#x0364;nderung machen<lb/>
mo&#x0364;chte, und bat mich dabey, mich in Acht zu neh-<lb/>
men. Sie wollte, ich &#x017F;ollte einen Doctor hohlen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en: denn Gott ha&#x0364;tte den Artzt ge&#x017F;chaffen.</p><lb/>
          <p>Das dachte ich nicht, Bruder. Gott hat uns<lb/>
zwar alle ge&#x017F;chaffen. Jch glaube aber, &#x017F;ie ver-<lb/>
&#x017F;tand die Artzney und nennte die Aertzte. Denn<lb/>
ko&#x0364;nnte man &#x017F;agen: alle Spei&#x017F;e i&#x017F;t Gottes Ge-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pf; aber der Teufel hat die Ko&#x0364;che gemacht.</p><lb/>
          <p>Jch war &#x017F;chon wieder etwas be&#x017F;&#x017F;er, als ich die<lb/>
blut&#x017F;tillenden Tropfen aus ihren lieben Ha&#x0364;nden<lb/>
annahm.</p><lb/>
          <p>Als &#x017F;ie verlangte, daß ich mir eine Vera&#x0364;nde-<lb/>
rung machen mo&#x0364;chte, bat ich &#x017F;ie mit mir auszu-<lb/>
fahren. Jch wollte hiebey &#x017F;ehen, ob &#x017F;ie Lu&#x017F;t ha&#x0364;tte<lb/>
in meiner Abwe&#x017F;enheit aus dem Hau&#x017F;e zu gehen.</p><lb/>
          <p>Sie antwortete: Sie wollte es gern thun, al-<lb/>
lein &#x017F;ie glaubte, es wu&#x0364;rde fu&#x0364;r mich be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;eyn,<lb/>
wenn ich mich in einer Sa&#x0364;nfte austragen ließe.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">X 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0333] ner Schoͤnen ſoll mir nicht lange mehr eine ver- bothene Waare bleiben. Nunmehr glaubt ein jeder im Hauſe, daß ſie mich lieb hat. Die Thraͤnen haben ihr mehr als einmahl in den Augen geſtanden. Sie litte es, daß ich ihre Hand nahm, und ſie kuͤſſete, ſo oft ich ſelbſt wollte. Als Frau Sinclair ſagte, ich haͤt- te mich bisher ſo viel zu Hauſe gehalten, ſo wuͤnſch- te ſie, daß ich mir eine Veraͤnderung machen moͤchte, und bat mich dabey, mich in Acht zu neh- men. Sie wollte, ich ſollte einen Doctor hohlen laſſen: denn Gott haͤtte den Artzt geſchaffen. Das dachte ich nicht, Bruder. Gott hat uns zwar alle geſchaffen. Jch glaube aber, ſie ver- ſtand die Artzney und nennte die Aertzte. Denn koͤnnte man ſagen: alle Speiſe iſt Gottes Ge- ſchoͤpf; aber der Teufel hat die Koͤche gemacht. Jch war ſchon wieder etwas beſſer, als ich die blutſtillenden Tropfen aus ihren lieben Haͤnden annahm. Als ſie verlangte, daß ich mir eine Veraͤnde- rung machen moͤchte, bat ich ſie mit mir auszu- fahren. Jch wollte hiebey ſehen, ob ſie Luſt haͤtte in meiner Abweſenheit aus dem Hauſe zu gehen. Sie antwortete: Sie wollte es gern thun, al- lein ſie glaubte, es wuͤrde fuͤr mich beſſer ſeyn, wenn ich mich in einer Saͤnfte austragen ließe. Das X 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/333
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/333>, abgerufen am 18.05.2024.