Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Du weißt, daß ich kein Frauenzimmer um-
sonst allein gesprochen habe, die Fräulein Harlo-
we
ausgenommen.

Meine Offenhertzigkeit fand Vergebung. Die
Marquise konnte sich die gantze Zeit über des La-
chens nicht enthalten, daß ich beyde betrogen hat-
te, und ihre Hofmeisterin ihre Gefangene gewor-
den war, die unter Schloß und Riegel nicht we-
niger vergnüget war als wir beyde. Es geschieht
sehr selten, daß sich die Franzosen von den Engel-
ländern fangen lassen.

Wir haben nachher eben so listige Streiche
gespielt, zu denen sie das ihrige auch mit beytrug:
denn einmahl überwunden ist immer überwun-
den. Allein endlich ward unser Geheimniß ent-
decket, ehe der Marquis wieder kommen und die
Entdeckung ungewiß machen konnte. Die Schwe-
ster war voller Groll, der Gemahl war unver-
söhnlich. Er war gar nicht geschickt ein Gemahl
zu seyn, zum wenigsten so, wie ein Gemahl in
Franckreich beschaffen seyn muß. Er schien die
Sitten und die Eifersucht des Volckes, bey den er
Abgesandter war, angenommen zu haben, die den
Sitten seines Landes so sehr zuwider sind. Sie
fand sich genöthiget, sich in meinem Schutz zu be-
geben. Sie war gantz vergnügt bey mir bis sie
die Geburts. Schmertzen fühlete. Reue und Todt
überfielen sie in Einer Stunde.

Verzeihe mir hier eine Thräne. Sie ver-
dienete ein besseres Schicksal. Wie viel hat ein
solcher unversöhnlicher Gemahl zu verantworten!

Die


Du weißt, daß ich kein Frauenzimmer um-
ſonſt allein geſprochen habe, die Fraͤulein Harlo-
we
ausgenommen.

Meine Offenhertzigkeit fand Vergebung. Die
Marquiſe konnte ſich die gantze Zeit uͤber des La-
chens nicht enthalten, daß ich beyde betrogen hat-
te, und ihre Hofmeiſterin ihre Gefangene gewor-
den war, die unter Schloß und Riegel nicht we-
niger vergnuͤget war als wir beyde. Es geſchieht
ſehr ſelten, daß ſich die Franzoſen von den Engel-
laͤndern fangen laſſen.

Wir haben nachher eben ſo liſtige Streiche
geſpielt, zu denen ſie das ihrige auch mit beytrug:
denn einmahl uͤberwunden iſt immer uͤberwun-
den. Allein endlich ward unſer Geheimniß ent-
decket, ehe der Marquis wieder kommen und die
Entdeckung ungewiß machen konnte. Die Schwe-
ſter war voller Groll, der Gemahl war unver-
ſoͤhnlich. Er war gar nicht geſchickt ein Gemahl
zu ſeyn, zum wenigſten ſo, wie ein Gemahl in
Franckreich beſchaffen ſeyn muß. Er ſchien die
Sitten und die Eiferſucht des Volckes, bey den er
Abgeſandter war, angenommen zu haben, die den
Sitten ſeines Landes ſo ſehr zuwider ſind. Sie
fand ſich genoͤthiget, ſich in meinem Schutz zu be-
geben. Sie war gantz vergnuͤgt bey mir bis ſie
die Geburts. Schmertzen fuͤhlete. Reue und Todt
uͤberfielen ſie in Einer Stunde.

Verzeihe mir hier eine Thraͤne. Sie ver-
dienete ein beſſeres Schickſal. Wie viel hat ein
ſolcher unverſoͤhnlicher Gemahl zu verantworten!

Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0325" n="319"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Du weißt, daß ich kein Frauenzimmer um-<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t allein ge&#x017F;prochen habe, die Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Harlo-<lb/>
we</hi> ausgenommen.</p><lb/>
          <p>Meine Offenhertzigkeit fand Vergebung. Die<lb/>
Marqui&#x017F;e konnte &#x017F;ich die gantze Zeit u&#x0364;ber des La-<lb/>
chens nicht enthalten, daß ich beyde betrogen hat-<lb/>
te, und ihre Hofmei&#x017F;terin ihre Gefangene gewor-<lb/>
den war, die unter Schloß und Riegel nicht we-<lb/>
niger vergnu&#x0364;get war als wir beyde. Es ge&#x017F;chieht<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;elten, daß &#x017F;ich die Franzo&#x017F;en von den Engel-<lb/>
la&#x0364;ndern fangen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Wir haben nachher eben &#x017F;o li&#x017F;tige Streiche<lb/>
ge&#x017F;pielt, zu denen &#x017F;ie das ihrige auch mit beytrug:<lb/>
denn einmahl u&#x0364;berwunden i&#x017F;t immer u&#x0364;berwun-<lb/>
den. Allein endlich ward un&#x017F;er Geheimniß ent-<lb/>
decket, ehe der Marquis wieder kommen und die<lb/>
Entdeckung ungewiß machen konnte. Die Schwe-<lb/>
&#x017F;ter war voller Groll, der Gemahl war unver-<lb/>
&#x017F;o&#x0364;hnlich. Er war gar nicht ge&#x017F;chickt ein Gemahl<lb/>
zu &#x017F;eyn, zum wenig&#x017F;ten &#x017F;o, wie ein Gemahl in<lb/>
Franckreich be&#x017F;chaffen &#x017F;eyn muß. Er &#x017F;chien die<lb/>
Sitten und die Eifer&#x017F;ucht des Volckes, bey den er<lb/>
Abge&#x017F;andter war, angenommen zu haben, die den<lb/>
Sitten &#x017F;eines Landes &#x017F;o &#x017F;ehr zuwider &#x017F;ind. Sie<lb/>
fand &#x017F;ich geno&#x0364;thiget, &#x017F;ich in meinem Schutz zu be-<lb/>
geben. Sie war gantz vergnu&#x0364;gt bey mir bis &#x017F;ie<lb/>
die Geburts. Schmertzen fu&#x0364;hlete. Reue und Todt<lb/>
u&#x0364;berfielen &#x017F;ie in Einer Stunde.</p><lb/>
          <p>Verzeihe mir hier eine Thra&#x0364;ne. Sie ver-<lb/>
dienete ein be&#x017F;&#x017F;eres Schick&#x017F;al. Wie viel hat ein<lb/>
&#x017F;olcher unver&#x017F;o&#x0364;hnlicher Gemahl zu verantworten!<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0325] Du weißt, daß ich kein Frauenzimmer um- ſonſt allein geſprochen habe, die Fraͤulein Harlo- we ausgenommen. Meine Offenhertzigkeit fand Vergebung. Die Marquiſe konnte ſich die gantze Zeit uͤber des La- chens nicht enthalten, daß ich beyde betrogen hat- te, und ihre Hofmeiſterin ihre Gefangene gewor- den war, die unter Schloß und Riegel nicht we- niger vergnuͤget war als wir beyde. Es geſchieht ſehr ſelten, daß ſich die Franzoſen von den Engel- laͤndern fangen laſſen. Wir haben nachher eben ſo liſtige Streiche geſpielt, zu denen ſie das ihrige auch mit beytrug: denn einmahl uͤberwunden iſt immer uͤberwun- den. Allein endlich ward unſer Geheimniß ent- decket, ehe der Marquis wieder kommen und die Entdeckung ungewiß machen konnte. Die Schwe- ſter war voller Groll, der Gemahl war unver- ſoͤhnlich. Er war gar nicht geſchickt ein Gemahl zu ſeyn, zum wenigſten ſo, wie ein Gemahl in Franckreich beſchaffen ſeyn muß. Er ſchien die Sitten und die Eiferſucht des Volckes, bey den er Abgeſandter war, angenommen zu haben, die den Sitten ſeines Landes ſo ſehr zuwider ſind. Sie fand ſich genoͤthiget, ſich in meinem Schutz zu be- geben. Sie war gantz vergnuͤgt bey mir bis ſie die Geburts. Schmertzen fuͤhlete. Reue und Todt uͤberfielen ſie in Einer Stunde. Verzeihe mir hier eine Thraͤne. Sie ver- dienete ein beſſeres Schickſal. Wie viel hat ein ſolcher unverſoͤhnlicher Gemahl zu verantworten! Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/325
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/325>, abgerufen am 17.05.2024.