nicht aus Sprödigkeit, nicht aus Verdrießlichkeit, sondern aus einer Schwäche des Gemüthes und aus allllzugroßem Kummer entstanden. Sie hat nicht genug Stärcke des Gemüthes, ihr Unglück zu ertragen, und die Furcht auszustehen, die sie überfällt, wenn sie an den Fluch ihres Va- ters gedencket, der schon allzusehr in seine Erfül- lung gehet.
Was für ein Widerspruch! Sie klagt über Schwäche des Gemüthes, und ihr Wille ist doch so starck. O Belford, in diesem Frauen- zimmer schlägt ein Löwen-Hertz, so bald es ihre Eh- re, oder eingebildete Züchtigkeit erfodert, daß sie ein Hertz fasset. Jch habe aber mehr als einmal bemercket, daß ein gutes Gemüth zwar nicht so leicht Feuer fänget, daß aber die Flamme am wenigsten zu löschen und am heftigsten sey, wenn es einmahl entzündet ist. Allein ihr allerliebster Leib ist gantz anders gebauet. Diese beiden Freunde wollen ei- nen gantz verschiedenen Weg gehen. Die Gott- heit, die in ihr wohnet, zerreißet das seidene Ge- webe, in welches sie eingehüllet ist. Wenn aber die- ser Geist in einen Jungen gefahren wäre, so würde er der braveste Held geworden seyn.
Montags um 2 Uhr.
Noch ist meine Schöne unsichtbar. Sie be- findet sich nicht wohl. Wie üble Auslegungen hat sie über meine demüthige Bewunderung ge- macht! Sie furchte sich mehr vor meiner Grobheit als vor meiner Rache. Wie durste ich nach Ra- che gegen die beyden Fräuleins! Jch muß eins
von
nicht aus Sproͤdigkeit, nicht aus Verdrießlichkeit, ſondern aus einer Schwaͤche des Gemuͤthes und aus allllzugroßem Kummer entſtanden. Sie hat nicht genug Staͤrcke des Gemuͤthes, ihr Ungluͤck zu ertragen, und die Furcht auszuſtehen, die ſie uͤberfaͤllt, wenn ſie an den Fluch ihres Va- ters gedencket, der ſchon allzuſehr in ſeine Erfuͤl- lung gehet.
Was fuͤr ein Widerſpruch! Sie klagt uͤber Schwaͤche des Gemuͤthes, und ihr Wille iſt doch ſo ſtarck. O Belford, in dieſem Frauen- zimmer ſchlaͤgt ein Loͤwen-Hertz, ſo bald es ihre Eh- re, oder eingebildete Zuͤchtigkeit erfodert, daß ſie ein Hertz faſſet. Jch habe aber mehr als einmal bemercket, daß ein gutes Gemuͤth zwar nicht ſo leicht Feuer faͤnget, daß aber die Flamme am wenigſten zu loͤſchen und am heftigſten ſey, wenn es einmahl entzuͤndet iſt. Allein ihr allerliebſter Leib iſt gantz anders gebauet. Dieſe beiden Freunde wollen ei- nen gantz verſchiedenen Weg gehen. Die Gott- heit, die in ihr wohnet, zerreißet das ſeidene Ge- webe, in welches ſie eingehuͤllet iſt. Wenn aber die- ſer Geiſt in einen Jungen gefahren waͤre, ſo wuͤrde er der braveſte Held geworden ſeyn.
Montags um 2 Uhr.
Noch iſt meine Schoͤne unſichtbar. Sie be- findet ſich nicht wohl. Wie uͤble Auslegungen hat ſie uͤber meine demuͤthige Bewunderung ge- macht! Sie furchte ſich mehr vor meiner Grobheit als vor meiner Rache. Wie durſte ich nach Ra- che gegen die beyden Fraͤuleins! Jch muß eins
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nicht aus Sproͤdigkeit, nicht aus Verdrießlichkeit,
ſondern aus einer Schwaͤche des Gemuͤthes
und aus allllzugroßem Kummer entſtanden. Sie
hat nicht genug Staͤrcke des Gemuͤthes, ihr
Ungluͤck zu ertragen, und die Furcht auszuſtehen,
die ſie uͤberfaͤllt, wenn ſie an den Fluch ihres Va-
ters gedencket, der ſchon allzuſehr in ſeine Erfuͤl-
lung gehet.
Was fuͤr ein Widerſpruch! Sie klagt uͤber
Schwaͤche des Gemuͤthes, und ihr Wille iſt
doch ſo ſtarck. O Belford, in dieſem Frauen-
zimmer ſchlaͤgt ein Loͤwen-Hertz, ſo bald es ihre Eh-
re, oder eingebildete Zuͤchtigkeit erfodert, daß ſie
ein Hertz faſſet. Jch habe aber mehr als einmal
bemercket, daß ein gutes Gemuͤth zwar nicht ſo leicht
Feuer faͤnget, daß aber die Flamme am wenigſten
zu loͤſchen und am heftigſten ſey, wenn es einmahl
entzuͤndet iſt. Allein ihr allerliebſter Leib iſt gantz
anders gebauet. Dieſe beiden Freunde wollen ei-
nen gantz verſchiedenen Weg gehen. Die Gott-
heit, die in ihr wohnet, zerreißet das ſeidene Ge-
webe, in welches ſie eingehuͤllet iſt. Wenn aber die-
ſer Geiſt in einen Jungen gefahren waͤre, ſo wuͤrde
er der braveſte Held geworden ſeyn.
Montags um 2 Uhr.
Noch iſt meine Schoͤne unſichtbar. Sie be-
findet ſich nicht wohl. Wie uͤble Auslegungen
hat ſie uͤber meine demuͤthige Bewunderung ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/240>, abgerufen am 23.07.2024.
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