Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



abgenutzter Junggeselle von einer Witwe anneh-
men muß.

Es würde jederman, mich ausgenommen,
eine Lust gewesen seyn, wenn diese veralterte Liebe
ein glückliches Ende erreichet hätte: und gewiß,
er wäre zu seinem Zweck gekommen, wenn die un-
artige Tocher es nicht gehindert hätte. Meine
Mutter würde zehn Jahr jünger geworden seyn:
und mir würden an Alter und Weisheit zehn Jahre
zugewachsen seyn, wenn ich den Antrag gebilliget
hätte. Es würde geheissen haben: "Mein Kind,
"wir Witwen wissen nicht mehr, wie wir gegen
"einen Freyer fremde thun sollen, und wie wir die
"Manns-Leute quälen und martern müssen, um
"zu sehen ob ihre Liebe aufrichtig ist. Du mußt
"mir jetzt rathen, wie ich grausam seyn, und ihn
"Felsen anruffen lassen soll: und doch auch nicht
"allzugrausam, damit der alte Liebste nicht die we-
"nige Zeit verliere, die er noch übrig hat." Denn
würde mein Betragen gegen Herrn Hickman ar-
tig gewesen seyn, und die Mutter würde spröde und
stoltz gewesen seyn, wie die Tochter.

Was für Lust wollten wir uns gemacht haben,
wenn diese Leute mit vieler Mühe wieder gelernt
hätten, was sie längstens vergessen hatten? Jch
würde mich dieses Vergnügens nicht begeben ha-
ben, wenn ich nur gewiß gewußt hätte, daß ich sie
zu rechter Zeit (wie die Jrrländer den Ausdruck
nehmen) würde aus einander bringen können, ehe
sie zusammen gekommen wären. Allein wer kann
einer alten Witwe und einen alten Junggesellen

trauen,
L 3



abgenutzter Junggeſelle von einer Witwe anneh-
men muß.

Es wuͤrde jederman, mich ausgenommen,
eine Luſt geweſen ſeyn, wenn dieſe veralterte Liebe
ein gluͤckliches Ende erreichet haͤtte: und gewiß,
er waͤre zu ſeinem Zweck gekommen, wenn die un-
artige Tocher es nicht gehindert haͤtte. Meine
Mutter wuͤrde zehn Jahr juͤnger geworden ſeyn:
und mir wuͤrden an Alter und Weisheit zehn Jahre
zugewachſen ſeyn, wenn ich den Antrag gebilliget
haͤtte. Es wuͤrde geheiſſen haben: „Mein Kind,
„wir Witwen wiſſen nicht mehr, wie wir gegen
„einen Freyer fremde thun ſollen, und wie wir die
„Manns-Leute quaͤlen und martern muͤſſen, um
„zu ſehen ob ihre Liebe aufrichtig iſt. Du mußt
„mir jetzt rathen, wie ich grauſam ſeyn, und ihn
„Felſen anruffen laſſen ſoll: und doch auch nicht
„allzugrauſam, damit der alte Liebſte nicht die we-
„nige Zeit verliere, die er noch uͤbrig hat.„ Denn
wuͤrde mein Betragen gegen Herrn Hickman ar-
tig geweſen ſeyn, und die Mutter wuͤrde ſproͤde und
ſtoltz geweſen ſeyn, wie die Tochter.

Was fuͤr Luſt wollten wir uns gemacht haben,
wenn dieſe Leute mit vieler Muͤhe wieder gelernt
haͤtten, was ſie laͤngſtens vergeſſen hatten? Jch
wuͤrde mich dieſes Vergnuͤgens nicht begeben ha-
ben, wenn ich nur gewiß gewußt haͤtte, daß ich ſie
zu rechter Zeit (wie die Jrrlaͤnder den Ausdruck
nehmen) wuͤrde aus einander bringen koͤnnen, ehe
ſie zuſammen gekommen waͤren. Allein wer kann
einer alten Witwe und einen alten Junggeſellen

trauen,
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="165"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
abgenutzter Jungge&#x017F;elle von einer Witwe anneh-<lb/>
men muß.</p><lb/>
          <p>Es wu&#x0364;rde jederman, mich ausgenommen,<lb/>
eine Lu&#x017F;t gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, wenn die&#x017F;e veralterte Liebe<lb/>
ein glu&#x0364;ckliches Ende erreichet ha&#x0364;tte: und gewiß,<lb/>
er wa&#x0364;re zu &#x017F;einem Zweck gekommen, wenn die un-<lb/>
artige Tocher es nicht gehindert ha&#x0364;tte. Meine<lb/>
Mutter wu&#x0364;rde zehn Jahr ju&#x0364;nger geworden &#x017F;eyn:<lb/>
und mir wu&#x0364;rden an Alter und Weisheit zehn Jahre<lb/>
zugewach&#x017F;en &#x017F;eyn, wenn ich den Antrag gebilliget<lb/>
ha&#x0364;tte. Es wu&#x0364;rde gehei&#x017F;&#x017F;en haben: &#x201E;Mein Kind,<lb/>
&#x201E;wir Witwen wi&#x017F;&#x017F;en nicht mehr, wie wir gegen<lb/>
&#x201E;einen Freyer fremde thun &#x017F;ollen, und wie wir die<lb/>
&#x201E;Manns-Leute qua&#x0364;len und martern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, um<lb/>
&#x201E;zu &#x017F;ehen ob ihre Liebe aufrichtig i&#x017F;t. Du mußt<lb/>
&#x201E;mir jetzt rathen, wie ich grau&#x017F;am &#x017F;eyn, und ihn<lb/>
&#x201E;Fel&#x017F;en anruffen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll: und doch auch nicht<lb/>
&#x201E;allzugrau&#x017F;am, damit der alte Lieb&#x017F;te nicht die we-<lb/>
&#x201E;nige Zeit verliere, die er noch u&#x0364;brig hat.&#x201E; Denn<lb/>
wu&#x0364;rde mein Betragen gegen Herrn <hi rendition="#fr">Hickman</hi> ar-<lb/>
tig gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, und die Mutter wu&#x0364;rde &#x017F;pro&#x0364;de und<lb/>
&#x017F;toltz gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, wie die Tochter.</p><lb/>
          <p>Was fu&#x0364;r Lu&#x017F;t wollten wir uns gemacht haben,<lb/>
wenn die&#x017F;e Leute mit vieler Mu&#x0364;he wieder gelernt<lb/>
ha&#x0364;tten, was &#x017F;ie la&#x0364;ng&#x017F;tens verge&#x017F;&#x017F;en hatten? Jch<lb/>
wu&#x0364;rde mich die&#x017F;es Vergnu&#x0364;gens nicht begeben ha-<lb/>
ben, wenn ich nur gewiß gewußt ha&#x0364;tte, daß ich &#x017F;ie<lb/>
zu rechter Zeit (wie die Jrrla&#x0364;nder den Ausdruck<lb/>
nehmen) wu&#x0364;rde aus einander bringen ko&#x0364;nnen, ehe<lb/>
&#x017F;ie zu&#x017F;ammen gekommen wa&#x0364;ren. Allein wer kann<lb/>
einer alten Witwe und einen alten Jungge&#x017F;ellen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 3</fw><fw place="bottom" type="catch">trauen,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0171] abgenutzter Junggeſelle von einer Witwe anneh- men muß. Es wuͤrde jederman, mich ausgenommen, eine Luſt geweſen ſeyn, wenn dieſe veralterte Liebe ein gluͤckliches Ende erreichet haͤtte: und gewiß, er waͤre zu ſeinem Zweck gekommen, wenn die un- artige Tocher es nicht gehindert haͤtte. Meine Mutter wuͤrde zehn Jahr juͤnger geworden ſeyn: und mir wuͤrden an Alter und Weisheit zehn Jahre zugewachſen ſeyn, wenn ich den Antrag gebilliget haͤtte. Es wuͤrde geheiſſen haben: „Mein Kind, „wir Witwen wiſſen nicht mehr, wie wir gegen „einen Freyer fremde thun ſollen, und wie wir die „Manns-Leute quaͤlen und martern muͤſſen, um „zu ſehen ob ihre Liebe aufrichtig iſt. Du mußt „mir jetzt rathen, wie ich grauſam ſeyn, und ihn „Felſen anruffen laſſen ſoll: und doch auch nicht „allzugrauſam, damit der alte Liebſte nicht die we- „nige Zeit verliere, die er noch uͤbrig hat.„ Denn wuͤrde mein Betragen gegen Herrn Hickman ar- tig geweſen ſeyn, und die Mutter wuͤrde ſproͤde und ſtoltz geweſen ſeyn, wie die Tochter. Was fuͤr Luſt wollten wir uns gemacht haben, wenn dieſe Leute mit vieler Muͤhe wieder gelernt haͤtten, was ſie laͤngſtens vergeſſen hatten? Jch wuͤrde mich dieſes Vergnuͤgens nicht begeben ha- ben, wenn ich nur gewiß gewußt haͤtte, daß ich ſie zu rechter Zeit (wie die Jrrlaͤnder den Ausdruck nehmen) wuͤrde aus einander bringen koͤnnen, ehe ſie zuſammen gekommen waͤren. Allein wer kann einer alten Witwe und einen alten Junggeſellen trauen, L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/171
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/171>, abgerufen am 02.05.2024.