dieser Kuß war so feurig, daß sie nothwendig sich böse stellen mußte.
Wenn sie mich nicht immer einen Schritt vom Leibe gehalten, und mir die unschuldigen Freyhei- ten versaget hätte, die sich unser Geschlecht eine nach der andern zu nehmen pfleget: ja wenn ich nur einen Zutritt zu ihr hätte bekommen können, ehe sie völlig angekleidet ist, (denn die völlige Kleidung gebietet allzuviele Ehrfurcht) so würden wir schon längstens näher mit einander bekannt geworden seyn. Allein ich mag sie des Abends so lange aufhalten, und des Morgens so früh spre- chen als ich will, so ist sie doch immer gekleidet. Bey dem Frühstück, an den frühesten Stunden des Tages ist sie schon so sauber bekleidet, als sie am Mittage zu erscheinen gedencket, und als sich andere irgends bey Tage kleiden können. Da sie von diesen Stücken des Wohlstandes unter Frem- den nichts verlieret, so wundere dich nicht, daß ich so wenig bey ihr ausrichten kann. Bedencke aber wie mich alle diese Schwierigkeiten reitzen müssen!
Den Donnerstag früh, wie ich dir schon gesagt habe, waren wir sehr vergnügt. Gegen Mittag zählte sie mir die Stunden vor, die sie bey mir gewesen wäre, die mir nur ein Augenblick zu seyn schienen, und verlangte, daß ich sie allein lassen sollte. Jch hatte wenig Lust, zu gehorchen: weil aber die Sonne schon in das Zimmer kam, so unterwarf ich mich dem harten Befehl.
Jch speisete außer Hause: kam wieder; re- dete von unserm neuen Hause und von der Frau
Wenn ſie mich nicht immer einen Schritt vom Leibe gehalten, und mir die unſchuldigen Freyhei- ten verſaget haͤtte, die ſich unſer Geſchlecht eine nach der andern zu nehmen pfleget: ja wenn ich nur einen Zutritt zu ihr haͤtte bekommen koͤnnen, ehe ſie voͤllig angekleidet iſt, (denn die voͤllige Kleidung gebietet allzuviele Ehrfurcht) ſo wuͤrden wir ſchon laͤngſtens naͤher mit einander bekannt geworden ſeyn. Allein ich mag ſie des Abends ſo lange aufhalten, und des Morgens ſo fruͤh ſpre- chen als ich will, ſo iſt ſie doch immer gekleidet. Bey dem Fruͤhſtuͤck, an den fruͤheſten Stunden des Tages iſt ſie ſchon ſo ſauber bekleidet, als ſie am Mittage zu erſcheinen gedencket, und als ſich andere irgends bey Tage kleiden koͤnnen. Da ſie von dieſen Stuͤcken des Wohlſtandes unter Frem- den nichts verlieret, ſo wundere dich nicht, daß ich ſo wenig bey ihr ausrichten kann. Bedencke aber wie mich alle dieſe Schwierigkeiten reitzen muͤſſen!
Den Donnerstag fruͤh, wie ich dir ſchon geſagt habe, waren wir ſehr vergnuͤgt. Gegen Mittag zaͤhlte ſie mir die Stunden vor, die ſie bey mir geweſen waͤre, die mir nur ein Augenblick zu ſeyn ſchienen, und verlangte, daß ich ſie allein laſſen ſollte. Jch hatte wenig Luſt, zu gehorchen: weil aber die Sonne ſchon in das Zimmer kam, ſo unterwarf ich mich dem harten Befehl.
Jch ſpeiſete außer Hauſe: kam wieder; re- dete von unſerm neuen Hauſe und von der Frau
Fret-
K 5
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dieſer Kuß war ſo feurig, daß ſie nothwendig ſich
boͤſe ſtellen mußte.
Wenn ſie mich nicht immer einen Schritt vom
Leibe gehalten, und mir die unſchuldigen Freyhei-
ten verſaget haͤtte, die ſich unſer Geſchlecht eine
nach der andern zu nehmen pfleget: ja wenn ich
nur einen Zutritt zu ihr haͤtte bekommen koͤnnen,
ehe ſie voͤllig angekleidet iſt, (denn die voͤllige
Kleidung gebietet allzuviele Ehrfurcht) ſo wuͤrden
wir ſchon laͤngſtens naͤher mit einander bekannt
geworden ſeyn. Allein ich mag ſie des Abends
ſo lange aufhalten, und des Morgens ſo fruͤh ſpre-
chen als ich will, ſo iſt ſie doch immer gekleidet.
Bey dem Fruͤhſtuͤck, an den fruͤheſten Stunden
des Tages iſt ſie ſchon ſo ſauber bekleidet, als ſie
am Mittage zu erſcheinen gedencket, und als ſich
andere irgends bey Tage kleiden koͤnnen. Da ſie
von dieſen Stuͤcken des Wohlſtandes unter Frem-
den nichts verlieret, ſo wundere dich nicht, daß ich
ſo wenig bey ihr ausrichten kann. Bedencke aber
wie mich alle dieſe Schwierigkeiten reitzen muͤſſen!
Den Donnerstag fruͤh, wie ich dir ſchon
geſagt habe, waren wir ſehr vergnuͤgt. Gegen
Mittag zaͤhlte ſie mir die Stunden vor, die ſie
bey mir geweſen waͤre, die mir nur ein Augenblick
zu ſeyn ſchienen, und verlangte, daß ich ſie allein
laſſen ſollte. Jch hatte wenig Luſt, zu gehorchen:
weil aber die Sonne ſchon in das Zimmer kam,
ſo unterwarf ich mich dem harten Befehl.
Jch ſpeiſete außer Hauſe: kam wieder; re-
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Fret-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/159>, abgerufen am 25.11.2024.
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