wäre? Durch diese Unterredung sind ihr manche Zweifel benommen worden, die sie vorhin quä- leten.
Es ward insonderheit viel von der Tiefsin- nigkeit der Frau Fretchville geredet. Die Jung- fer Martin, die sie sehr wohl kennet, bedaurete die arme Frau ungemein: sie und ihr seeliger Mann haben sich fast von der Wiege an lieb ge- habt. Das Mitleiden ist ansteckend und von dem Unglücke der guten Frau Fretchville wurden so viel Umstände erzählet, daß meine Geliebte auf das äußerste gerühret werden mußte, da die Jung- fer Martin so sehr gerühret ward, ob sie gleich ein viel härteres Hertz hat.
Den Lord M. hindert nichts als das Podra- gra, daß er meine Liebste noch nicht besucht hat.
Die Lady Elisabeth und die Fräulein Mon- tague werden nächstens in London erwartet.
Jch redete davon, wie sehr ich wünschte, daß meine Liebste diesen Besuch in ihrem eigenen Hau- se annehmen könnte, wenn nur Frau Fretchville selbst recht wüßte, was sie thun wollte. Jch wollte dem ungeachtet bey der Frau Sinclair im Hause bleiben, wie ich schon vorhin versprochen hätte, um in keinem Stücke gegen den Wohlstand zu sündigen.
Mit einer recht erhabenen Stimme redete ich mit ihnen von meiner Liebe zu meinem Kinde, die so aufrichtig sey, als sie je ein Liebhaber hätte em- pfinden können. Kurtz es wäre eine rechte Plato-
nische
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waͤre? Durch dieſe Unterredung ſind ihr manche Zweifel benommen worden, die ſie vorhin quaͤ- leten.
Es ward inſonderheit viel von der Tiefſin- nigkeit der Frau Fretchville geredet. Die Jung- fer Martin, die ſie ſehr wohl kennet, bedaurete die arme Frau ungemein: ſie und ihr ſeeliger Mann haben ſich faſt von der Wiege an lieb ge- habt. Das Mitleiden iſt anſteckend und von dem Ungluͤcke der guten Frau Fretchville wurden ſo viel Umſtaͤnde erzaͤhlet, daß meine Geliebte auf das aͤußerſte geruͤhret werden mußte, da die Jung- fer Martin ſo ſehr geruͤhret ward, ob ſie gleich ein viel haͤrteres Hertz hat.
Den Lord M. hindert nichts als das Podra- gra, daß er meine Liebſte noch nicht beſucht hat.
Die Lady Eliſabeth und die Fraͤulein Mon- tague werden naͤchſtens in London erwartet.
Jch redete davon, wie ſehr ich wuͤnſchte, daß meine Liebſte dieſen Beſuch in ihrem eigenen Hau- ſe annehmen koͤnnte, wenn nur Frau Fretchville ſelbſt recht wuͤßte, was ſie thun wollte. Jch wollte dem ungeachtet bey der Frau Sinclair im Hauſe bleiben, wie ich ſchon vorhin verſprochen haͤtte, um in keinem Stuͤcke gegen den Wohlſtand zu ſuͤndigen.
Mit einer recht erhabenen Stimme redete ich mit ihnen von meiner Liebe zu meinem Kinde, die ſo aufrichtig ſey, als ſie je ein Liebhaber haͤtte em- pfinden koͤnnen. Kurtz es waͤre eine rechte Plato-
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waͤre? Durch dieſe Unterredung ſind ihr manche
Zweifel benommen worden, die ſie vorhin quaͤ-
leten.
Es ward inſonderheit viel von der Tiefſin-
nigkeit der Frau Fretchville geredet. Die Jung-
fer Martin, die ſie ſehr wohl kennet, bedaurete
die arme Frau ungemein: ſie und ihr ſeeliger
Mann haben ſich faſt von der Wiege an lieb ge-
habt. Das Mitleiden iſt anſteckend und von dem
Ungluͤcke der guten Frau Fretchville wurden ſo
viel Umſtaͤnde erzaͤhlet, daß meine Geliebte auf
das aͤußerſte geruͤhret werden mußte, da die Jung-
fer Martin ſo ſehr geruͤhret ward, ob ſie gleich
ein viel haͤrteres Hertz hat.
Den Lord M. hindert nichts als das Podra-
gra, daß er meine Liebſte noch nicht beſucht hat.
Die Lady Eliſabeth und die Fraͤulein Mon-
tague werden naͤchſtens in London erwartet.
Jch redete davon, wie ſehr ich wuͤnſchte, daß
meine Liebſte dieſen Beſuch in ihrem eigenen Hau-
ſe annehmen koͤnnte, wenn nur Frau Fretchville
ſelbſt recht wuͤßte, was ſie thun wollte. Jch
wollte dem ungeachtet bey der Frau Sinclair im
Hauſe bleiben, wie ich ſchon vorhin verſprochen
haͤtte, um in keinem Stuͤcke gegen den Wohlſtand
zu ſuͤndigen.
Mit einer recht erhabenen Stimme redete ich
mit ihnen von meiner Liebe zu meinem Kinde, die
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/153>, abgerufen am 23.07.2024.
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