[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.Jst es nicht eine wahre Barmhertzigkeit, wenn du ihm aus dem Elend hilfst? Jch höre, daß er noch vom Doctor, Apothecker, Feldscher, und wie die leute alle heissen mögen, gequälet wird, und daß doch der kalte Brand schon zu weit gekommen ist, und bey jedem Besuch das Urtheil des unvermeidlichen Todes von neuen über ihn gesprochen wird. War- um verlängern sie seine Qual? Suchen ihm diese geschäfftigen Peiniger nicht mehr Wolle als todtes Fleisch abzuschneiden? Wenn der Krancke einmahl aufgegeben ist, so sollten keine Gerichts-Gebühren mehr für ihn an diesem Schwarm bezahlt werden, der nur seine Erben bestielet! Was hast du zu thun, wenn das Testament so ist, wie du es wünschest? Ließ er dich nicht holen, damit du deines Onckles Augen zudrücken möchtest? Er ist ja doch nur dein Onckle und nicht dein Vater. Mich dünckt, es stehet in der Bibel, oder in welches
Jſt es nicht eine wahre Barmhertzigkeit, wenn du ihm aus dem Elend hilfſt? Jch hoͤre, daß er noch vom Doctor, Apothecker, Feldſcher, und wie die leute alle heiſſen moͤgen, gequaͤlet wird, und daß doch der kalte Brand ſchon zu weit gekommen iſt, und bey jedem Beſuch das Urtheil des unvermeidlichen Todes von neuen uͤber ihn geſprochen wird. War- um verlaͤngern ſie ſeine Qual? Suchen ihm dieſe geſchaͤfftigen Peiniger nicht mehr Wolle als todtes Fleiſch abzuſchneiden? Wenn der Krancke einmahl aufgegeben iſt, ſo ſollten keine Gerichts-Gebuͤhren mehr fuͤr ihn an dieſem Schwarm bezahlt werden, der nur ſeine Erben beſtielet! Was haſt du zu thun, wenn das Teſtament ſo iſt, wie du es wuͤnſcheſt? Ließ er dich nicht holen, damit du deines Onckles Augen zudruͤcken moͤchteſt? Er iſt ja doch nur dein Onckle und nicht dein Vater. Mich duͤnckt, es ſtehet in der Bibel, oder in welches
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Jſt es nicht eine wahre Barmhertzigkeit, wenn du
ihm aus dem Elend hilfſt? Jch hoͤre, daß er noch
vom Doctor, Apothecker, Feldſcher, und wie die
leute alle heiſſen moͤgen, gequaͤlet wird, und daß
doch der kalte Brand ſchon zu weit gekommen iſt, und
bey jedem Beſuch das Urtheil des unvermeidlichen
Todes von neuen uͤber ihn geſprochen wird. War-
um verlaͤngern ſie ſeine Qual? Suchen ihm dieſe
geſchaͤfftigen Peiniger nicht mehr Wolle als todtes
Fleiſch abzuſchneiden? Wenn der Krancke einmahl
aufgegeben iſt, ſo ſollten keine Gerichts-Gebuͤhren
mehr fuͤr ihn an dieſem Schwarm bezahlt werden,
der nur ſeine Erben beſtielet! Was haſt du zu thun,
wenn das Teſtament ſo iſt, wie du es wuͤnſcheſt?
Ließ er dich nicht holen, damit du deines Onckles
Augen zudruͤcken moͤchteſt? Er iſt ja doch nur dein
Onckle und nicht dein Vater.
Mich duͤnckt, es ſtehet in der Bibel, oder in
einem andern guten Buche: ſollte es wol der Hero-
dotus ſeyn? O nein! ich erinnere mich; es wird
in dem Joſephus ſtehen, der ein halb geiſtlicher und
halb weltlicher Geſchicht Schreiber war. Ein ge-
wiſſer Koͤnig von Syrien ward von ſeinem vornehm-
ſten Bedienten, oder von einem der zum wenigſten
wegen ſeiner Klugheit der erſten Stelle unter ſeinen
Bedienten wuͤrdig war, aus dem Wege geraͤumet.
Wenn ich mich recht beſinne, ſo deckte er ihm das
Geſicht mit einem naſſen Tuche zu: er ſtarb hie-
von, und der kluge Moͤrder ward Koͤnig an ſeiner
Statt. Vielleicht ſtehet in der Grundſprache ein
Wort, das eben ſo viel bedeutet, als laudanum,
welches
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Zitationshilfe: | [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/133>, abgerufen am 22.07.2024. |