Jch habe der Fräulein nicht mit Gewißheit ge- saget, daß ich diesen Brief schreiben wollte; allein sie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die äusser- ste Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah- men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle Fälle in Sicherheit setzen, ehe ich die Masque abneh- me. Darum habe ich sie eben hieher gebracht.
Du siehest hieraus, daß mir der Brief meines alten Onckles zu rechter Zeit zu Händen kam. Jch dancke dir dafür. Allein seine Sprüchwörter werden nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu früh mit dieser Weißheit gantzer Völcker ersticket. So oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, so oft antwortete er mit einem Sprüchwort: und wenn dieses eine abschlägige Antwort enthielt, so waren alle ferneren Bitten vergeblich. Jch ward darüber dem Worte so gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger, der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte ich wollte zwar die Bibel lesen, allein er sollte eins der weisesten Bücher darin überschlagen, das ich blos des- wegen nicht lesen wollte, weil es den Titel, Sprüch- wörter, hätte. Dem Salomon war ich damahls von Hertzen feind, nicht um seiner Vielweiberey willen, sondern weil ich dachte, er sey auch ein solcher alter lehrreicher Knabe gewesen als mein Onckle.
Wir wollen die alten Geschwätze diesen alten Leu- ten überlassen! - - - Warum thust du darüber so kläglich, daß dein Vetter sterben will? Sagt nicht jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann?
Jst
Jch habe der Fraͤulein nicht mit Gewißheit ge- ſaget, daß ich dieſen Brief ſchreiben wollte; allein ſie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die aͤuſſer- ſte Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah- men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle Faͤlle in Sicherheit ſetzen, ehe ich die Masque abneh- me. Darum habe ich ſie eben hieher gebracht.
Du ſieheſt hieraus, daß mir der Brief meines alten Onckles zu rechter Zeit zu Haͤnden kam. Jch dancke dir dafuͤr. Allein ſeine Spruͤchwoͤrter werden nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu fruͤh mit dieſer Weißheit gantzer Voͤlcker erſticket. So oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, ſo oft antwortete er mit einem Spruͤchwort: und wenn dieſes eine abſchlaͤgige Antwort enthielt, ſo waren alle ferneren Bitten vergeblich. Jch ward daruͤber dem Worte ſo gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger, der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte ich wollte zwar die Bibel leſen, allein er ſollte eins der weiſeſten Buͤcher darin uͤberſchlagen, das ich blos des- wegen nicht leſen wollte, weil es den Titel, Spruͤch- woͤrter, haͤtte. Dem Salomon war ich damahls von Hertzen feind, nicht um ſeiner Vielweiberey willen, ſondern weil ich dachte, er ſey auch ein ſolcher alter lehrreicher Knabe geweſen als mein Onckle.
Wir wollen die alten Geſchwaͤtze dieſen alten Leu- ten uͤberlaſſen! ‒ ‒ ‒ Warum thuſt du daruͤber ſo klaͤglich, daß dein Vetter ſterben will? Sagt nicht jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann?
Jſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0132"n="126"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jch habe der Fraͤulein nicht mit Gewißheit ge-<lb/>ſaget, daß ich dieſen Brief ſchreiben wollte; allein<lb/>ſie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher<lb/>
die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die aͤuſſer-<lb/>ſte Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah-<lb/>
men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken<lb/>
gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle<lb/>
Faͤlle in Sicherheit ſetzen, ehe ich die Masque abneh-<lb/>
me. Darum habe ich ſie eben hieher gebracht.</p><lb/><p>Du ſieheſt hieraus, daß mir der Brief meines<lb/>
alten Onckles zu rechter Zeit zu Haͤnden kam. Jch<lb/>
dancke dir dafuͤr. Allein ſeine Spruͤchwoͤrter werden<lb/>
nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu fruͤh<lb/>
mit dieſer Weißheit gantzer Voͤlcker erſticket. So<lb/>
oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, ſo<lb/>
oft antwortete er mit einem Spruͤchwort: und wenn<lb/>
dieſes eine abſchlaͤgige Antwort enthielt, ſo waren alle<lb/>
ferneren Bitten vergeblich. Jch ward daruͤber dem<lb/>
Worte ſo gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger,<lb/>
der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte<lb/>
ich wollte zwar die Bibel leſen, allein er ſollte eins der<lb/>
weiſeſten Buͤcher darin uͤberſchlagen, das ich blos des-<lb/>
wegen nicht leſen wollte, weil es den Titel, <hirendition="#fr">Spruͤch-<lb/>
woͤrter,</hi> haͤtte. Dem <hirendition="#fr">Salomon</hi> war ich damahls<lb/>
von Hertzen feind, nicht um ſeiner Vielweiberey willen,<lb/>ſondern weil ich dachte, er ſey auch ein ſolcher alter<lb/>
lehrreicher Knabe geweſen als mein Onckle.</p><lb/><p>Wir wollen die alten Geſchwaͤtze dieſen alten Leu-<lb/>
ten uͤberlaſſen! ‒‒‒ Warum thuſt du daruͤber ſo<lb/>
klaͤglich, daß dein Vetter ſterben will? Sagt nicht<lb/>
jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann?<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jſt</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[126/0132]
Jch habe der Fraͤulein nicht mit Gewißheit ge-
ſaget, daß ich dieſen Brief ſchreiben wollte; allein
ſie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher
die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die aͤuſſer-
ſte Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah-
men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken
gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle
Faͤlle in Sicherheit ſetzen, ehe ich die Masque abneh-
me. Darum habe ich ſie eben hieher gebracht.
Du ſieheſt hieraus, daß mir der Brief meines
alten Onckles zu rechter Zeit zu Haͤnden kam. Jch
dancke dir dafuͤr. Allein ſeine Spruͤchwoͤrter werden
nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu fruͤh
mit dieſer Weißheit gantzer Voͤlcker erſticket. So
oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, ſo
oft antwortete er mit einem Spruͤchwort: und wenn
dieſes eine abſchlaͤgige Antwort enthielt, ſo waren alle
ferneren Bitten vergeblich. Jch ward daruͤber dem
Worte ſo gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger,
der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte
ich wollte zwar die Bibel leſen, allein er ſollte eins der
weiſeſten Buͤcher darin uͤberſchlagen, das ich blos des-
wegen nicht leſen wollte, weil es den Titel, Spruͤch-
woͤrter, haͤtte. Dem Salomon war ich damahls
von Hertzen feind, nicht um ſeiner Vielweiberey willen,
ſondern weil ich dachte, er ſey auch ein ſolcher alter
lehrreicher Knabe geweſen als mein Onckle.
Wir wollen die alten Geſchwaͤtze dieſen alten Leu-
ten uͤberlaſſen! ‒ ‒ ‒ Warum thuſt du daruͤber ſo
klaͤglich, daß dein Vetter ſterben will? Sagt nicht
jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann?
Jſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/132>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.