Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Jch habe der Fräulein nicht mit Gewißheit ge-
saget, daß ich diesen Brief schreiben wollte; allein
sie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher
die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die äusser-
ste Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah-
men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken
gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle
Fälle in Sicherheit setzen, ehe ich die Masque abneh-
me. Darum habe ich sie eben hieher gebracht.

Du siehest hieraus, daß mir der Brief meines
alten Onckles zu rechter Zeit zu Händen kam. Jch
dancke dir dafür. Allein seine Sprüchwörter werden
nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu früh
mit dieser Weißheit gantzer Völcker ersticket. So
oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, so
oft antwortete er mit einem Sprüchwort: und wenn
dieses eine abschlägige Antwort enthielt, so waren alle
ferneren Bitten vergeblich. Jch ward darüber dem
Worte so gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger,
der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte
ich wollte zwar die Bibel lesen, allein er sollte eins der
weisesten Bücher darin überschlagen, das ich blos des-
wegen nicht lesen wollte, weil es den Titel, Sprüch-
wörter,
hätte. Dem Salomon war ich damahls
von Hertzen feind, nicht um seiner Vielweiberey willen,
sondern weil ich dachte, er sey auch ein solcher alter
lehrreicher Knabe gewesen als mein Onckle.

Wir wollen die alten Geschwätze diesen alten Leu-
ten überlassen! - - - Warum thust du darüber so
kläglich, daß dein Vetter sterben will? Sagt nicht
jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann?

Jst


Jch habe der Fraͤulein nicht mit Gewißheit ge-
ſaget, daß ich dieſen Brief ſchreiben wollte; allein
ſie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher
die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die aͤuſſer-
ſte Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah-
men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken
gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle
Faͤlle in Sicherheit ſetzen, ehe ich die Masque abneh-
me. Darum habe ich ſie eben hieher gebracht.

Du ſieheſt hieraus, daß mir der Brief meines
alten Onckles zu rechter Zeit zu Haͤnden kam. Jch
dancke dir dafuͤr. Allein ſeine Spruͤchwoͤrter werden
nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu fruͤh
mit dieſer Weißheit gantzer Voͤlcker erſticket. So
oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, ſo
oft antwortete er mit einem Spruͤchwort: und wenn
dieſes eine abſchlaͤgige Antwort enthielt, ſo waren alle
ferneren Bitten vergeblich. Jch ward daruͤber dem
Worte ſo gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger,
der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte
ich wollte zwar die Bibel leſen, allein er ſollte eins der
weiſeſten Buͤcher darin uͤberſchlagen, das ich blos des-
wegen nicht leſen wollte, weil es den Titel, Spruͤch-
woͤrter,
haͤtte. Dem Salomon war ich damahls
von Hertzen feind, nicht um ſeiner Vielweiberey willen,
ſondern weil ich dachte, er ſey auch ein ſolcher alter
lehrreicher Knabe geweſen als mein Onckle.

Wir wollen die alten Geſchwaͤtze dieſen alten Leu-
ten uͤberlaſſen! ‒ ‒ ‒ Warum thuſt du daruͤber ſo
klaͤglich, daß dein Vetter ſterben will? Sagt nicht
jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann?

Jſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0132" n="126"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jch habe der Fra&#x0364;ulein nicht mit Gewißheit ge-<lb/>
&#x017F;aget, daß ich die&#x017F;en Brief &#x017F;chreiben wollte; allein<lb/>
&#x017F;ie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher<lb/>
die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
&#x017F;te Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah-<lb/>
men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken<lb/>
gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle<lb/>
Fa&#x0364;lle in Sicherheit &#x017F;etzen, ehe ich die Masque abneh-<lb/>
me. Darum habe ich &#x017F;ie eben hieher gebracht.</p><lb/>
          <p>Du &#x017F;iehe&#x017F;t hieraus, daß mir der Brief meines<lb/>
alten Onckles zu rechter Zeit zu Ha&#x0364;nden kam. Jch<lb/>
dancke dir dafu&#x0364;r. Allein &#x017F;eine Spru&#x0364;chwo&#x0364;rter werden<lb/>
nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu fru&#x0364;h<lb/>
mit die&#x017F;er Weißheit gantzer Vo&#x0364;lcker er&#x017F;ticket. So<lb/>
oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, &#x017F;o<lb/>
oft antwortete er mit einem Spru&#x0364;chwort: und wenn<lb/>
die&#x017F;es eine ab&#x017F;chla&#x0364;gige Antwort enthielt, &#x017F;o waren alle<lb/>
ferneren Bitten vergeblich. Jch ward daru&#x0364;ber dem<lb/>
Worte &#x017F;o gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger,<lb/>
der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte<lb/>
ich wollte zwar die Bibel le&#x017F;en, allein er &#x017F;ollte eins der<lb/>
wei&#x017F;e&#x017F;ten Bu&#x0364;cher darin u&#x0364;ber&#x017F;chlagen, das ich blos des-<lb/>
wegen nicht le&#x017F;en wollte, weil es den Titel, <hi rendition="#fr">Spru&#x0364;ch-<lb/>
wo&#x0364;rter,</hi> ha&#x0364;tte. Dem <hi rendition="#fr">Salomon</hi> war ich damahls<lb/>
von Hertzen feind, nicht um &#x017F;einer Vielweiberey willen,<lb/>
&#x017F;ondern weil ich dachte, er &#x017F;ey auch ein &#x017F;olcher alter<lb/>
lehrreicher Knabe gewe&#x017F;en als mein Onckle.</p><lb/>
          <p>Wir wollen die alten Ge&#x017F;chwa&#x0364;tze die&#x017F;en alten Leu-<lb/>
ten u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en! &#x2012; &#x2012; &#x2012; Warum thu&#x017F;t du daru&#x0364;ber &#x017F;o<lb/>
kla&#x0364;glich, daß dein Vetter &#x017F;terben will? Sagt nicht<lb/>
jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann?<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">J&#x017F;t</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0132] Jch habe der Fraͤulein nicht mit Gewißheit ge- ſaget, daß ich dieſen Brief ſchreiben wollte; allein ſie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die aͤuſſer- ſte Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah- men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle Faͤlle in Sicherheit ſetzen, ehe ich die Masque abneh- me. Darum habe ich ſie eben hieher gebracht. Du ſieheſt hieraus, daß mir der Brief meines alten Onckles zu rechter Zeit zu Haͤnden kam. Jch dancke dir dafuͤr. Allein ſeine Spruͤchwoͤrter werden nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu fruͤh mit dieſer Weißheit gantzer Voͤlcker erſticket. So oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, ſo oft antwortete er mit einem Spruͤchwort: und wenn dieſes eine abſchlaͤgige Antwort enthielt, ſo waren alle ferneren Bitten vergeblich. Jch ward daruͤber dem Worte ſo gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger, der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte ich wollte zwar die Bibel leſen, allein er ſollte eins der weiſeſten Buͤcher darin uͤberſchlagen, das ich blos des- wegen nicht leſen wollte, weil es den Titel, Spruͤch- woͤrter, haͤtte. Dem Salomon war ich damahls von Hertzen feind, nicht um ſeiner Vielweiberey willen, ſondern weil ich dachte, er ſey auch ein ſolcher alter lehrreicher Knabe geweſen als mein Onckle. Wir wollen die alten Geſchwaͤtze dieſen alten Leu- ten uͤberlaſſen! ‒ ‒ ‒ Warum thuſt du daruͤber ſo klaͤglich, daß dein Vetter ſterben will? Sagt nicht jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann? Jſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/132
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/132>, abgerufen am 02.05.2024.