Jch glaube gantz und gar nicht, daß meine Sachen so schlimm als sie meinen, ausgesehen haben würden, wenn ich in meines Vaters Hause geblie- ben wäre. Mein Vater hatte mich doch heimlich lieb; und ich durfte ihn nur sehen, und Gelegenheit haben mit ihm selbst zu reden; so würde ich zum wenigsten einen Aufschub meines harten Urtheils erhalten haben.
Sie rühmen sich ihrer Verdienste, und sie thun wohl daran. Denn ich werde auf nichts als auf Verdienste sehen. Jch würde mich selbst verach- ten, wenn ich um des Gesichts und äusserlichen Ansehens willen ihnen zugethan oder Herrn Sol- mes abgeneigt wäre. Und wenn sie sich blos um des äusserlichen willen dem armen Solmes vor- ziehen, so sind sie mir auch verächtlich. Sie mö- gen sich ihrer eingebildeten Verdienste um mich rühmen: allein ich halte das für meine Schande, was sie für ihre Ehre ansehen. Bekümmern sie sich um einen Anspruch an meine Zuneigung, den ich selbst billigen kann: sonst werde ich ihnen nicht verhalten können, daß sie in ihren eigenen Augen grössere Verdienste haben, als in meinen.
Doch wir fangen an mit den ersten Sündern einer den andern zu verklagen: zum wenigsten wer- de ich ihnen in diesem Stück gleich, nachdem ich aus meinen Paradies vertrieben bin. Sie sollen nicht länger die Mühe haben, mir von ihrem Ley- den um meinet willen, von ihren Verdiensten, von dem was sie alle Stunden und bey allem Wetter gethan haben, zu erzählen. Wenn es
mir
Dritter Theil. E
Jch glaube gantz und gar nicht, daß meine Sachen ſo ſchlimm als ſie meinen, ausgeſehen haben wuͤrden, wenn ich in meines Vaters Hauſe geblie- ben waͤre. Mein Vater hatte mich doch heimlich lieb; und ich durfte ihn nur ſehen, und Gelegenheit haben mit ihm ſelbſt zu reden; ſo wuͤrde ich zum wenigſten einen Aufſchub meines harten Urtheils erhalten haben.
Sie ruͤhmen ſich ihrer Verdienſte, und ſie thun wohl daran. Denn ich werde auf nichts als auf Verdienſte ſehen. Jch wuͤrde mich ſelbſt verach- ten, wenn ich um des Geſichts und aͤuſſerlichen Anſehens willen ihnen zugethan oder Herrn Sol- mes abgeneigt waͤre. Und wenn ſie ſich blos um des aͤuſſerlichen willen dem armen Solmes vor- ziehen, ſo ſind ſie mir auch veraͤchtlich. Sie moͤ- gen ſich ihrer eingebildeten Verdienſte um mich ruͤhmen: allein ich halte das fuͤr meine Schande, was ſie fuͤr ihre Ehre anſehen. Bekuͤmmern ſie ſich um einen Anſpruch an meine Zuneigung, den ich ſelbſt billigen kann: ſonſt werde ich ihnen nicht verhalten koͤnnen, daß ſie in ihren eigenen Augen groͤſſere Verdienſte haben, als in meinen.
Doch wir fangen an mit den erſten Suͤndern einer den andern zu verklagen: zum wenigſten wer- de ich ihnen in dieſem Stuͤck gleich, nachdem ich aus meinen Paradies vertrieben bin. Sie ſollen nicht laͤnger die Muͤhe haben, mir von ihrem Ley- den um meinet willen, von ihren Verdienſten, von dem was ſie alle Stunden und bey allem Wetter gethan haben, zu erzaͤhlen. Wenn es
mir
Dritter Theil. E
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Jch glaube gantz und gar nicht, daß meine
Sachen ſo ſchlimm als ſie meinen, ausgeſehen haben
wuͤrden, wenn ich in meines Vaters Hauſe geblie-
ben waͤre. Mein Vater hatte mich doch heimlich
lieb; und ich durfte ihn nur ſehen, und Gelegenheit
haben mit ihm ſelbſt zu reden; ſo wuͤrde ich zum
wenigſten einen Aufſchub meines harten Urtheils
erhalten haben.
Sie ruͤhmen ſich ihrer Verdienſte, und ſie thun
wohl daran. Denn ich werde auf nichts als auf
Verdienſte ſehen. Jch wuͤrde mich ſelbſt verach-
ten, wenn ich um des Geſichts und aͤuſſerlichen
Anſehens willen ihnen zugethan oder Herrn Sol-
mes abgeneigt waͤre. Und wenn ſie ſich blos um
des aͤuſſerlichen willen dem armen Solmes vor-
ziehen, ſo ſind ſie mir auch veraͤchtlich. Sie moͤ-
gen ſich ihrer eingebildeten Verdienſte um mich
ruͤhmen: allein ich halte das fuͤr meine Schande,
was ſie fuͤr ihre Ehre anſehen. Bekuͤmmern ſie
ſich um einen Anſpruch an meine Zuneigung, den
ich ſelbſt billigen kann: ſonſt werde ich ihnen nicht
verhalten koͤnnen, daß ſie in ihren eigenen Augen
groͤſſere Verdienſte haben, als in meinen.
Doch wir fangen an mit den erſten Suͤndern
einer den andern zu verklagen: zum wenigſten wer-
de ich ihnen in dieſem Stuͤck gleich, nachdem ich
aus meinen Paradies vertrieben bin. Sie ſollen
nicht laͤnger die Muͤhe haben, mir von ihrem Ley-
den um meinet willen, von ihren Verdienſten,
von dem was ſie alle Stunden und bey allem
Wetter gethan haben, zu erzaͤhlen. Wenn es
mir
Dritter Theil. E
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/79>, abgerufen am 26.11.2024.
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